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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gegen Tobias verfuhr der Alte anders, als er in der ersten Aufregung gedacht hatte; that aber das Beste, was zunächst geschehen konnte. Er theilte ihm die Ausdrücke mit, deren sich die Bäbe über ihn bedient hatte -- und überließ ihn dann sich selbst.

Wer die Eigenthümlichkeit des jungen Schneiders erfaßt hat, der denkt sich, in welchem Gemüthszustand er sich befand. Die Natur, die keinen Widerstand hat für das erschreckende Annahen feindlicher Gewalten, hat auch keinen für die Angriffe der Reue über die Folgen jenes Mangels; der Eigenschaft der Furchtsamkeit entspricht in der Regel das Talent der Selbstquälerei. Wenn aber phantasiebegabte Menschen sich eine Zeitlang über sich selbst täuschen können, so öffnen ihnen gewisse Erfahrungen um so grausamer die Augen, und es beginnt die Schmerzensepoche der Selbsterkenntniß. -- Dies bewahrheitete sich nun auch in unserm Burschen.

Nachdem derselbe die Nacht in dumpfer Verzweiflung und kurzem Schlummer voll quälender Träume zugebracht hatte, zerfleischten ihn am folgenden Tage die Furien der Selbstanklage, daß es eine theilnehmende Seele erbarmen mußte. Er konnte nicht begreifen, wie es möglich war, so jämmerlich zu handeln, wie er gehandelt hatte. Und doch war's geschehen -- nicht zu läugnen und nicht mehr zu ändern. Er war der erbärmlichste Gesell, der auf der Erde herumwandelte -- daran war gar kein Zweifel! Konnte es noch einen Menschen geben, der, anstatt das Maul aufzuthun und

Gegen Tobias verfuhr der Alte anders, als er in der ersten Aufregung gedacht hatte; that aber das Beste, was zunächst geschehen konnte. Er theilte ihm die Ausdrücke mit, deren sich die Bäbe über ihn bedient hatte — und überließ ihn dann sich selbst.

Wer die Eigenthümlichkeit des jungen Schneiders erfaßt hat, der denkt sich, in welchem Gemüthszustand er sich befand. Die Natur, die keinen Widerstand hat für das erschreckende Annahen feindlicher Gewalten, hat auch keinen für die Angriffe der Reue über die Folgen jenes Mangels; der Eigenschaft der Furchtsamkeit entspricht in der Regel das Talent der Selbstquälerei. Wenn aber phantasiebegabte Menschen sich eine Zeitlang über sich selbst täuschen können, so öffnen ihnen gewisse Erfahrungen um so grausamer die Augen, und es beginnt die Schmerzensepoche der Selbsterkenntniß. — Dies bewahrheitete sich nun auch in unserm Burschen.

Nachdem derselbe die Nacht in dumpfer Verzweiflung und kurzem Schlummer voll quälender Träume zugebracht hatte, zerfleischten ihn am folgenden Tage die Furien der Selbstanklage, daß es eine theilnehmende Seele erbarmen mußte. Er konnte nicht begreifen, wie es möglich war, so jämmerlich zu handeln, wie er gehandelt hatte. Und doch war's geschehen — nicht zu läugnen und nicht mehr zu ändern. Er war der erbärmlichste Gesell, der auf der Erde herumwandelte — daran war gar kein Zweifel! Konnte es noch einen Menschen geben, der, anstatt das Maul aufzuthun und

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[0072] Gegen Tobias verfuhr der Alte anders, als er in der ersten Aufregung gedacht hatte; that aber das Beste, was zunächst geschehen konnte. Er theilte ihm die Ausdrücke mit, deren sich die Bäbe über ihn bedient hatte — und überließ ihn dann sich selbst. Wer die Eigenthümlichkeit des jungen Schneiders erfaßt hat, der denkt sich, in welchem Gemüthszustand er sich befand. Die Natur, die keinen Widerstand hat für das erschreckende Annahen feindlicher Gewalten, hat auch keinen für die Angriffe der Reue über die Folgen jenes Mangels; der Eigenschaft der Furchtsamkeit entspricht in der Regel das Talent der Selbstquälerei. Wenn aber phantasiebegabte Menschen sich eine Zeitlang über sich selbst täuschen können, so öffnen ihnen gewisse Erfahrungen um so grausamer die Augen, und es beginnt die Schmerzensepoche der Selbsterkenntniß. — Dies bewahrheitete sich nun auch in unserm Burschen. Nachdem derselbe die Nacht in dumpfer Verzweiflung und kurzem Schlummer voll quälender Träume zugebracht hatte, zerfleischten ihn am folgenden Tage die Furien der Selbstanklage, daß es eine theilnehmende Seele erbarmen mußte. Er konnte nicht begreifen, wie es möglich war, so jämmerlich zu handeln, wie er gehandelt hatte. Und doch war's geschehen — nicht zu läugnen und nicht mehr zu ändern. Er war der erbärmlichste Gesell, der auf der Erde herumwandelte — daran war gar kein Zweifel! Konnte es noch einen Menschen geben, der, anstatt das Maul aufzuthun und

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/72>, abgerufen am 27.11.2024.