Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.Der grossen und seligen Menge und Schwere ihrer Sünden undbetrübten Seelenzustandes, blieben aber im Gedächtniß nicht stille und müßig, sondern drangen in das Jnnerste der Seele, erfüll- ten das Herze, und griffen es mit allen Af- fecten und Gemüthsbewegungen aufs em- pfindlichste an, und setzten sie in die demü- thigste und zerschmelzteste Verlegenheit, Angst und Traurigkeit. O wie wehe thate es nun der Seele nicht! daß sie den GOtt des Heyls so schändlich betrübet und verlas- sen. Wie bange wurde dem Geist nicht! daß der freundliche Heyland mit denen so grossen anerbottenen Seligkeiten mit Füs- sen getretten und verworfen worden. Wie zitternd, bebend und beklemmt war das Gewissen nicht! daß die schreckhaften Dro- hungen GOttes weder gefürchtet, noch die liebreichen Verheissungen etwas geachtet worden. Diese Traurigkeit brach aus in eine rechte Thränenflut, sie konnte mit Da- vid sagen: Psalm 6:7. Jch bin so müde von Seufzen, ich schwemme mein Bette die ganze Nacht, und netze mit meinen Thränen mein Lager. So schenkte also der HErr dieser Per- rich-
Der groſſen und ſeligen Menge und Schwere ihrer Suͤnden undbetruͤbten Seelenzuſtandes, blieben aber im Gedaͤchtniß nicht ſtille und muͤßig, ſondern drangen in das Jnnerſte der Seele, erfuͤll- ten das Herze, und griffen es mit allen Af- fecten und Gemuͤthsbewegungen aufs em- pfindlichſte an, und ſetzten ſie in die demuͤ- thigſte und zerſchmelzteſte Verlegenheit, Angſt und Traurigkeit. O wie wehe thate es nun der Seele nicht! daß ſie den GOtt des Heyls ſo ſchaͤndlich betruͤbet und verlaſ- ſen. Wie bange wurde dem Geiſt nicht! daß der freundliche Heyland mit denen ſo groſſen anerbottenen Seligkeiten mit Fuͤſ- ſen getretten und verworfen worden. Wie zitternd, bebend und beklemmt war das Gewiſſen nicht! daß die ſchreckhaften Dro- hungen GOttes weder gefuͤrchtet, noch die liebreichen Verheiſſungen etwas geachtet worden. Dieſe Traurigkeit brach aus in eine rechte Thraͤnenflut, ſie konnte mit Da- vid ſagen: Pſalm 6:7. Jch bin ſo muͤde von Seufzen, ich ſchwemme mein Bette die ganze Nacht, und netze mit meinen Thraͤnen mein Lager. So ſchenkte alſo der HErr dieſer Per- rich-
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Der groſſen und ſeligen
Menge und Schwere ihrer Suͤnden und
betruͤbten Seelenzuſtandes, blieben aber im
Gedaͤchtniß nicht ſtille und muͤßig, ſondern
drangen in das Jnnerſte der Seele, erfuͤll-
ten das Herze, und griffen es mit allen Af-
fecten und Gemuͤthsbewegungen aufs em-
pfindlichſte an, und ſetzten ſie in die demuͤ-
thigſte und zerſchmelzteſte Verlegenheit,
Angſt und Traurigkeit. O wie wehe thate
es nun der Seele nicht! daß ſie den GOtt
des Heyls ſo ſchaͤndlich betruͤbet und verlaſ-
ſen. Wie bange wurde dem Geiſt nicht!
daß der freundliche Heyland mit denen ſo
groſſen anerbottenen Seligkeiten mit Fuͤſ-
ſen getretten und verworfen worden. Wie
zitternd, bebend und beklemmt war das
Gewiſſen nicht! daß die ſchreckhaften Dro-
hungen GOttes weder gefuͤrchtet, noch die
liebreichen Verheiſſungen etwas geachtet
worden. Dieſe Traurigkeit brach aus in
eine rechte Thraͤnenflut, ſie konnte mit Da-
vid ſagen: Pſalm 6:7. Jch bin ſo muͤde
von Seufzen, ich ſchwemme mein
Bette die ganze Nacht, und netze mit
meinen Thraͤnen mein Lager.
So ſchenkte alſo der HErr dieſer Per-
ſon ein ganzes Maaß von Traurigkeit, und
fuͤllete den Thraͤnenbecher bis oben an.
Viele Seelen werden oͤfters in ihrem Buß-
kampf verlegen, und zweifeln an der Auf-
rich-
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