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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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lich saßen sie alle auf einer Schulbank, Semmler hob
als griechische Drommete merkwürdiger Weise das große
Pulverhorn an den Mund, aus dem die unerhörtesten
Klagetöne hervordrangen, beantwortet von einem aus
allen Ecken schallenden teuflischen Gelächter.

Waser erwachte, hatte Mühe sich zu erinnern, wo
er sich befinde, und war im Begriffe wieder einzu¬
schlummern, da erschollen, wie er meinte von der Neben¬
kammer her, in lebhafter Zwiesprache ferne Männer¬
stimmen. Was er jetzt hörte, war kein Traumgelächter.

War es die Aufregung der Reise, war es ein die
heimlich aufsteigende Furcht bekämpfender rascher Ent¬
schluß, oder war es einfache Neugier, was den jungen
Zürcher vom Lager trieb? Was immer, er stand schon
an der Thür des anstoßenden Raumes, überzeugte sich,
erst horchend, dann sachte öffnend, daß er leer sei, und
nun durchschritt er auf leisen Zehen die ganze Breite
der Kammer, einem schmalen Lichtschimmer folgend, der
durch die gegenüberstehende Wand drang. Der schwache
röthliche Strahl kam, wie der Tastende sich überzeugte,
durch die Spalte einer morschen mit schweren Eisen¬
bändern beschlagenen Eichenthür. Vorsichtig legte er
sein scharfes Auge an das klaffende Holzwerk, und was
er sah und vernahm war derart, daß er, seine eigene
Lage vergessend, an seinen Posten gebannt blieb.

lich ſaßen ſie alle auf einer Schulbank, Semmler hob
als griechiſche Drommete merkwürdiger Weiſe das große
Pulverhorn an den Mund, aus dem die unerhörteſten
Klagetöne hervordrangen, beantwortet von einem aus
allen Ecken ſchallenden teufliſchen Gelächter.

Waſer erwachte, hatte Mühe ſich zu erinnern, wo
er ſich befinde, und war im Begriffe wieder einzu¬
ſchlummern, da erſchollen, wie er meinte von der Neben¬
kammer her, in lebhafter Zwieſprache ferne Männer¬
ſtimmen. Was er jetzt hörte, war kein Traumgelächter.

War es die Aufregung der Reiſe, war es ein die
heimlich aufſteigende Furcht bekämpfender raſcher Ent¬
ſchluß, oder war es einfache Neugier, was den jungen
Zürcher vom Lager trieb? Was immer, er ſtand ſchon
an der Thür des anſtoßenden Raumes, überzeugte ſich,
erſt horchend, dann ſachte öffnend, daß er leer ſei, und
nun durchſchritt er auf leiſen Zehen die ganze Breite
der Kammer, einem ſchmalen Lichtſchimmer folgend, der
durch die gegenüberſtehende Wand drang. Der ſchwache
röthliche Strahl kam, wie der Taſtende ſich überzeugte,
durch die Spalte einer morſchen mit ſchweren Eiſen¬
bändern beſchlagenen Eichenthür. Vorſichtig legte er
ſein ſcharfes Auge an das klaffende Holzwerk, und was
er ſah und vernahm war derart, daß er, ſeine eigene
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[38/0048] lich ſaßen ſie alle auf einer Schulbank, Semmler hob als griechiſche Drommete merkwürdiger Weiſe das große Pulverhorn an den Mund, aus dem die unerhörteſten Klagetöne hervordrangen, beantwortet von einem aus allen Ecken ſchallenden teufliſchen Gelächter. Waſer erwachte, hatte Mühe ſich zu erinnern, wo er ſich befinde, und war im Begriffe wieder einzu¬ ſchlummern, da erſchollen, wie er meinte von der Neben¬ kammer her, in lebhafter Zwieſprache ferne Männer¬ ſtimmen. Was er jetzt hörte, war kein Traumgelächter. War es die Aufregung der Reiſe, war es ein die heimlich aufſteigende Furcht bekämpfender raſcher Ent¬ ſchluß, oder war es einfache Neugier, was den jungen Zürcher vom Lager trieb? Was immer, er ſtand ſchon an der Thür des anſtoßenden Raumes, überzeugte ſich, erſt horchend, dann ſachte öffnend, daß er leer ſei, und nun durchſchritt er auf leiſen Zehen die ganze Breite der Kammer, einem ſchmalen Lichtſchimmer folgend, der durch die gegenüberſtehende Wand drang. Der ſchwache röthliche Strahl kam, wie der Taſtende ſich überzeugte, durch die Spalte einer morſchen mit ſchweren Eiſen¬ bändern beſchlagenen Eichenthür. Vorſichtig legte er ſein ſcharfes Auge an das klaffende Holzwerk, und was er ſah und vernahm war derart, daß er, ſeine eigene Lage vergeſſend, an ſeinen Poſten gebannt blieb.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/48>, abgerufen am 21.11.2024.