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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Zügen die frische Luft ein. Mit jedem Schritte fühlte er sich ruhiger, gesicherter, glücklicher. Der abnehmende Mond schien ihm ins Gesicht; aber das unter gewissen Umständen so seltsam wirkende, tiefromantische Gefühle ins Innere schauernde Licht machte auf den Erlös'ten nur einen erfreulichen Eindruck.

In die Hauptgasse einbiegend und im Schatten der Gebäude hinschlendernd, ward er frei von den letzten Spuren der Erregtheit, und seine Seele ging zurück in die Erlebnisse des Abends. Er vergegenwärtigte sich diese so deutlich, daß er sie ordentlich wiedererlebte. Er kam an im Hof und im Pfarrhaus; er ward in die Kammer getragen; er saß neben der Geliebten auf dem Schrein! -- Hier blieb die Phantasie haften. Es war doch schön, als er so neben ihr saß! -- und daß sie so gestört wurden, fatal, über alle Maßen fatal! -- Am Ende -- was hatten sie denn vor? -- Sie wollten sich heirathen; und weil man sie nicht zusammenließ, wollten sie berathen, was sie zu thun hätten, um doch ans Ziel zu gelangen! -- Kann man etwas Besseres thun, als sich heirathen? -- Wenn man sich aber heirathen will, dann muß man doch nothwendig vorher ein paarmal zusammen kommen und mit einander reden, und zwar allein und ungestört mit einander reden! --

Als seine Gedanken diesen Lauf genommen hatten, fand es Tobias schwer begreiflich, daß die Menschen zweien Liebenden aus ihrem heimlichen Zusammensein ein Verbrechen machen wollten. Ja, er fand es impertinent

Zügen die frische Luft ein. Mit jedem Schritte fühlte er sich ruhiger, gesicherter, glücklicher. Der abnehmende Mond schien ihm ins Gesicht; aber das unter gewissen Umständen so seltsam wirkende, tiefromantische Gefühle ins Innere schauernde Licht machte auf den Erlös'ten nur einen erfreulichen Eindruck.

In die Hauptgasse einbiegend und im Schatten der Gebäude hinschlendernd, ward er frei von den letzten Spuren der Erregtheit, und seine Seele ging zurück in die Erlebnisse des Abends. Er vergegenwärtigte sich diese so deutlich, daß er sie ordentlich wiedererlebte. Er kam an im Hof und im Pfarrhaus; er ward in die Kammer getragen; er saß neben der Geliebten auf dem Schrein! — Hier blieb die Phantasie haften. Es war doch schön, als er so neben ihr saß! — und daß sie so gestört wurden, fatal, über alle Maßen fatal! — Am Ende — was hatten sie denn vor? — Sie wollten sich heirathen; und weil man sie nicht zusammenließ, wollten sie berathen, was sie zu thun hätten, um doch ans Ziel zu gelangen! — Kann man etwas Besseres thun, als sich heirathen? — Wenn man sich aber heirathen will, dann muß man doch nothwendig vorher ein paarmal zusammen kommen und mit einander reden, und zwar allein und ungestört mit einander reden! —

Als seine Gedanken diesen Lauf genommen hatten, fand es Tobias schwer begreiflich, daß die Menschen zweien Liebenden aus ihrem heimlichen Zusammensein ein Verbrechen machen wollten. Ja, er fand es impertinent

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[0111] Zügen die frische Luft ein. Mit jedem Schritte fühlte er sich ruhiger, gesicherter, glücklicher. Der abnehmende Mond schien ihm ins Gesicht; aber das unter gewissen Umständen so seltsam wirkende, tiefromantische Gefühle ins Innere schauernde Licht machte auf den Erlös'ten nur einen erfreulichen Eindruck. In die Hauptgasse einbiegend und im Schatten der Gebäude hinschlendernd, ward er frei von den letzten Spuren der Erregtheit, und seine Seele ging zurück in die Erlebnisse des Abends. Er vergegenwärtigte sich diese so deutlich, daß er sie ordentlich wiedererlebte. Er kam an im Hof und im Pfarrhaus; er ward in die Kammer getragen; er saß neben der Geliebten auf dem Schrein! — Hier blieb die Phantasie haften. Es war doch schön, als er so neben ihr saß! — und daß sie so gestört wurden, fatal, über alle Maßen fatal! — Am Ende — was hatten sie denn vor? — Sie wollten sich heirathen; und weil man sie nicht zusammenließ, wollten sie berathen, was sie zu thun hätten, um doch ans Ziel zu gelangen! — Kann man etwas Besseres thun, als sich heirathen? — Wenn man sich aber heirathen will, dann muß man doch nothwendig vorher ein paarmal zusammen kommen und mit einander reden, und zwar allein und ungestört mit einander reden! — Als seine Gedanken diesen Lauf genommen hatten, fand es Tobias schwer begreiflich, daß die Menschen zweien Liebenden aus ihrem heimlichen Zusammensein ein Verbrechen machen wollten. Ja, er fand es impertinent

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/111>, abgerufen am 27.11.2024.