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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Thaten der Gnade. II. Stück.
JEsu, ihres guten Freundes eilen möchte.
Mit einem Worte: alles mußte ihr durch
dieses Leiden entrissen werden, worauf sie
aussert GOtt gebauet, alle Wege der Eigen-
heit mußten ihr verzäunet werden, damit
ihr nichts mehr übrig bleibe, als GOtt,
und der Weg, darauf man in seinem Sohn
seine Gnade und Versöhnung suchet. Und
so sollte dieses Creutz das Liebesseil seyn,
wodurch diese Seele zum Leben und zur
Vollendung sollte gezogen werden.

So gut meynt es der HErr unter dem
Creutze, so heilig und selig sind seine Absich-
ten, und so göttlichklug seine Führungen,
auch in denen Wegen, die dem Fleische und
der Vernunft am verwirrtesten und dunkel-
sten scheinen. O möchten es doch die Men-
schen glauben! wie nöthig und gut die Lei-
den der Seele sind. Es ist gewiß kein Hei-
liger in dem Himmel, der nicht durch viele
und öfters sehr bittere entweders innere oder
äussere Leiden geführet worden, aber es
wird auch von diesen allen keiner seyn, der
dem HErrn nicht für ein jedes auf der Er-
de geschenktes Creutz, auf die allerdemüthig-
ste Weise nun in der Herrlichkeit danken
wird; wenn man dannzumahlen aus der se-
ligsten Erfahrung sehen wird, wie man durch
die niedrigste, rauheste und finsterste Thäler
des Creutzes, zu dem erhabensten Glanz ei-

ner

Thaten der Gnade. II. Stuͤck.
JEſu, ihres guten Freundes eilen moͤchte.
Mit einem Worte: alles mußte ihr durch
dieſes Leiden entriſſen werden, worauf ſie
auſſert GOtt gebauet, alle Wege der Eigen-
heit mußten ihr verzaͤunet werden, damit
ihr nichts mehr uͤbrig bleibe, als GOtt,
und der Weg, darauf man in ſeinem Sohn
ſeine Gnade und Verſoͤhnung ſuchet. Und
ſo ſollte dieſes Creutz das Liebesſeil ſeyn,
wodurch dieſe Seele zum Leben und zur
Vollendung ſollte gezogen werden.

So gut meynt es der HErr unter dem
Creutze, ſo heilig und ſelig ſind ſeine Abſich-
ten, und ſo goͤttlichklug ſeine Fuͤhrungen,
auch in denen Wegen, die dem Fleiſche und
der Vernunft am verwirrteſten und dunkel-
ſten ſcheinen. O moͤchten es doch die Men-
ſchen glauben! wie noͤthig und gut die Lei-
den der Seele ſind. Es iſt gewiß kein Hei-
liger in dem Himmel, der nicht durch viele
und oͤfters ſehr bittere entweders innere oder
aͤuſſere Leiden gefuͤhret worden, aber es
wird auch von dieſen allen keiner ſeyn, der
dem HErrn nicht fuͤr ein jedes auf der Er-
de geſchenktes Creutz, auf die allerdemuͤthig-
ſte Weiſe nun in der Herrlichkeit danken
wird; wenn man dannzumahlen aus der ſe-
ligſten Erfahrung ſehen wird, wie man durch
die niedrigſte, rauheſte und finſterſte Thaͤler
des Creutzes, zu dem erhabenſten Glanz ei-

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[109/0161] Thaten der Gnade. II. Stuͤck. JEſu, ihres guten Freundes eilen moͤchte. Mit einem Worte: alles mußte ihr durch dieſes Leiden entriſſen werden, worauf ſie auſſert GOtt gebauet, alle Wege der Eigen- heit mußten ihr verzaͤunet werden, damit ihr nichts mehr uͤbrig bleibe, als GOtt, und der Weg, darauf man in ſeinem Sohn ſeine Gnade und Verſoͤhnung ſuchet. Und ſo ſollte dieſes Creutz das Liebesſeil ſeyn, wodurch dieſe Seele zum Leben und zur Vollendung ſollte gezogen werden. So gut meynt es der HErr unter dem Creutze, ſo heilig und ſelig ſind ſeine Abſich- ten, und ſo goͤttlichklug ſeine Fuͤhrungen, auch in denen Wegen, die dem Fleiſche und der Vernunft am verwirrteſten und dunkel- ſten ſcheinen. O moͤchten es doch die Men- ſchen glauben! wie noͤthig und gut die Lei- den der Seele ſind. Es iſt gewiß kein Hei- liger in dem Himmel, der nicht durch viele und oͤfters ſehr bittere entweders innere oder aͤuſſere Leiden gefuͤhret worden, aber es wird auch von dieſen allen keiner ſeyn, der dem HErrn nicht fuͤr ein jedes auf der Er- de geſchenktes Creutz, auf die allerdemuͤthig- ſte Weiſe nun in der Herrlichkeit danken wird; wenn man dannzumahlen aus der ſe- ligſten Erfahrung ſehen wird, wie man durch die niedrigſte, rauheſte und finſterſte Thaͤler des Creutzes, zu dem erhabenſten Glanz ei- ner

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/161>, abgerufen am 27.04.2024.