Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite
Der grossen und seligen

Sie gienge also eine geraume Zeit in ei-
ner grossen Traurigkeit und einem schmerz-
haften Leidwesen über ihre Sünden fort,
seufzete und kämpfte ängstiglich, stellte vie-
lerley Uebungen an, und wollte durch ge-
setzliche Wege, und durch eiferige Bemü-
hungen in denselben die Ruhe der Seele und
den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar-
beitete sich aber recht müde und matt, und
die arme Seele konnte nicht nur keine Be-
freyung von ihrer schweren Last kriegen,
sondern wurde immer tiefer in die Unruhe
geführet, weilen sie zur Zeit weder den Ruhe-
bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord-
nung wußte, wie man aus demselben alles
umsonst und aus freyer Gnade in einem von
allem eigenen ausgeleerten demüthigen und
gläubigen Herzen nehmen müsse.

Es fehlen die Menschen in dem Werk
der Gnade auf zweyerley Weise. Einige
wollen allzufrühzeitig mit ungewaschenen
Händen zugreifen. Wenn sie eine vorüber-
gehende Bewegung und Rührung fühlen,
wenn sie etwann über ihre Sünden ein we-
nig angegriffen, und zu ein paar Thränen
bewogen werden, wenn ein äusserer Vor-
satz zu Gutem da ist, wenn sie etwas von
der Sprache Canaans nachschwätzen geler-
net, zu denen Frommen laufen, und äus-
serlich mit machen; so sind sie alsobald fer-

tig,
Der groſſen und ſeligen

Sie gienge alſo eine geraume Zeit in ei-
ner groſſen Traurigkeit und einem ſchmerz-
haften Leidweſen uͤber ihre Suͤnden fort,
ſeufzete und kaͤmpfte aͤngſtiglich, ſtellte vie-
lerley Uebungen an, und wollte durch ge-
ſetzliche Wege, und durch eiferige Bemuͤ-
hungen in denſelben die Ruhe der Seele und
den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar-
beitete ſich aber recht muͤde und matt, und
die arme Seele konnte nicht nur keine Be-
freyung von ihrer ſchweren Laſt kriegen,
ſondern wurde immer tiefer in die Unruhe
gefuͤhret, weilen ſie zur Zeit weder den Ruhe-
bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord-
nung wußte, wie man aus demſelben alles
umſonſt und aus freyer Gnade in einem von
allem eigenen ausgeleerten demuͤthigen und
glaͤubigen Herzen nehmen muͤſſe.

Es fehlen die Menſchen in dem Werk
der Gnade auf zweyerley Weiſe. Einige
wollen allzufruͤhzeitig mit ungewaſchenen
Haͤnden zugreifen. Wenn ſie eine voruͤber-
gehende Bewegung und Ruͤhrung fuͤhlen,
wenn ſie etwann uͤber ihre Suͤnden ein we-
nig angegriffen, und zu ein paar Thraͤnen
bewogen werden, wenn ein aͤuſſerer Vor-
ſatz zu Gutem da iſt, wenn ſie etwas von
der Sprache Canaans nachſchwaͤtzen geler-
net, zu denen Frommen laufen, und aͤuſ-
ſerlich mit machen; ſo ſind ſie alſobald fer-

tig,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0196" n="144"/>
        <fw place="top" type="header">Der gro&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;eligen</fw><lb/>
        <p>Sie gienge al&#x017F;o eine geraume Zeit in ei-<lb/>
ner gro&#x017F;&#x017F;en Traurigkeit und einem &#x017F;chmerz-<lb/>
haften Leidwe&#x017F;en u&#x0364;ber ihre Su&#x0364;nden fort,<lb/>
&#x017F;eufzete und ka&#x0364;mpfte a&#x0364;ng&#x017F;tiglich, &#x017F;tellte vie-<lb/>
lerley Uebungen an, und wollte durch ge-<lb/>
&#x017F;etzliche Wege, und durch eiferige Bemu&#x0364;-<lb/>
hungen in den&#x017F;elben die Ruhe der Seele und<lb/>
den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar-<lb/>
beitete &#x017F;ich aber recht mu&#x0364;de und matt, und<lb/>
die arme Seele konnte nicht nur keine Be-<lb/>
freyung von ihrer &#x017F;chweren La&#x017F;t kriegen,<lb/>
&#x017F;ondern wurde immer tiefer in die Unruhe<lb/>
gefu&#x0364;hret, weilen &#x017F;ie zur Zeit weder den Ruhe-<lb/>
bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord-<lb/>
nung wußte, wie man aus dem&#x017F;elben alles<lb/>
um&#x017F;on&#x017F;t und aus freyer Gnade in einem von<lb/>
allem eigenen ausgeleerten demu&#x0364;thigen und<lb/>
gla&#x0364;ubigen Herzen nehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Es fehlen die Men&#x017F;chen in dem Werk<lb/>
der Gnade auf zweyerley Wei&#x017F;e. Einige<lb/>
wollen allzufru&#x0364;hzeitig mit ungewa&#x017F;chenen<lb/>
Ha&#x0364;nden zugreifen. Wenn &#x017F;ie eine voru&#x0364;ber-<lb/>
gehende Bewegung und Ru&#x0364;hrung fu&#x0364;hlen,<lb/>
wenn &#x017F;ie etwann u&#x0364;ber ihre Su&#x0364;nden ein we-<lb/>
nig angegriffen, und zu ein paar Thra&#x0364;nen<lb/>
bewogen werden, wenn ein a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer Vor-<lb/>
&#x017F;atz zu Gutem da i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie etwas von<lb/>
der Sprache Canaans nach&#x017F;chwa&#x0364;tzen geler-<lb/>
net, zu denen Frommen laufen, und a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erlich mit machen; &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie al&#x017F;obald fer-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tig,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0196] Der groſſen und ſeligen Sie gienge alſo eine geraume Zeit in ei- ner groſſen Traurigkeit und einem ſchmerz- haften Leidweſen uͤber ihre Suͤnden fort, ſeufzete und kaͤmpfte aͤngſtiglich, ſtellte vie- lerley Uebungen an, und wollte durch ge- ſetzliche Wege, und durch eiferige Bemuͤ- hungen in denſelben die Ruhe der Seele und den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar- beitete ſich aber recht muͤde und matt, und die arme Seele konnte nicht nur keine Be- freyung von ihrer ſchweren Laſt kriegen, ſondern wurde immer tiefer in die Unruhe gefuͤhret, weilen ſie zur Zeit weder den Ruhe- bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord- nung wußte, wie man aus demſelben alles umſonſt und aus freyer Gnade in einem von allem eigenen ausgeleerten demuͤthigen und glaͤubigen Herzen nehmen muͤſſe. Es fehlen die Menſchen in dem Werk der Gnade auf zweyerley Weiſe. Einige wollen allzufruͤhzeitig mit ungewaſchenen Haͤnden zugreifen. Wenn ſie eine voruͤber- gehende Bewegung und Ruͤhrung fuͤhlen, wenn ſie etwann uͤber ihre Suͤnden ein we- nig angegriffen, und zu ein paar Thraͤnen bewogen werden, wenn ein aͤuſſerer Vor- ſatz zu Gutem da iſt, wenn ſie etwas von der Sprache Canaans nachſchwaͤtzen geler- net, zu denen Frommen laufen, und aͤuſ- ſerlich mit machen; ſo ſind ſie alſobald fer- tig,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/196
Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/196>, abgerufen am 28.04.2024.