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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Mit einem bis zur Sinnlosigkeit gesteigerten Grimm und einem Rachegefühl, das sich nur durch Vertilgung genügen konnte, sah er sich um und hieb mit der Scheere in den Spiegel an der Wand, daß er in tausend Trümmer zersprang. Heiser schrie er: Alles muß hin sein! -- ging über das benachbarte Kantenbrett her, und die Scherben von Krügen, Tellern und Schüsseln flogen klirrend auf den Boden. Er war förmlich rasend geworden. In einer Erregtheit, als ob alle Furien in ihm tobten, Schaum auf der Lippe, die Augen rollend, fuchtelte er mit seinem Instrument, schlug blind um sich, schlug die Hand in einen Splitter, daß das Blut heruntertroff, schimpfte und fluchte. -- Die Maßlosigkeit des Gebarens, der giftige Blick, das Schäumen des Mundes und das Zucken der Glieder machte förmlich den Eindruck des Gräßlichen.

Der Alte hatte während der Rede nichts einzuwenden gefunden -- er war von der Wahrheit, die in den Vorwürfen lag, getroffen. Als Tobias immer leidenschaftlicher wurde und endlich um sich schlug wie ein Besessener, erschrak er zu Tode, -- er hielt ihn für wirklich verrückt und ging, kein Auge von ihm verwendend, rückwärts und rückwärts. Der Bursche drang nach und fuchtelte wild -- der Alte sprang hinter den Ofen, ergriff einen Stuhl und hielt ihn als Schild vor.

So hatte sich denn das Blatt unerwartet, aber begreiflich, gewendet. In dem entsetzten Alten waren Stolz und Zorn so ganz und gar der Angst gewichen, daß er

Mit einem bis zur Sinnlosigkeit gesteigerten Grimm und einem Rachegefühl, das sich nur durch Vertilgung genügen konnte, sah er sich um und hieb mit der Scheere in den Spiegel an der Wand, daß er in tausend Trümmer zersprang. Heiser schrie er: Alles muß hin sein! — ging über das benachbarte Kantenbrett her, und die Scherben von Krügen, Tellern und Schüsseln flogen klirrend auf den Boden. Er war förmlich rasend geworden. In einer Erregtheit, als ob alle Furien in ihm tobten, Schaum auf der Lippe, die Augen rollend, fuchtelte er mit seinem Instrument, schlug blind um sich, schlug die Hand in einen Splitter, daß das Blut heruntertroff, schimpfte und fluchte. — Die Maßlosigkeit des Gebarens, der giftige Blick, das Schäumen des Mundes und das Zucken der Glieder machte förmlich den Eindruck des Gräßlichen.

Der Alte hatte während der Rede nichts einzuwenden gefunden — er war von der Wahrheit, die in den Vorwürfen lag, getroffen. Als Tobias immer leidenschaftlicher wurde und endlich um sich schlug wie ein Besessener, erschrak er zu Tode, — er hielt ihn für wirklich verrückt und ging, kein Auge von ihm verwendend, rückwärts und rückwärts. Der Bursche drang nach und fuchtelte wild — der Alte sprang hinter den Ofen, ergriff einen Stuhl und hielt ihn als Schild vor.

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[0174] Mit einem bis zur Sinnlosigkeit gesteigerten Grimm und einem Rachegefühl, das sich nur durch Vertilgung genügen konnte, sah er sich um und hieb mit der Scheere in den Spiegel an der Wand, daß er in tausend Trümmer zersprang. Heiser schrie er: Alles muß hin sein! — ging über das benachbarte Kantenbrett her, und die Scherben von Krügen, Tellern und Schüsseln flogen klirrend auf den Boden. Er war förmlich rasend geworden. In einer Erregtheit, als ob alle Furien in ihm tobten, Schaum auf der Lippe, die Augen rollend, fuchtelte er mit seinem Instrument, schlug blind um sich, schlug die Hand in einen Splitter, daß das Blut heruntertroff, schimpfte und fluchte. — Die Maßlosigkeit des Gebarens, der giftige Blick, das Schäumen des Mundes und das Zucken der Glieder machte förmlich den Eindruck des Gräßlichen. Der Alte hatte während der Rede nichts einzuwenden gefunden — er war von der Wahrheit, die in den Vorwürfen lag, getroffen. Als Tobias immer leidenschaftlicher wurde und endlich um sich schlug wie ein Besessener, erschrak er zu Tode, — er hielt ihn für wirklich verrückt und ging, kein Auge von ihm verwendend, rückwärts und rückwärts. Der Bursche drang nach und fuchtelte wild — der Alte sprang hinter den Ofen, ergriff einen Stuhl und hielt ihn als Schild vor. So hatte sich denn das Blatt unerwartet, aber begreiflich, gewendet. In dem entsetzten Alten waren Stolz und Zorn so ganz und gar der Angst gewichen, daß er

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/174>, abgerufen am 27.11.2024.