Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ist er wirklich so heikel, der junge Bursch -- oder hat er sein Aug' auf eine Andere geworfen? -- Die Pfarrerin schwieg hierauf, weil ihr nicht gleich eine in ihren Sinn passende Antwort einfiel; die Bäbe fühlte, daß ihr Gesicht hochroth war, und wendete sich ab, um in die Küche zu gehen. Die Verlegenheit dauerte indeß nur einen Moment; denn nach kurzer Pause klopfte es stark an die Thüre, wie Herren nicht zu klopfen pflegen, und auf das "Herein" des Geistlichen traten durch die geöffnete Thür der alte Schneider und Tobias. Beide waren in ihrem besten Staat; ihre Mienen ernst, feierlich, namentlich die des Alten. Etwas ungelenk, aber doch mit jener Würde, die der Bauer bei Gelegenheit anzunehmen pflegt, verneigte sich dieser und sagte: Guten Tag, Herr Pfarrer! Guten Tag, Frau Pfarrerin! -- Guten Tag, Eber, erwiderte der überraschte Herr, indem er die Beiden verwundert betrachtete. Was führt Euch zu mir? -- Der Alte trat einen Schritt näher und sprach: Eine eigene Sach', Herr Pfarrer -- mein Sohn will heirathen. Tobias ergriff jetzt seinerseits das Wort und sagte mit einigem Erröthen: Ja, Herr Pfarrer, das will ich. Die Pfarrerin sah staunend auf die zwei Leute, die offenbar einig waren, und wußte nicht, was sie denken sollte. Die Bäbe stand an der Seite wie angewurzelt, ihr Gesicht brannte, und ihre Brust bebte. Tobias hatte ihr keinen Blick zugeworfen -- der Vater Ist er wirklich so heikel, der junge Bursch — oder hat er sein Aug' auf eine Andere geworfen? — Die Pfarrerin schwieg hierauf, weil ihr nicht gleich eine in ihren Sinn passende Antwort einfiel; die Bäbe fühlte, daß ihr Gesicht hochroth war, und wendete sich ab, um in die Küche zu gehen. Die Verlegenheit dauerte indeß nur einen Moment; denn nach kurzer Pause klopfte es stark an die Thüre, wie Herren nicht zu klopfen pflegen, und auf das „Herein“ des Geistlichen traten durch die geöffnete Thür der alte Schneider und Tobias. Beide waren in ihrem besten Staat; ihre Mienen ernst, feierlich, namentlich die des Alten. Etwas ungelenk, aber doch mit jener Würde, die der Bauer bei Gelegenheit anzunehmen pflegt, verneigte sich dieser und sagte: Guten Tag, Herr Pfarrer! Guten Tag, Frau Pfarrerin! — Guten Tag, Eber, erwiderte der überraschte Herr, indem er die Beiden verwundert betrachtete. Was führt Euch zu mir? — Der Alte trat einen Schritt näher und sprach: Eine eigene Sach', Herr Pfarrer — mein Sohn will heirathen. Tobias ergriff jetzt seinerseits das Wort und sagte mit einigem Erröthen: Ja, Herr Pfarrer, das will ich. Die Pfarrerin sah staunend auf die zwei Leute, die offenbar einig waren, und wußte nicht, was sie denken sollte. Die Bäbe stand an der Seite wie angewurzelt, ihr Gesicht brannte, und ihre Brust bebte. Tobias hatte ihr keinen Blick zugeworfen — der Vater <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0194"/> Ist er wirklich so heikel, der junge Bursch — oder hat er sein Aug' auf eine Andere geworfen? —</p><lb/> <p>Die Pfarrerin schwieg hierauf, weil ihr nicht gleich eine in ihren Sinn passende Antwort einfiel; die Bäbe fühlte, daß ihr Gesicht hochroth war, und wendete sich ab, um in die Küche zu gehen. Die Verlegenheit dauerte indeß nur einen Moment; denn nach kurzer Pause klopfte es stark an die Thüre, wie Herren nicht zu klopfen pflegen, und auf das „Herein“ des Geistlichen traten durch die geöffnete Thür der alte Schneider und Tobias.</p><lb/> <p>Beide waren in ihrem besten Staat; ihre Mienen ernst, feierlich, namentlich die des Alten. Etwas ungelenk, aber doch mit jener Würde, die der Bauer bei Gelegenheit anzunehmen pflegt, verneigte sich dieser und sagte: Guten Tag, Herr Pfarrer! Guten Tag, Frau Pfarrerin! — Guten Tag, Eber, erwiderte der überraschte Herr, indem er die Beiden verwundert betrachtete. Was führt Euch zu mir? — Der Alte trat einen Schritt näher und sprach: Eine eigene Sach', Herr Pfarrer — mein Sohn will heirathen. Tobias ergriff jetzt seinerseits das Wort und sagte mit einigem Erröthen: Ja, Herr Pfarrer, das will ich.</p><lb/> <p>Die Pfarrerin sah staunend auf die zwei Leute, die offenbar einig waren, und wußte nicht, was sie denken sollte. Die Bäbe stand an der Seite wie angewurzelt, ihr Gesicht brannte, und ihre Brust bebte. Tobias hatte ihr keinen Blick zugeworfen — der Vater<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0194]
Ist er wirklich so heikel, der junge Bursch — oder hat er sein Aug' auf eine Andere geworfen? —
Die Pfarrerin schwieg hierauf, weil ihr nicht gleich eine in ihren Sinn passende Antwort einfiel; die Bäbe fühlte, daß ihr Gesicht hochroth war, und wendete sich ab, um in die Küche zu gehen. Die Verlegenheit dauerte indeß nur einen Moment; denn nach kurzer Pause klopfte es stark an die Thüre, wie Herren nicht zu klopfen pflegen, und auf das „Herein“ des Geistlichen traten durch die geöffnete Thür der alte Schneider und Tobias.
Beide waren in ihrem besten Staat; ihre Mienen ernst, feierlich, namentlich die des Alten. Etwas ungelenk, aber doch mit jener Würde, die der Bauer bei Gelegenheit anzunehmen pflegt, verneigte sich dieser und sagte: Guten Tag, Herr Pfarrer! Guten Tag, Frau Pfarrerin! — Guten Tag, Eber, erwiderte der überraschte Herr, indem er die Beiden verwundert betrachtete. Was führt Euch zu mir? — Der Alte trat einen Schritt näher und sprach: Eine eigene Sach', Herr Pfarrer — mein Sohn will heirathen. Tobias ergriff jetzt seinerseits das Wort und sagte mit einigem Erröthen: Ja, Herr Pfarrer, das will ich.
Die Pfarrerin sah staunend auf die zwei Leute, die offenbar einig waren, und wußte nicht, was sie denken sollte. Die Bäbe stand an der Seite wie angewurzelt, ihr Gesicht brannte, und ihre Brust bebte. Tobias hatte ihr keinen Blick zugeworfen — der Vater
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