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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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die andere war sie in seine Nähe gebannt und er
eilte sie dort zu suchen.

Und Lucretia war es gewesen, deren ernste feier¬
liche Gestalt dem zürcherischen Bürgermeister in der
Verwirrung des Aufbruchs im Saale begegnet und
deren Schritten Jenatsch mit aufglühender Freude in
die Kammer der Justitia gefolgt war.

"Willkommen Lucretia!" rief Georg der sich nach
ihm Umwendenden entgegen, "ich danke Dir, daß Du
an meinem Feste nicht fehlst. Du bringst mir die
Freude! Die Welt ist mir schal geworden, ihre Beuten
und Ehren sind mir ein Ekel! Gieb mir meine junge,
frische Seele wieder! Sie ging mir längst verloren --
sie blieb bei Dir. Gieb mir sie mit Deinem treuen
Herzen! Du hast sie darin aufbewahrt!" Er umfaßte
sie mit beiden Armen und drückte ihr Haupt, dem die
Maske entfiel, an seine Brust.

"Hüte Dich, hüte Dich, Jürg!" flüsterte sie, seiner
Umschlingung widerstrebend und erhob zu ihm Augen
voll unendlicher Angst und Liebe.

Er mißverstand sie. "Ich weiß es schon," rief er,
"auf Riedberg wird keine Hochzeit gefeiert! Kehre nie¬

die andere war ſie in ſeine Nähe gebannt und er
eilte ſie dort zu ſuchen.

Und Lucretia war es geweſen, deren ernſte feier¬
liche Geſtalt dem zürcheriſchen Bürgermeiſter in der
Verwirrung des Aufbruchs im Saale begegnet und
deren Schritten Jenatſch mit aufglühender Freude in
die Kammer der Juſtitia gefolgt war.

„Willkommen Lucretia!“ rief Georg der ſich nach
ihm Umwendenden entgegen, „ich danke Dir, daß Du
an meinem Feſte nicht fehlſt. Du bringſt mir die
Freude! Die Welt iſt mir ſchal geworden, ihre Beuten
und Ehren ſind mir ein Ekel! Gieb mir meine junge,
friſche Seele wieder! Sie ging mir längſt verloren —
ſie blieb bei Dir. Gieb mir ſie mit Deinem treuen
Herzen! Du haſt ſie darin aufbewahrt!“ Er umfaßte
ſie mit beiden Armen und drückte ihr Haupt, dem die
Maske entfiel, an ſeine Bruſt.

„Hüte Dich, hüte Dich, Jürg!“ flüſterte ſie, ſeiner
Umſchlingung widerſtrebend und erhob zu ihm Augen
voll unendlicher Angſt und Liebe.

Er mißverſtand ſie. „Ich weiß es ſchon,“ rief er,
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[402/0412] die andere war ſie in ſeine Nähe gebannt und er eilte ſie dort zu ſuchen. Und Lucretia war es geweſen, deren ernſte feier¬ liche Geſtalt dem zürcheriſchen Bürgermeiſter in der Verwirrung des Aufbruchs im Saale begegnet und deren Schritten Jenatſch mit aufglühender Freude in die Kammer der Juſtitia gefolgt war. „Willkommen Lucretia!“ rief Georg der ſich nach ihm Umwendenden entgegen, „ich danke Dir, daß Du an meinem Feſte nicht fehlſt. Du bringſt mir die Freude! Die Welt iſt mir ſchal geworden, ihre Beuten und Ehren ſind mir ein Ekel! Gieb mir meine junge, friſche Seele wieder! Sie ging mir längſt verloren — ſie blieb bei Dir. Gieb mir ſie mit Deinem treuen Herzen! Du haſt ſie darin aufbewahrt!“ Er umfaßte ſie mit beiden Armen und drückte ihr Haupt, dem die Maske entfiel, an ſeine Bruſt. „Hüte Dich, hüte Dich, Jürg!“ flüſterte ſie, ſeiner Umſchlingung widerſtrebend und erhob zu ihm Augen voll unendlicher Angſt und Liebe. Er mißverſtand ſie. „Ich weiß es ſchon,“ rief er, „auf Riedberg wird keine Hochzeit gefeiert! Kehre nie¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/412>, abgerufen am 21.11.2024.