Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

hand vor einem Kegelplatz standen junge Leute und versuchten auf der unbedeckten, von den Wirthsleuten stiefmütterlich behandelten Bahn mehr ihr Glück als ihre Kunst, vollführten aber dabei nur einen um so fröhlichern Lärm. Links an einer Tafel saßen ältere Bursche, die sich mehr ans Trinken des kräftigen braunen Biers und an ergötzliches Gespräch hielten. Die Sonne war über die zarten Wolken, die sie Vormittags schleierartig umzogen hatten, völlig Herr geworden, der Garten stand im herrlichsten Frühsommerglanz, Laub und Gras leuchteten in den warmen Strahlen erlustigten sich Käfer und Fliegen und oben in der Luft weißbauchige Schwalben, die zwitschernd hin- und herflogen und auf- und abtauchten, wie in einem Bade. Die Natur war glücklich und die Menschen so vergnügt, wie es Bauern am Sonntag nur irgend sein können.

In der Unterhaltung der Trinker war eine kleine Ebbe eingetreten; aber im Schweigen saßen die tüchtigen Bursche so behaglich da wie vorher im Discurs. Als sie des Tobias ansichtig wurden, belebten sich die braunen Gesichter plötzlich, und mehrere Stimmen riefen wie aus Einem Munde: Ah, der Schneider! -- Es war eine eigene Mischung von Bosheit und Wohlwollen, womit sie den Ankömmling betrachteten; man konnte sagen: sie empfanden Wohlwollen gegen den, der ihrer Bosheit als Opfer entgegenkam! -- Als Tobias die Mienen sah, erkannte er sein Schicksal und lenkte seinen Schritt gegen die Kegelbahn. Da öffnete ein breitköpfiger, ur-

hand vor einem Kegelplatz standen junge Leute und versuchten auf der unbedeckten, von den Wirthsleuten stiefmütterlich behandelten Bahn mehr ihr Glück als ihre Kunst, vollführten aber dabei nur einen um so fröhlichern Lärm. Links an einer Tafel saßen ältere Bursche, die sich mehr ans Trinken des kräftigen braunen Biers und an ergötzliches Gespräch hielten. Die Sonne war über die zarten Wolken, die sie Vormittags schleierartig umzogen hatten, völlig Herr geworden, der Garten stand im herrlichsten Frühsommerglanz, Laub und Gras leuchteten in den warmen Strahlen erlustigten sich Käfer und Fliegen und oben in der Luft weißbauchige Schwalben, die zwitschernd hin- und herflogen und auf- und abtauchten, wie in einem Bade. Die Natur war glücklich und die Menschen so vergnügt, wie es Bauern am Sonntag nur irgend sein können.

In der Unterhaltung der Trinker war eine kleine Ebbe eingetreten; aber im Schweigen saßen die tüchtigen Bursche so behaglich da wie vorher im Discurs. Als sie des Tobias ansichtig wurden, belebten sich die braunen Gesichter plötzlich, und mehrere Stimmen riefen wie aus Einem Munde: Ah, der Schneider! — Es war eine eigene Mischung von Bosheit und Wohlwollen, womit sie den Ankömmling betrachteten; man konnte sagen: sie empfanden Wohlwollen gegen den, der ihrer Bosheit als Opfer entgegenkam! — Als Tobias die Mienen sah, erkannte er sein Schicksal und lenkte seinen Schritt gegen die Kegelbahn. Da öffnete ein breitköpfiger, ur-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0136"/>
hand vor einem Kegelplatz standen junge      Leute und versuchten auf der unbedeckten, von den Wirthsleuten stiefmütterlich behandelten Bahn      mehr ihr Glück als ihre Kunst, vollführten aber dabei nur einen um so fröhlichern Lärm. Links      an einer Tafel saßen ältere Bursche, die sich mehr ans Trinken des kräftigen braunen Biers und      an ergötzliches Gespräch hielten. Die Sonne war über die zarten Wolken, die sie Vormittags      schleierartig umzogen hatten, völlig Herr geworden, der Garten stand im herrlichsten      Frühsommerglanz, Laub und Gras leuchteten in den warmen Strahlen erlustigten sich Käfer und      Fliegen und oben in der Luft weißbauchige Schwalben, die zwitschernd hin- und herflogen und      auf- und abtauchten, wie in einem Bade. Die Natur war glücklich und die Menschen so vergnügt,      wie es Bauern am Sonntag nur irgend sein können.</p><lb/>
        <p>In der Unterhaltung der Trinker war eine kleine Ebbe eingetreten; aber im Schweigen saßen die      tüchtigen Bursche so behaglich da wie vorher im Discurs. Als sie des Tobias ansichtig wurden,      belebten sich die braunen Gesichter plötzlich, und mehrere Stimmen riefen wie aus Einem Munde:      Ah, der Schneider! &#x2014; Es war eine eigene Mischung von Bosheit und Wohlwollen, womit sie den      Ankömmling betrachteten; man konnte sagen: sie empfanden Wohlwollen gegen den, der ihrer      Bosheit als Opfer entgegenkam! &#x2014; Als Tobias die Mienen sah, erkannte er sein Schicksal und      lenkte seinen Schritt gegen die Kegelbahn. Da öffnete ein breitköpfiger, ur-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] hand vor einem Kegelplatz standen junge Leute und versuchten auf der unbedeckten, von den Wirthsleuten stiefmütterlich behandelten Bahn mehr ihr Glück als ihre Kunst, vollführten aber dabei nur einen um so fröhlichern Lärm. Links an einer Tafel saßen ältere Bursche, die sich mehr ans Trinken des kräftigen braunen Biers und an ergötzliches Gespräch hielten. Die Sonne war über die zarten Wolken, die sie Vormittags schleierartig umzogen hatten, völlig Herr geworden, der Garten stand im herrlichsten Frühsommerglanz, Laub und Gras leuchteten in den warmen Strahlen erlustigten sich Käfer und Fliegen und oben in der Luft weißbauchige Schwalben, die zwitschernd hin- und herflogen und auf- und abtauchten, wie in einem Bade. Die Natur war glücklich und die Menschen so vergnügt, wie es Bauern am Sonntag nur irgend sein können. In der Unterhaltung der Trinker war eine kleine Ebbe eingetreten; aber im Schweigen saßen die tüchtigen Bursche so behaglich da wie vorher im Discurs. Als sie des Tobias ansichtig wurden, belebten sich die braunen Gesichter plötzlich, und mehrere Stimmen riefen wie aus Einem Munde: Ah, der Schneider! — Es war eine eigene Mischung von Bosheit und Wohlwollen, womit sie den Ankömmling betrachteten; man konnte sagen: sie empfanden Wohlwollen gegen den, der ihrer Bosheit als Opfer entgegenkam! — Als Tobias die Mienen sah, erkannte er sein Schicksal und lenkte seinen Schritt gegen die Kegelbahn. Da öffnete ein breitköpfiger, ur-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/136
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/136>, abgerufen am 27.11.2024.