Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gemacht hätte, strampfte mit dem Fuß und warf die Arbeit auf den Tisch, daß es klatschte -- zum Glück für den Eigenthümer des Leibchens, der ein kläglich genähtes Stück auf den Leib erhalten hätte.

Nach und nach legte sich der Sturm seiner Aufregung. Er begann wieder zu nähen und suchte in accurater Arbeit die Qualen seines Innern zu vergessen. Als er so mit stillgefaßtem Duldergesicht dasaß, kam die Walpurg von der Küche herein und sah ihn von der Seite an. Sie wußte nichts von der Bäbe, kannte aber den Plan mit der Sibylle und hatte als erfahrenes Weib ihre Gedanken. Mitleidig sagte sie: Ja, ja, Tobias, ich glaub' schon, daß du nicht dran willst! Die Schönst' ist sie freilich nicht, die Sibylle; aber du mußt halt ein Aug' zudrücken. In der Eh' geht's manchmal gar curios, und es hat schon Manchem Eine nachher besser gefallen als vorher. Dir kann's wohl auch so gehen! -- Tobias starrte sie an; 's mag sein, erwiderte er und nähte weiter.

Er hatte einen elenden Tag, unser Schneider; aber das Elend, die andauernde Gesunkenheit seines Wesens, machte ihn müde, und er schlief besser, als man's hätte denken sollen. Frühmorgens erwachend, fühlte er sich erfrischter, gestärkter, und als er im Schein der Morgensonne die Situation überdachte, kam sie ihm schon viel weniger desperat vor; ja, zuletzt begann sogar schüchtern, aber süß, die Hoffnung sich wieder zu regen. Er freute sich, daß er seinem Vater noch acht Tage Zeit abge-

gemacht hätte, strampfte mit dem Fuß und warf die Arbeit auf den Tisch, daß es klatschte — zum Glück für den Eigenthümer des Leibchens, der ein kläglich genähtes Stück auf den Leib erhalten hätte.

Nach und nach legte sich der Sturm seiner Aufregung. Er begann wieder zu nähen und suchte in accurater Arbeit die Qualen seines Innern zu vergessen. Als er so mit stillgefaßtem Duldergesicht dasaß, kam die Walpurg von der Küche herein und sah ihn von der Seite an. Sie wußte nichts von der Bäbe, kannte aber den Plan mit der Sibylle und hatte als erfahrenes Weib ihre Gedanken. Mitleidig sagte sie: Ja, ja, Tobias, ich glaub' schon, daß du nicht dran willst! Die Schönst' ist sie freilich nicht, die Sibylle; aber du mußt halt ein Aug' zudrücken. In der Eh' geht's manchmal gar curios, und es hat schon Manchem Eine nachher besser gefallen als vorher. Dir kann's wohl auch so gehen! — Tobias starrte sie an; 's mag sein, erwiderte er und nähte weiter.

Er hatte einen elenden Tag, unser Schneider; aber das Elend, die andauernde Gesunkenheit seines Wesens, machte ihn müde, und er schlief besser, als man's hätte denken sollen. Frühmorgens erwachend, fühlte er sich erfrischter, gestärkter, und als er im Schein der Morgensonne die Situation überdachte, kam sie ihm schon viel weniger desperat vor; ja, zuletzt begann sogar schüchtern, aber süß, die Hoffnung sich wieder zu regen. Er freute sich, daß er seinem Vater noch acht Tage Zeit abge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0044"/>
gemacht hätte, strampfte      mit dem Fuß und warf die Arbeit auf den Tisch, daß es klatschte &#x2014; zum Glück für den Eigenthümer      des Leibchens, der ein kläglich genähtes Stück auf den Leib erhalten hätte.</p><lb/>
        <p>Nach und nach legte sich der Sturm seiner Aufregung. Er begann wieder zu nähen und suchte in      accurater Arbeit die Qualen seines Innern zu vergessen. Als er so mit stillgefaßtem      Duldergesicht dasaß, kam die Walpurg von der Küche herein und sah ihn von der Seite an. Sie      wußte nichts von der Bäbe, kannte aber den Plan mit der Sibylle und hatte als erfahrenes Weib      ihre Gedanken. Mitleidig sagte sie: Ja, ja, Tobias, ich glaub' schon, daß du nicht dran willst!      Die Schönst' ist sie freilich nicht, die Sibylle; aber du mußt halt ein Aug' zudrücken. In der      Eh' geht's manchmal gar curios, und es hat schon Manchem Eine nachher besser gefallen als      vorher. Dir kann's wohl auch so gehen! &#x2014; Tobias starrte sie an; 's mag sein, erwiderte er und      nähte weiter.</p><lb/>
        <p>Er hatte einen elenden Tag, unser Schneider; aber das Elend, die andauernde Gesunkenheit      seines Wesens, machte ihn müde, und er schlief besser, als man's hätte denken sollen.      Frühmorgens erwachend, fühlte er sich erfrischter, gestärkter, und als er im Schein der      Morgensonne die Situation überdachte, kam sie ihm schon viel weniger desperat vor; ja, zuletzt      begann sogar schüchtern, aber süß, die Hoffnung sich wieder zu regen. Er freute sich, daß er      seinem Vater noch acht Tage Zeit abge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0044] gemacht hätte, strampfte mit dem Fuß und warf die Arbeit auf den Tisch, daß es klatschte — zum Glück für den Eigenthümer des Leibchens, der ein kläglich genähtes Stück auf den Leib erhalten hätte. Nach und nach legte sich der Sturm seiner Aufregung. Er begann wieder zu nähen und suchte in accurater Arbeit die Qualen seines Innern zu vergessen. Als er so mit stillgefaßtem Duldergesicht dasaß, kam die Walpurg von der Küche herein und sah ihn von der Seite an. Sie wußte nichts von der Bäbe, kannte aber den Plan mit der Sibylle und hatte als erfahrenes Weib ihre Gedanken. Mitleidig sagte sie: Ja, ja, Tobias, ich glaub' schon, daß du nicht dran willst! Die Schönst' ist sie freilich nicht, die Sibylle; aber du mußt halt ein Aug' zudrücken. In der Eh' geht's manchmal gar curios, und es hat schon Manchem Eine nachher besser gefallen als vorher. Dir kann's wohl auch so gehen! — Tobias starrte sie an; 's mag sein, erwiderte er und nähte weiter. Er hatte einen elenden Tag, unser Schneider; aber das Elend, die andauernde Gesunkenheit seines Wesens, machte ihn müde, und er schlief besser, als man's hätte denken sollen. Frühmorgens erwachend, fühlte er sich erfrischter, gestärkter, und als er im Schein der Morgensonne die Situation überdachte, kam sie ihm schon viel weniger desperat vor; ja, zuletzt begann sogar schüchtern, aber süß, die Hoffnung sich wieder zu regen. Er freute sich, daß er seinem Vater noch acht Tage Zeit abge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/44
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/44>, abgerufen am 27.11.2024.