Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

zu durchschneiden. Sie trachte, durch Wiederher¬
stellung der staatlichen Einheit Kraft zum Vorstoße
nach außen zu gewinnen. Es ergebe sich daraus das
seltsame Verhältniß, daß die französischen Protestanten
unterliegen müßten, damit den deutschen die diplomatische
und militärische Hilfe Frankreichs, deren sie höchlich be¬
dürften, gesichert bleibe. -- So schwebe über dem Herzog
trotz der Hoheit seiner Stellung und seines Charakters
das traurige Verhängnis, seine Kraft in unheilbaren
Conflicten aufzureiben und am Hofe von Frankreich
immer mehr den Boden zu verlieren. Jetzt bringe er
wohl Weib und Kind nach Venedig, um bei dem näch¬
stens neu ausbrechenden Sturme freiere Hand zu haben.

"Du bist ja ein durchtriebener Diplomat gewor¬
den!" lachte Jenatsch. "Aber findest Du es nicht in
dieser Ebene entsetzlich schwül? Dort steht eine Scheuer
. . . wie wär's, wenn wir unsere Thiere eine Weile im
Schatten anbänden und Du Dein weises Haupt ins
Heu legtest?"

Waser war einverstanden und in kurzer Frist hatten
sich Beide auf das duftige Lager ausgestreckt und waren
entschlummert.

Als der junge Zürcher erwachte, stand Jenatsch vor
ihm, mit spöttischen Blicken ihn betrachtend. "Ei, Schatz,
was schneidest Du denn im Schlafe für verklärte Ge¬

zu durchſchneiden. Sie trachte, durch Wiederher¬
ſtellung der ſtaatlichen Einheit Kraft zum Vorſtoße
nach außen zu gewinnen. Es ergebe ſich daraus das
ſeltſame Verhältniß, daß die franzöſiſchen Proteſtanten
unterliegen müßten, damit den deutſchen die diplomatiſche
und militäriſche Hilfe Frankreichs, deren ſie höchlich be¬
dürften, geſichert bleibe. — So ſchwebe über dem Herzog
trotz der Hoheit ſeiner Stellung und ſeines Charakters
das traurige Verhängnis, ſeine Kraft in unheilbaren
Conflicten aufzureiben und am Hofe von Frankreich
immer mehr den Boden zu verlieren. Jetzt bringe er
wohl Weib und Kind nach Venedig, um bei dem näch¬
ſtens neu ausbrechenden Sturme freiere Hand zu haben.

„Du biſt ja ein durchtriebener Diplomat gewor¬
den!“ lachte Jenatſch. „Aber findeſt Du es nicht in
dieſer Ebene entſetzlich ſchwül? Dort ſteht eine Scheuer
. . . wie wär's, wenn wir unſere Thiere eine Weile im
Schatten anbänden und Du Dein weiſes Haupt ins
Heu legteſt?“

Waſer war einverſtanden und in kurzer Friſt hatten
ſich Beide auf das duftige Lager ausgeſtreckt und waren
entſchlummert.

Als der junge Zürcher erwachte, ſtand Jenatſch vor
ihm, mit ſpöttiſchen Blicken ihn betrachtend. „Ei, Schatz,
was ſchneideſt Du denn im Schlafe für verklärte Ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="78"/>
zu durch&#x017F;chneiden. Sie trachte, durch Wiederher¬<lb/>
&#x017F;tellung der &#x017F;taatlichen Einheit Kraft zum Vor&#x017F;toße<lb/>
nach außen zu gewinnen. Es ergebe &#x017F;ich daraus das<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;ame Verhältniß, daß die franzö&#x017F;i&#x017F;chen Prote&#x017F;tanten<lb/>
unterliegen müßten, damit den deut&#x017F;chen die diplomati&#x017F;che<lb/>
und militäri&#x017F;che Hilfe Frankreichs, deren &#x017F;ie höchlich be¬<lb/>
dürften, ge&#x017F;ichert bleibe. &#x2014; So &#x017F;chwebe über dem Herzog<lb/>
trotz der Hoheit &#x017F;einer Stellung und &#x017F;eines Charakters<lb/>
das traurige Verhängnis, &#x017F;eine Kraft in unheilbaren<lb/>
Conflicten aufzureiben und am Hofe von Frankreich<lb/>
immer mehr den Boden zu verlieren. Jetzt bringe er<lb/>
wohl Weib und Kind nach Venedig, um bei dem näch¬<lb/>
&#x017F;tens neu ausbrechenden Sturme freiere Hand zu haben.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t ja ein durchtriebener Diplomat gewor¬<lb/>
den!&#x201C; lachte Jenat&#x017F;ch. &#x201E;Aber finde&#x017F;t Du es nicht in<lb/>
die&#x017F;er Ebene ent&#x017F;etzlich &#x017F;chwül? Dort &#x017F;teht eine Scheuer<lb/>
. . . wie wär's, wenn wir un&#x017F;ere Thiere eine Weile im<lb/>
Schatten anbänden und Du Dein wei&#x017F;es Haupt ins<lb/>
Heu legte&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wa&#x017F;er war einver&#x017F;tanden und in kurzer Fri&#x017F;t hatten<lb/>
&#x017F;ich Beide auf das duftige Lager ausge&#x017F;treckt und waren<lb/>
ent&#x017F;chlummert.</p><lb/>
          <p>Als der junge Zürcher erwachte, &#x017F;tand Jenat&#x017F;ch vor<lb/>
ihm, mit &#x017F;pötti&#x017F;chen Blicken ihn betrachtend. &#x201E;Ei, Schatz,<lb/>
was &#x017F;chneide&#x017F;t Du denn im Schlafe für verklärte Ge¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0088] zu durchſchneiden. Sie trachte, durch Wiederher¬ ſtellung der ſtaatlichen Einheit Kraft zum Vorſtoße nach außen zu gewinnen. Es ergebe ſich daraus das ſeltſame Verhältniß, daß die franzöſiſchen Proteſtanten unterliegen müßten, damit den deutſchen die diplomatiſche und militäriſche Hilfe Frankreichs, deren ſie höchlich be¬ dürften, geſichert bleibe. — So ſchwebe über dem Herzog trotz der Hoheit ſeiner Stellung und ſeines Charakters das traurige Verhängnis, ſeine Kraft in unheilbaren Conflicten aufzureiben und am Hofe von Frankreich immer mehr den Boden zu verlieren. Jetzt bringe er wohl Weib und Kind nach Venedig, um bei dem näch¬ ſtens neu ausbrechenden Sturme freiere Hand zu haben. „Du biſt ja ein durchtriebener Diplomat gewor¬ den!“ lachte Jenatſch. „Aber findeſt Du es nicht in dieſer Ebene entſetzlich ſchwül? Dort ſteht eine Scheuer . . . wie wär's, wenn wir unſere Thiere eine Weile im Schatten anbänden und Du Dein weiſes Haupt ins Heu legteſt?“ Waſer war einverſtanden und in kurzer Friſt hatten ſich Beide auf das duftige Lager ausgeſtreckt und waren entſchlummert. Als der junge Zürcher erwachte, ſtand Jenatſch vor ihm, mit ſpöttiſchen Blicken ihn betrachtend. „Ei, Schatz, was ſchneideſt Du denn im Schlafe für verklärte Ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/88
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/88>, abgerufen am 22.11.2024.