Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ein Pferd. Wir werden aber bald mehr bekommen. Unser alter Herr mag noch lange leben, wir erwerben uns jetzt schon selber immer mehr. "Wenn Ihr Euern Tobias jetzt sehen würdet, thätet Ihr Euch gewiß verwundern. Er hat seinen Bart stehen lassen, und sein Kopf ist röther und runder als sonst. Gedanken macht er sich nicht mehr so viel wie sonst, und die Schneiderei treibt er nur so viel wir's für uns nöthig haben; er geht seinen Gang fort und ist ein ganzer Bauer geworden. Zuweilen, des Abends oder auch des Nachts, reden wir von den alten Zeiten und freuen uns über die närrischen Sachen, die uns begegnet sind, und lachen laut mit einander. "Wenn ich manchmal wünsche, noch einmal nach Deutschland zu kommen, ist's nur, weil ich Euch nochmal sehen möchte, lieber Schwäher. Ihr habt mich so gut leiden können in der letzten Zeit und habt mich so freundlich behandelt, wie wir's Beide nicht geglaubt hätten nach dem ersten Diskurs, den wir mit einander gehabt haben in Eurem Garten -- wißt Ihr's noch? Es ist Alles viel besser gegangen, als wir gedacht haben! -- Nun lebet wohl und gebt uns Nachricht von Euch und grüßet unsere ganze Freundschaft von uns und auch den Herrn Pfarrer und die Frau Pfarrerin. Sie sind doch recht gut gewesen gegen mich, und ich werd' es ihnen mein Lebtag nicht vergessen." Daß diese Meldungen dem alten Eber in der Seele wohlthaten, kann man sich vorstellen. Aber es ein Pferd. Wir werden aber bald mehr bekommen. Unser alter Herr mag noch lange leben, wir erwerben uns jetzt schon selber immer mehr. „Wenn Ihr Euern Tobias jetzt sehen würdet, thätet Ihr Euch gewiß verwundern. Er hat seinen Bart stehen lassen, und sein Kopf ist röther und runder als sonst. Gedanken macht er sich nicht mehr so viel wie sonst, und die Schneiderei treibt er nur so viel wir's für uns nöthig haben; er geht seinen Gang fort und ist ein ganzer Bauer geworden. Zuweilen, des Abends oder auch des Nachts, reden wir von den alten Zeiten und freuen uns über die närrischen Sachen, die uns begegnet sind, und lachen laut mit einander. „Wenn ich manchmal wünsche, noch einmal nach Deutschland zu kommen, ist's nur, weil ich Euch nochmal sehen möchte, lieber Schwäher. Ihr habt mich so gut leiden können in der letzten Zeit und habt mich so freundlich behandelt, wie wir's Beide nicht geglaubt hätten nach dem ersten Diskurs, den wir mit einander gehabt haben in Eurem Garten — wißt Ihr's noch? Es ist Alles viel besser gegangen, als wir gedacht haben! — Nun lebet wohl und gebt uns Nachricht von Euch und grüßet unsere ganze Freundschaft von uns und auch den Herrn Pfarrer und die Frau Pfarrerin. Sie sind doch recht gut gewesen gegen mich, und ich werd' es ihnen mein Lebtag nicht vergessen.“ Daß diese Meldungen dem alten Eber in der Seele wohlthaten, kann man sich vorstellen. Aber es <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0209"/> ein Pferd. Wir werden aber bald mehr bekommen. Unser alter Herr mag noch lange leben, wir erwerben uns jetzt schon selber immer mehr.</p><lb/> <p>„Wenn Ihr Euern Tobias jetzt sehen würdet, thätet Ihr Euch gewiß verwundern. Er hat seinen Bart stehen lassen, und sein Kopf ist röther und runder als sonst. Gedanken macht er sich nicht mehr so viel wie sonst, und die Schneiderei treibt er nur so viel wir's für uns nöthig haben; er geht seinen Gang fort und ist ein ganzer Bauer geworden. Zuweilen, des Abends oder auch des Nachts, reden wir von den alten Zeiten und freuen uns über die närrischen Sachen, die uns begegnet sind, und lachen laut mit einander.</p><lb/> <p>„Wenn ich manchmal wünsche, noch einmal nach Deutschland zu kommen, ist's nur, weil ich Euch nochmal sehen möchte, lieber Schwäher. Ihr habt mich so gut leiden können in der letzten Zeit und habt mich so freundlich behandelt, wie wir's Beide nicht geglaubt hätten nach dem ersten Diskurs, den wir mit einander gehabt haben in Eurem Garten — wißt Ihr's noch? Es ist Alles viel besser gegangen, als wir gedacht haben! — Nun lebet wohl und gebt uns Nachricht von Euch und grüßet unsere ganze Freundschaft von uns und auch den Herrn Pfarrer und die Frau Pfarrerin. Sie sind doch recht gut gewesen gegen mich, und ich werd' es ihnen mein Lebtag nicht vergessen.“</p><lb/> <p>Daß diese Meldungen dem alten Eber in der Seele wohlthaten, kann man sich vorstellen. Aber es<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0209]
ein Pferd. Wir werden aber bald mehr bekommen. Unser alter Herr mag noch lange leben, wir erwerben uns jetzt schon selber immer mehr.
„Wenn Ihr Euern Tobias jetzt sehen würdet, thätet Ihr Euch gewiß verwundern. Er hat seinen Bart stehen lassen, und sein Kopf ist röther und runder als sonst. Gedanken macht er sich nicht mehr so viel wie sonst, und die Schneiderei treibt er nur so viel wir's für uns nöthig haben; er geht seinen Gang fort und ist ein ganzer Bauer geworden. Zuweilen, des Abends oder auch des Nachts, reden wir von den alten Zeiten und freuen uns über die närrischen Sachen, die uns begegnet sind, und lachen laut mit einander.
„Wenn ich manchmal wünsche, noch einmal nach Deutschland zu kommen, ist's nur, weil ich Euch nochmal sehen möchte, lieber Schwäher. Ihr habt mich so gut leiden können in der letzten Zeit und habt mich so freundlich behandelt, wie wir's Beide nicht geglaubt hätten nach dem ersten Diskurs, den wir mit einander gehabt haben in Eurem Garten — wißt Ihr's noch? Es ist Alles viel besser gegangen, als wir gedacht haben! — Nun lebet wohl und gebt uns Nachricht von Euch und grüßet unsere ganze Freundschaft von uns und auch den Herrn Pfarrer und die Frau Pfarrerin. Sie sind doch recht gut gewesen gegen mich, und ich werd' es ihnen mein Lebtag nicht vergessen.“
Daß diese Meldungen dem alten Eber in der Seele wohlthaten, kann man sich vorstellen. Aber es
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Zitationshilfe: | Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/209>, abgerufen am 26.06.2024. |