Sie gienge also eine geraume Zeit in ei- ner grossen Traurigkeit und einem schmerz- haften Leidwesen über ihre Sünden fort, seufzete und kämpfte ängstiglich, stellte vie- lerley Uebungen an, und wollte durch ge- setzliche Wege, und durch eiferige Bemü- hungen in denselben die Ruhe der Seele und den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar- beitete sich aber recht müde und matt, und die arme Seele konnte nicht nur keine Be- freyung von ihrer schweren Last kriegen, sondern wurde immer tiefer in die Unruhe geführet, weilen sie zur Zeit weder den Ruhe- bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord- nung wußte, wie man aus demselben alles umsonst und aus freyer Gnade in einem von allem eigenen ausgeleerten demüthigen und gläubigen Herzen nehmen müsse.
Es fehlen die Menschen in dem Werk der Gnade auf zweyerley Weise. Einige wollen allzufrühzeitig mit ungewaschenen Händen zugreifen. Wenn sie eine vorüber- gehende Bewegung und Rührung fühlen, wenn sie etwann über ihre Sünden ein we- nig angegriffen, und zu ein paar Thränen bewogen werden, wenn ein äusserer Vor- satz zu Gutem da ist, wenn sie etwas von der Sprache Canaans nachschwätzen geler- net, zu denen Frommen laufen, und äus- serlich mit machen; so sind sie alsobald fer-
tig,
Der groſſen und ſeligen
Sie gienge alſo eine geraume Zeit in ei- ner groſſen Traurigkeit und einem ſchmerz- haften Leidweſen uͤber ihre Suͤnden fort, ſeufzete und kaͤmpfte aͤngſtiglich, ſtellte vie- lerley Uebungen an, und wollte durch ge- ſetzliche Wege, und durch eiferige Bemuͤ- hungen in denſelben die Ruhe der Seele und den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar- beitete ſich aber recht muͤde und matt, und die arme Seele konnte nicht nur keine Be- freyung von ihrer ſchweren Laſt kriegen, ſondern wurde immer tiefer in die Unruhe gefuͤhret, weilen ſie zur Zeit weder den Ruhe- bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord- nung wußte, wie man aus demſelben alles umſonſt und aus freyer Gnade in einem von allem eigenen ausgeleerten demuͤthigen und glaͤubigen Herzen nehmen muͤſſe.
Es fehlen die Menſchen in dem Werk der Gnade auf zweyerley Weiſe. Einige wollen allzufruͤhzeitig mit ungewaſchenen Haͤnden zugreifen. Wenn ſie eine voruͤber- gehende Bewegung und Ruͤhrung fuͤhlen, wenn ſie etwann uͤber ihre Suͤnden ein we- nig angegriffen, und zu ein paar Thraͤnen bewogen werden, wenn ein aͤuſſerer Vor- ſatz zu Gutem da iſt, wenn ſie etwas von der Sprache Canaans nachſchwaͤtzen geler- net, zu denen Frommen laufen, und aͤuſ- ſerlich mit machen; ſo ſind ſie alſobald fer-
tig,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0196"n="144"/><fwplace="top"type="header">Der groſſen und ſeligen</fw><lb/><p>Sie gienge alſo eine geraume Zeit in ei-<lb/>
ner groſſen Traurigkeit und einem ſchmerz-<lb/>
haften Leidweſen uͤber ihre Suͤnden fort,<lb/>ſeufzete und kaͤmpfte aͤngſtiglich, ſtellte vie-<lb/>
lerley Uebungen an, und wollte durch ge-<lb/>ſetzliche Wege, und durch eiferige Bemuͤ-<lb/>
hungen in denſelben die Ruhe der Seele und<lb/>
den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar-<lb/>
beitete ſich aber recht muͤde und matt, und<lb/>
die arme Seele konnte nicht nur keine Be-<lb/>
freyung von ihrer ſchweren Laſt kriegen,<lb/>ſondern wurde immer tiefer in die Unruhe<lb/>
gefuͤhret, weilen ſie zur Zeit weder den Ruhe-<lb/>
bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord-<lb/>
nung wußte, wie man aus demſelben alles<lb/>
umſonſt und aus freyer Gnade in einem von<lb/>
allem eigenen ausgeleerten demuͤthigen und<lb/>
glaͤubigen Herzen nehmen muͤſſe.</p><lb/><p>Es fehlen die Menſchen in dem Werk<lb/>
der Gnade auf zweyerley Weiſe. Einige<lb/>
wollen allzufruͤhzeitig mit ungewaſchenen<lb/>
Haͤnden zugreifen. Wenn ſie eine voruͤber-<lb/>
gehende Bewegung und Ruͤhrung fuͤhlen,<lb/>
wenn ſie etwann uͤber ihre Suͤnden ein we-<lb/>
nig angegriffen, und zu ein paar Thraͤnen<lb/>
bewogen werden, wenn ein aͤuſſerer Vor-<lb/>ſatz zu Gutem da iſt, wenn ſie etwas von<lb/>
der Sprache Canaans nachſchwaͤtzen geler-<lb/>
net, zu denen Frommen laufen, und aͤuſ-<lb/>ſerlich mit machen; ſo ſind ſie alſobald fer-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">tig,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[144/0196]
Der groſſen und ſeligen
Sie gienge alſo eine geraume Zeit in ei-
ner groſſen Traurigkeit und einem ſchmerz-
haften Leidweſen uͤber ihre Suͤnden fort,
ſeufzete und kaͤmpfte aͤngſtiglich, ſtellte vie-
lerley Uebungen an, und wollte durch ge-
ſetzliche Wege, und durch eiferige Bemuͤ-
hungen in denſelben die Ruhe der Seele und
den Frieden mit GOtt erzwingen. Sie ar-
beitete ſich aber recht muͤde und matt, und
die arme Seele konnte nicht nur keine Be-
freyung von ihrer ſchweren Laſt kriegen,
ſondern wurde immer tiefer in die Unruhe
gefuͤhret, weilen ſie zur Zeit weder den Ruhe-
bringer recht lebendig erkannte, noch die Ord-
nung wußte, wie man aus demſelben alles
umſonſt und aus freyer Gnade in einem von
allem eigenen ausgeleerten demuͤthigen und
glaͤubigen Herzen nehmen muͤſſe.
Es fehlen die Menſchen in dem Werk
der Gnade auf zweyerley Weiſe. Einige
wollen allzufruͤhzeitig mit ungewaſchenen
Haͤnden zugreifen. Wenn ſie eine voruͤber-
gehende Bewegung und Ruͤhrung fuͤhlen,
wenn ſie etwann uͤber ihre Suͤnden ein we-
nig angegriffen, und zu ein paar Thraͤnen
bewogen werden, wenn ein aͤuſſerer Vor-
ſatz zu Gutem da iſt, wenn ſie etwas von
der Sprache Canaans nachſchwaͤtzen geler-
net, zu denen Frommen laufen, und aͤuſ-
ſerlich mit machen; ſo ſind ſie alſobald fer-
tig,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/196>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.