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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gruß mit auffälliger Miene dankte. Es war ein guter Mensch, aber jetzt lächelte er fast so, als ob er ihn auslachte. -- Nicht lange, so ging einer seiner frühern Widersacher an ihm vorüber. Dieser zeigte ein Gesicht, aus welchem die Schadenfreude ordentlich leuchtete, und Tobias sagte sich augenblicklich: man weiß es!

Darauf war er nicht vorbereitet. Sein Herz fing an zu pochen, Schamröthe übergoß ihn. Wenn es die Zwei wußten, dann wußte es das ganze Dorf -- und dann war Spott und Schande nicht zu vermeiden. -- Es half nichts, daß er sich die Möglichkeit vorhielt, seine Vermuthung könnte doch irrig sein. Ein drittes Gesicht von einem ältern Verwandten sprach viel zu deutlich. Er täuschte sich nicht. Es war ausgekommen -- Gott weiß wie! -- Die Leute wußten, daß er Schläge bekommen und warum, so sahen sie aus! --

Mit Gefühlen, die wenig Kirchliches hatten, trat er in das Gotteshaus ein und ging auf die "Borkirche" (Emporkirche) an seinen Platz unter den Ledigen. Er fürchtete, Aller Augen würden sich auf ihn richten, sah daher grad vor sich hin und gab sich die größte Mühe, seine Verlegenheit hinter einer feierlichen Miene zu verbergen. Mit dieser seiner Furcht ging er indeß zu weit; denn so wichtig erschien er im gegenwärtigen Augenblick der Gemeinde doch nicht, daß sie nur Augen für ihn haben sollte. Einige mitleidige Blicke von Seiten junger Bursche -- das war Alles, was er erreichte; und das dauerte nur einen Moment.

Gruß mit auffälliger Miene dankte. Es war ein guter Mensch, aber jetzt lächelte er fast so, als ob er ihn auslachte. — Nicht lange, so ging einer seiner frühern Widersacher an ihm vorüber. Dieser zeigte ein Gesicht, aus welchem die Schadenfreude ordentlich leuchtete, und Tobias sagte sich augenblicklich: man weiß es!

Darauf war er nicht vorbereitet. Sein Herz fing an zu pochen, Schamröthe übergoß ihn. Wenn es die Zwei wußten, dann wußte es das ganze Dorf — und dann war Spott und Schande nicht zu vermeiden. — Es half nichts, daß er sich die Möglichkeit vorhielt, seine Vermuthung könnte doch irrig sein. Ein drittes Gesicht von einem ältern Verwandten sprach viel zu deutlich. Er täuschte sich nicht. Es war ausgekommen — Gott weiß wie! — Die Leute wußten, daß er Schläge bekommen und warum, so sahen sie aus! —

Mit Gefühlen, die wenig Kirchliches hatten, trat er in das Gotteshaus ein und ging auf die „Borkirche“ (Emporkirche) an seinen Platz unter den Ledigen. Er fürchtete, Aller Augen würden sich auf ihn richten, sah daher grad vor sich hin und gab sich die größte Mühe, seine Verlegenheit hinter einer feierlichen Miene zu verbergen. Mit dieser seiner Furcht ging er indeß zu weit; denn so wichtig erschien er im gegenwärtigen Augenblick der Gemeinde doch nicht, daß sie nur Augen für ihn haben sollte. Einige mitleidige Blicke von Seiten junger Bursche — das war Alles, was er erreichte; und das dauerte nur einen Moment.

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[0133] Gruß mit auffälliger Miene dankte. Es war ein guter Mensch, aber jetzt lächelte er fast so, als ob er ihn auslachte. — Nicht lange, so ging einer seiner frühern Widersacher an ihm vorüber. Dieser zeigte ein Gesicht, aus welchem die Schadenfreude ordentlich leuchtete, und Tobias sagte sich augenblicklich: man weiß es! Darauf war er nicht vorbereitet. Sein Herz fing an zu pochen, Schamröthe übergoß ihn. Wenn es die Zwei wußten, dann wußte es das ganze Dorf — und dann war Spott und Schande nicht zu vermeiden. — Es half nichts, daß er sich die Möglichkeit vorhielt, seine Vermuthung könnte doch irrig sein. Ein drittes Gesicht von einem ältern Verwandten sprach viel zu deutlich. Er täuschte sich nicht. Es war ausgekommen — Gott weiß wie! — Die Leute wußten, daß er Schläge bekommen und warum, so sahen sie aus! — Mit Gefühlen, die wenig Kirchliches hatten, trat er in das Gotteshaus ein und ging auf die „Borkirche“ (Emporkirche) an seinen Platz unter den Ledigen. Er fürchtete, Aller Augen würden sich auf ihn richten, sah daher grad vor sich hin und gab sich die größte Mühe, seine Verlegenheit hinter einer feierlichen Miene zu verbergen. Mit dieser seiner Furcht ging er indeß zu weit; denn so wichtig erschien er im gegenwärtigen Augenblick der Gemeinde doch nicht, daß sie nur Augen für ihn haben sollte. Einige mitleidige Blicke von Seiten junger Bursche — das war Alles, was er erreichte; und das dauerte nur einen Moment.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/133>, abgerufen am 27.11.2024.