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Meyfart, Johann Matthäus: Teutsche Rhetorica. Coburg, 1634.

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Das 16. Cap. der
Flüchtigkeit
dieses Le-
bens.

Wir sterben täglich/ vnd zu allen stun-
den entgehet vns ein Stück deß Lebens/
sintemahl in dem wir wachsen/ nehmen
wir ab/ vnd müssen die Augenblicke mit dem
Tode theilen. Bilde dir vor eine Stund-
Vhr/ entweder von Wasser/ wie bey den Al-
ten/ oder von Sand/ wie bey den Jungen.
Wird nicht durch den Abfall der Tröpff-
lein vnd Stäublein das oberste Theil aus-
gelehret/ vnd das vnterste gefüllet? Eben
dieses bedencke von vnsern Leben: Durch al-
le vnd jede Augenblicke fället etwas dahin/
vnd wird das gegenwertige Leben ausgeleh-
ret vnd verflösset. O wir armen Menschen!
Wir bemühen vns selbsten vnd treiben fort
vnsere Jahre/ der hundert Theil deß Lebens
trucket vnd treibet den fördern/ vnd sol doch
selbst von den folgenden getrucket vnd ge-
trieben werden. Dergestalt ist allhier nichts
sicher/ kein Stunde ist vor der andern Stun-
de/ kein Augenblick vor dem andern Augen-
blick befreyet/ vnd leben doch vnterdessen da-
hin/ als wolten wir ewig leben/ da wir doch
alle Stunde sterben.

Wann an allen Orten sausen die Win-

de der
Das 16. Cap. der
Fluͤchtigkeit
dieſes Le-
bens.

Wir ſterben taͤglich/ vnd zu allen ſtun-
den entgehet vns ein Stuͤck deß Lebens/
ſintemahl in dem wir wachſen/ nehmen
wir ab/ vnd muͤſſen die Augenblicke mit dem
Tode theilen. Bilde dir vor eine Stund-
Vhr/ entweder von Waſſer/ wie bey den Al-
ten/ oder von Sand/ wie bey den Jungen.
Wird nicht durch den Abfall der Troͤpff-
lein vnd Staͤublein das oberſte Theil aus-
gelehret/ vnd das vnterſte gefuͤllet? Eben
dieſes bedencke von vnſern Leben: Durch al-
le vnd jede Augenblicke faͤllet etwas dahin/
vnd wird das gegenwertige Leben ausgeleh-
ret vnd verfloͤſſet. O wir armen Menſchen!
Wir bemuͤhen vns ſelbſten vnd treiben fort
vnſere Jahre/ der hundert Theil deß Lebens
trucket vnd treibet den foͤrdern/ vnd ſol doch
ſelbſt von den folgenden getrucket vnd ge-
trieben werden. Dergeſtalt iſt allhier nichts
ſicher/ kein Stunde iſt vor der andern Stun-
de/ kein Augenblick vor dem andern Augen-
blick befreyet/ vnd leben doch vnterdeſſen da-
hin/ als wolten wir ewig leben/ da wir doch
alle Stunde ſterben.

Wann an allen Orten ſauſen die Win-

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[164/0184] Das 16. Cap. der Wir ſterben taͤglich/ vnd zu allen ſtun- den entgehet vns ein Stuͤck deß Lebens/ ſintemahl in dem wir wachſen/ nehmen wir ab/ vnd muͤſſen die Augenblicke mit dem Tode theilen. Bilde dir vor eine Stund- Vhr/ entweder von Waſſer/ wie bey den Al- ten/ oder von Sand/ wie bey den Jungen. Wird nicht durch den Abfall der Troͤpff- lein vnd Staͤublein das oberſte Theil aus- gelehret/ vnd das vnterſte gefuͤllet? Eben dieſes bedencke von vnſern Leben: Durch al- le vnd jede Augenblicke faͤllet etwas dahin/ vnd wird das gegenwertige Leben ausgeleh- ret vnd verfloͤſſet. O wir armen Menſchen! Wir bemuͤhen vns ſelbſten vnd treiben fort vnſere Jahre/ der hundert Theil deß Lebens trucket vnd treibet den foͤrdern/ vnd ſol doch ſelbſt von den folgenden getrucket vnd ge- trieben werden. Dergeſtalt iſt allhier nichts ſicher/ kein Stunde iſt vor der andern Stun- de/ kein Augenblick vor dem andern Augen- blick befreyet/ vnd leben doch vnterdeſſen da- hin/ als wolten wir ewig leben/ da wir doch alle Stunde ſterben. Wann an allen Orten ſauſen die Win- de der

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Zitationshilfe: Meyfart, Johann Matthäus: Teutsche Rhetorica. Coburg, 1634, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyfart_rhetorica_1634/184>, abgerufen am 03.05.2024.