Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.liche, und das Bewußtsein, durch eine solche Leistung seinen Stand gerächt zu haben, verstärkte den Ausdruck des Triumphes auf seinem Gesicht durch einen Zusatz von Schelmerei, der ihn förmlich pikant erscheinen ließ. Die Dorfgenossen beobachteten ihn mit großem Vergnügen, und auch ein paar "Vettern" des Bauern konnten's nicht lassen, ihn lächelnd einen "verfluchten Kerl" zu nennen. Balthasar Eber war zweimal verheirathet und begrub die zweite Frau noch in den Dreißigen seines Lebens. Die erste war durch Sanftheit und Gutmüthigkeit fast ein Engel zu nennen, zartgebaut, hübsch und von Herzen fromm; die andere, von derber Constitution und selbstsüchtiger Gemüthsart, nöthigte den Mann zuweilen, ihr die Faust zu weisen, und einmal, seine Oberherrlichkeit thatkräftig festzustellen, wurde aber als tüchtiges Hausweib von ihm nicht weniger betrauert, als die Gute. Jede hatte ihm einen Sohn geschenkt. Der ältere, Tobias, war das Abbild der Mutter, der jüngere, nach dem Großvater Kasper genannt, ließ Vater und Mutter gleichmäßig erkennen. Tobias ist im Ries kein gewöhnlicher Name. Der Schneidersohn hatte ihn von einem nahen Verwandten seiner Mutter, der im "Württembergischen" ansässig war, woselbst er zu den "Frommen" gehörte. Dieser wackere Mann besuchte die Familie auch nach dem Tode seiner Base jährlich ein paarmal und arbeitete, nachdem die Bekehrung des alten Schneiders und seiner zweiten Ehe- liche, und das Bewußtsein, durch eine solche Leistung seinen Stand gerächt zu haben, verstärkte den Ausdruck des Triumphes auf seinem Gesicht durch einen Zusatz von Schelmerei, der ihn förmlich pikant erscheinen ließ. Die Dorfgenossen beobachteten ihn mit großem Vergnügen, und auch ein paar „Vettern“ des Bauern konnten's nicht lassen, ihn lächelnd einen „verfluchten Kerl“ zu nennen. Balthasar Eber war zweimal verheirathet und begrub die zweite Frau noch in den Dreißigen seines Lebens. Die erste war durch Sanftheit und Gutmüthigkeit fast ein Engel zu nennen, zartgebaut, hübsch und von Herzen fromm; die andere, von derber Constitution und selbstsüchtiger Gemüthsart, nöthigte den Mann zuweilen, ihr die Faust zu weisen, und einmal, seine Oberherrlichkeit thatkräftig festzustellen, wurde aber als tüchtiges Hausweib von ihm nicht weniger betrauert, als die Gute. Jede hatte ihm einen Sohn geschenkt. Der ältere, Tobias, war das Abbild der Mutter, der jüngere, nach dem Großvater Kasper genannt, ließ Vater und Mutter gleichmäßig erkennen. Tobias ist im Ries kein gewöhnlicher Name. Der Schneidersohn hatte ihn von einem nahen Verwandten seiner Mutter, der im „Württembergischen“ ansässig war, woselbst er zu den „Frommen“ gehörte. Dieser wackere Mann besuchte die Familie auch nach dem Tode seiner Base jährlich ein paarmal und arbeitete, nachdem die Bekehrung des alten Schneiders und seiner zweiten Ehe- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0011"/> liche, und das Bewußtsein, durch eine solche Leistung seinen Stand gerächt zu haben, verstärkte den Ausdruck des Triumphes auf seinem Gesicht durch einen Zusatz von Schelmerei, der ihn förmlich pikant erscheinen ließ. Die Dorfgenossen beobachteten ihn mit großem Vergnügen, und auch ein paar „Vettern“ des Bauern konnten's nicht lassen, ihn lächelnd einen „verfluchten Kerl“ zu nennen.</p><lb/> <p>Balthasar Eber war zweimal verheirathet und begrub die zweite Frau noch in den Dreißigen seines Lebens. Die erste war durch Sanftheit und Gutmüthigkeit fast ein Engel zu nennen, zartgebaut, hübsch und von Herzen fromm; die andere, von derber Constitution und selbstsüchtiger Gemüthsart, nöthigte den Mann zuweilen, ihr die Faust zu weisen, und einmal, seine Oberherrlichkeit thatkräftig festzustellen, wurde aber als tüchtiges Hausweib von ihm nicht weniger betrauert, als die Gute. Jede hatte ihm einen Sohn geschenkt. Der ältere, Tobias, war das Abbild der Mutter, der jüngere, nach dem Großvater Kasper genannt, ließ Vater und Mutter gleichmäßig erkennen.</p><lb/> <p>Tobias ist im Ries kein gewöhnlicher Name. Der Schneidersohn hatte ihn von einem nahen Verwandten seiner Mutter, der im „Württembergischen“ ansässig war, woselbst er zu den „Frommen“ gehörte. Dieser wackere Mann besuchte die Familie auch nach dem Tode seiner Base jährlich ein paarmal und arbeitete, nachdem die Bekehrung des alten Schneiders und seiner zweiten Ehe-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
liche, und das Bewußtsein, durch eine solche Leistung seinen Stand gerächt zu haben, verstärkte den Ausdruck des Triumphes auf seinem Gesicht durch einen Zusatz von Schelmerei, der ihn förmlich pikant erscheinen ließ. Die Dorfgenossen beobachteten ihn mit großem Vergnügen, und auch ein paar „Vettern“ des Bauern konnten's nicht lassen, ihn lächelnd einen „verfluchten Kerl“ zu nennen.
Balthasar Eber war zweimal verheirathet und begrub die zweite Frau noch in den Dreißigen seines Lebens. Die erste war durch Sanftheit und Gutmüthigkeit fast ein Engel zu nennen, zartgebaut, hübsch und von Herzen fromm; die andere, von derber Constitution und selbstsüchtiger Gemüthsart, nöthigte den Mann zuweilen, ihr die Faust zu weisen, und einmal, seine Oberherrlichkeit thatkräftig festzustellen, wurde aber als tüchtiges Hausweib von ihm nicht weniger betrauert, als die Gute. Jede hatte ihm einen Sohn geschenkt. Der ältere, Tobias, war das Abbild der Mutter, der jüngere, nach dem Großvater Kasper genannt, ließ Vater und Mutter gleichmäßig erkennen.
Tobias ist im Ries kein gewöhnlicher Name. Der Schneidersohn hatte ihn von einem nahen Verwandten seiner Mutter, der im „Württembergischen“ ansässig war, woselbst er zu den „Frommen“ gehörte. Dieser wackere Mann besuchte die Familie auch nach dem Tode seiner Base jährlich ein paarmal und arbeitete, nachdem die Bekehrung des alten Schneiders und seiner zweiten Ehe-
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