Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Bündner lud seinen Gast mit einer Hand¬
bewegung zum Sitzen ein auf die rings um den Stamm
der Ulme laufende Bank und rief mit tönender Stimme:

"Wein! Lucia."

Das schöne stille Weib, dem Waser beim Eintritt
in das Haus begegnet war, erschien bald mit zwei vollen
Steinkrügen, die sie mit einer lieblich schüchternen Ver¬
neigung zwischen die Freunde auf die Holzbank setzte,
demüthig sich gleich wieder entfernend.

"Wer ist das holdselige Geschöpf?" fragte Waser,
der ihr mit Wohlgefallen nachschaute.

"Mein Eheweib. Du begreifst, daß hier mitten
unter den Götzendienern," Jenatsch lächelte, "ein pro¬
testantischer Priester nicht unbeweibt bleiben durfte. Es
ist einer unserer Hauptsätze! Ueberdieß schärfte mir das
jetzige laue Regiment, das mich aus dem Wege haben
wollte und mich auf diese einsame Strafpfarre beför¬
derte, ausdrücklich ein, so viele Seelen als möglich aus
dem Pfuhle des Aberglaubens zu ziehen. Das war
mein redlicher Vorsatz. Aber bis jetzt ist mir nur eine
Bekehrung gelungen, die der schönen Lucia. Und wie?
Indem ich meine eigene Person dafür verpfändete.

"Sie ist aus der Maßen schön," bemerkte Waser
nachdenklich.

"Gerade schön genug für mich!" sagte Jenatsch,

Meyer, Georg Jenatsch. 4

Der Bündner lud ſeinen Gaſt mit einer Hand¬
bewegung zum Sitzen ein auf die rings um den Stamm
der Ulme laufende Bank und rief mit tönender Stimme:

„Wein! Lucia.“

Das ſchöne ſtille Weib, dem Waſer beim Eintritt
in das Haus begegnet war, erſchien bald mit zwei vollen
Steinkrügen, die ſie mit einer lieblich ſchüchternen Ver¬
neigung zwiſchen die Freunde auf die Holzbank ſetzte,
demüthig ſich gleich wieder entfernend.

„Wer iſt das holdſelige Geſchöpf?“ fragte Waſer,
der ihr mit Wohlgefallen nachſchaute.

„Mein Eheweib. Du begreifſt, daß hier mitten
unter den Götzendienern,“ Jenatſch lächelte, „ein pro¬
teſtantiſcher Prieſter nicht unbeweibt bleiben durfte. Es
iſt einer unſerer Hauptſätze! Ueberdieß ſchärfte mir das
jetzige laue Regiment, das mich aus dem Wege haben
wollte und mich auf dieſe einſame Strafpfarre beför¬
derte, ausdrücklich ein, ſo viele Seelen als möglich aus
dem Pfuhle des Aberglaubens zu ziehen. Das war
mein redlicher Vorſatz. Aber bis jetzt iſt mir nur eine
Bekehrung gelungen, die der ſchönen Lucia. Und wie?
Indem ich meine eigene Perſon dafür verpfändete.

„Sie iſt aus der Maßen ſchön,“ bemerkte Waſer
nachdenklich.

„Gerade ſchön genug für mich!“ ſagte Jenatſch,

Meyer, Georg Jenatſch. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0059" n="49"/>
          <p>Der Bündner lud &#x017F;einen Ga&#x017F;t mit einer Hand¬<lb/>
bewegung zum Sitzen ein auf die rings um den Stamm<lb/>
der Ulme laufende Bank und rief mit tönender Stimme:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wein! Lucia.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das &#x017F;chöne &#x017F;tille Weib, dem Wa&#x017F;er beim Eintritt<lb/>
in das Haus begegnet war, er&#x017F;chien bald mit zwei vollen<lb/>
Steinkrügen, die &#x017F;ie mit einer lieblich &#x017F;chüchternen Ver¬<lb/>
neigung zwi&#x017F;chen die Freunde auf die Holzbank &#x017F;etzte,<lb/>
demüthig &#x017F;ich gleich wieder entfernend.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wer i&#x017F;t das hold&#x017F;elige Ge&#x017F;chöpf?&#x201C; fragte Wa&#x017F;er,<lb/>
der ihr mit Wohlgefallen nach&#x017F;chaute.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Mein Eheweib. Du begreif&#x017F;t, daß hier mitten<lb/>
unter den Götzendienern,&#x201C; Jenat&#x017F;ch lächelte, &#x201E;ein pro¬<lb/>
te&#x017F;tanti&#x017F;cher Prie&#x017F;ter nicht unbeweibt bleiben durfte. Es<lb/>
i&#x017F;t einer un&#x017F;erer Haupt&#x017F;ätze! Ueberdieß &#x017F;chärfte mir das<lb/>
jetzige laue Regiment, das mich aus dem Wege haben<lb/>
wollte und mich auf die&#x017F;e ein&#x017F;ame Strafpfarre beför¬<lb/>
derte, ausdrücklich ein, &#x017F;o viele Seelen als möglich aus<lb/>
dem Pfuhle des Aberglaubens zu ziehen. Das war<lb/>
mein redlicher Vor&#x017F;atz. Aber bis jetzt i&#x017F;t mir nur <hi rendition="#g">eine</hi><lb/>
Bekehrung gelungen, die der &#x017F;chönen Lucia. Und wie?<lb/>
Indem ich meine eigene Per&#x017F;on dafür verpfändete.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie i&#x017F;t aus der Maßen &#x017F;chön,&#x201C; bemerkte Wa&#x017F;er<lb/>
nachdenklich.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Gerade &#x017F;chön genug für mich!&#x201C; &#x017F;agte Jenat&#x017F;ch,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Meyer</hi>, Georg Jenat&#x017F;ch. 4<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0059] Der Bündner lud ſeinen Gaſt mit einer Hand¬ bewegung zum Sitzen ein auf die rings um den Stamm der Ulme laufende Bank und rief mit tönender Stimme: „Wein! Lucia.“ Das ſchöne ſtille Weib, dem Waſer beim Eintritt in das Haus begegnet war, erſchien bald mit zwei vollen Steinkrügen, die ſie mit einer lieblich ſchüchternen Ver¬ neigung zwiſchen die Freunde auf die Holzbank ſetzte, demüthig ſich gleich wieder entfernend. „Wer iſt das holdſelige Geſchöpf?“ fragte Waſer, der ihr mit Wohlgefallen nachſchaute. „Mein Eheweib. Du begreifſt, daß hier mitten unter den Götzendienern,“ Jenatſch lächelte, „ein pro¬ teſtantiſcher Prieſter nicht unbeweibt bleiben durfte. Es iſt einer unſerer Hauptſätze! Ueberdieß ſchärfte mir das jetzige laue Regiment, das mich aus dem Wege haben wollte und mich auf dieſe einſame Strafpfarre beför¬ derte, ausdrücklich ein, ſo viele Seelen als möglich aus dem Pfuhle des Aberglaubens zu ziehen. Das war mein redlicher Vorſatz. Aber bis jetzt iſt mir nur eine Bekehrung gelungen, die der ſchönen Lucia. Und wie? Indem ich meine eigene Perſon dafür verpfändete. „Sie iſt aus der Maßen ſchön,“ bemerkte Waſer nachdenklich. „Gerade ſchön genug für mich!“ ſagte Jenatſch, Meyer, Georg Jenatſch. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/59
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/59>, abgerufen am 23.11.2024.