Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.Thaten der Gnade. III. Stück. vor sich einen Menschen, der in den heftig-sten Schmerzen, und unter dem Anfalle ei- ner recht wütenden Krankheit wie ein Wurm sich welzete, aber der noch weit heftiger an seiner Seele und an seinem Gewissen ange- griffen war, und der unter dem schmerz- haftesten Gefühl des geistlichen Todes und Unterganges range, der einem in dem blu- tigsten Kampf sich befindenden Streiter ähn- lich war, welcher von seinem Feinde über- mannet ist, aber der das äusserste anwendet, und das letzte abwarten will, ehe er sich er- giebet. Man sahe an dieser Person die Schrecknisse des HErrn, sie lag da als ein geistlich und leiblich Abgematterter, der sich müde gerungen, der nach Hülfe und nach Trost lächzete. Als sie den Prediger er- blickte, freute sie sich sehr empfindlich. So groß die Schwachheit war, und sehr die Kräfte abgemattet, so ermunterte sie sich so viel als möglich, um ihr Herze, das so voll war, recht ausschütten zu können. Sie fieng das, was sie dem Prediger erzählen wollte, mit dem wichtigen Spruche an: Esai. 26:9. Wenn deine Gerichte im Lande gehen, so lernen die Einwoh- ner des Erdencreises Gerechtigkeit. Erklärte in etwas diesen Spruch, und eig- nete denselben sehr wohl auf ihren gegen- wärtigen Zustand. Da
Thaten der Gnade. III. Stuͤck. vor ſich einen Menſchen, der in den heftig-ſten Schmerzen, und unter dem Anfalle ei- ner recht wuͤtenden Krankheit wie ein Wurm ſich welzete, aber der noch weit heftiger an ſeiner Seele und an ſeinem Gewiſſen ange- griffen war, und der unter dem ſchmerz- hafteſten Gefuͤhl des geiſtlichen Todes und Unterganges range, der einem in dem blu- tigſten Kampf ſich befindenden Streiter aͤhn- lich war, welcher von ſeinem Feinde uͤber- mannet iſt, aber der das aͤuſſerſte anwendet, und das letzte abwarten will, ehe er ſich er- giebet. Man ſahe an dieſer Perſon die Schreckniſſe des HErrn, ſie lag da als ein geiſtlich und leiblich Abgematterter, der ſich muͤde gerungen, der nach Huͤlfe und nach Troſt laͤchzete. Als ſie den Prediger er- blickte, freute ſie ſich ſehr empfindlich. So groß die Schwachheit war, und ſehr die Kraͤfte abgemattet, ſo ermunterte ſie ſich ſo viel als moͤglich, um ihr Herze, das ſo voll war, recht ausſchuͤtten zu koͤnnen. Sie fieng das, was ſie dem Prediger erzaͤhlen wollte, mit dem wichtigen Spruche an: Eſai. 26:9. Wenn deine Gerichte im Lande gehen, ſo lernen die Einwoh- ner des Erdencreiſes Gerechtigkeit. Erklaͤrte in etwas dieſen Spruch, und eig- nete denſelben ſehr wohl auf ihren gegen- waͤrtigen Zuſtand. Da
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Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
vor ſich einen Menſchen, der in den heftig-
ſten Schmerzen, und unter dem Anfalle ei-
ner recht wuͤtenden Krankheit wie ein Wurm
ſich welzete, aber der noch weit heftiger an
ſeiner Seele und an ſeinem Gewiſſen ange-
griffen war, und der unter dem ſchmerz-
hafteſten Gefuͤhl des geiſtlichen Todes und
Unterganges range, der einem in dem blu-
tigſten Kampf ſich befindenden Streiter aͤhn-
lich war, welcher von ſeinem Feinde uͤber-
mannet iſt, aber der das aͤuſſerſte anwendet,
und das letzte abwarten will, ehe er ſich er-
giebet. Man ſahe an dieſer Perſon die
Schreckniſſe des HErrn, ſie lag da als ein
geiſtlich und leiblich Abgematterter, der ſich
muͤde gerungen, der nach Huͤlfe und nach
Troſt laͤchzete. Als ſie den Prediger er-
blickte, freute ſie ſich ſehr empfindlich. So
groß die Schwachheit war, und ſehr die
Kraͤfte abgemattet, ſo ermunterte ſie ſich ſo
viel als moͤglich, um ihr Herze, das ſo voll
war, recht ausſchuͤtten zu koͤnnen. Sie
fieng das, was ſie dem Prediger erzaͤhlen
wollte, mit dem wichtigen Spruche an:
Eſai. 26:9. Wenn deine Gerichte im
Lande gehen, ſo lernen die Einwoh-
ner des Erdencreiſes Gerechtigkeit.
Erklaͤrte in etwas dieſen Spruch, und eig-
nete denſelben ſehr wohl auf ihren gegen-
waͤrtigen Zuſtand.
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