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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Aber sie erschrack vor dem Zwiespalte ihrer eigenen
Seele, vor ihrer Ohnmacht die alte Rache zu hegen
und vor ihrer verzehrenden Eifersucht auf jeden, der in
ihr Amt eintreten könnte.

So beschloß sie ein Ende zu machen und der Welt
abzusagen.

Jenseits der Klosterschwelle war sie sicher. Sie
verzichtete ja dort auf all' ihren Besitz, opferte ihre stolze,
immer bekämpfte Liebe, verzichtete auf die zu lange wie
ein Heiligthum bewahrte Rache. -- Jenseits der Kloster¬
schwelle konnte weder Jürgs frevelhafte Werbung, noch
Rudolfs ekler Eigennutz sie mehr erreichen.

Im Schlosse war es ruhig geworden. In den
Dörfern brannte kein Licht; nur von Cazis drang ein
matter Schimmer über den Rhein. Er kam aus der
Klosterkirche, wo die Schwestern schon Frühmette sangen.
Dort war ihre Friedensstatt offen und sie zögerte nicht
länger an der Pforte. Sie goß Oel in ihre Lampe,
die erlöschen wollte, und begann ihre Papiere zu ordnen.
Sie stellte über alle ihre Güter Schenkungsurkunden
aus zu Gunsten der Schwestern in Cazis und gedachte,
in ihrem Gemache eingeschlossen zu bleiben bis zur
Ankunft des Paters Pancraz. Nachdem Alles vollendet
war, legte sie sich angekleidet noch kurze Zeit zur
Ruhe.

Aber ſie erſchrack vor dem Zwieſpalte ihrer eigenen
Seele, vor ihrer Ohnmacht die alte Rache zu hegen
und vor ihrer verzehrenden Eiferſucht auf jeden, der in
ihr Amt eintreten könnte.

So beſchloß ſie ein Ende zu machen und der Welt
abzuſagen.

Jenſeits der Kloſterſchwelle war ſie ſicher. Sie
verzichtete ja dort auf all' ihren Beſitz, opferte ihre ſtolze,
immer bekämpfte Liebe, verzichtete auf die zu lange wie
ein Heiligthum bewahrte Rache. — Jenſeits der Kloſter¬
ſchwelle konnte weder Jürgs frevelhafte Werbung, noch
Rudolfs ekler Eigennutz ſie mehr erreichen.

Im Schloſſe war es ruhig geworden. In den
Dörfern brannte kein Licht; nur von Cazis drang ein
matter Schimmer über den Rhein. Er kam aus der
Kloſterkirche, wo die Schweſtern ſchon Frühmette ſangen.
Dort war ihre Friedensſtatt offen und ſie zögerte nicht
länger an der Pforte. Sie goß Oel in ihre Lampe,
die erlöſchen wollte, und begann ihre Papiere zu ordnen.
Sie ſtellte über alle ihre Güter Schenkungsurkunden
aus zu Gunſten der Schweſtern in Cazis und gedachte,
in ihrem Gemache eingeſchloſſen zu bleiben bis zur
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Ruhe.

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[367/0377] Aber ſie erſchrack vor dem Zwieſpalte ihrer eigenen Seele, vor ihrer Ohnmacht die alte Rache zu hegen und vor ihrer verzehrenden Eiferſucht auf jeden, der in ihr Amt eintreten könnte. So beſchloß ſie ein Ende zu machen und der Welt abzuſagen. Jenſeits der Kloſterſchwelle war ſie ſicher. Sie verzichtete ja dort auf all' ihren Beſitz, opferte ihre ſtolze, immer bekämpfte Liebe, verzichtete auf die zu lange wie ein Heiligthum bewahrte Rache. — Jenſeits der Kloſter¬ ſchwelle konnte weder Jürgs frevelhafte Werbung, noch Rudolfs ekler Eigennutz ſie mehr erreichen. Im Schloſſe war es ruhig geworden. In den Dörfern brannte kein Licht; nur von Cazis drang ein matter Schimmer über den Rhein. Er kam aus der Kloſterkirche, wo die Schweſtern ſchon Frühmette ſangen. Dort war ihre Friedensſtatt offen und ſie zögerte nicht länger an der Pforte. Sie goß Oel in ihre Lampe, die erlöſchen wollte, und begann ihre Papiere zu ordnen. Sie ſtellte über alle ihre Güter Schenkungsurkunden aus zu Gunſten der Schweſtern in Cazis und gedachte, in ihrem Gemache eingeſchloſſen zu bleiben bis zur Ankunft des Paters Pancraz. Nachdem Alles vollendet war, legte ſie ſich angekleidet noch kurze Zeit zur Ruhe.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/377>, abgerufen am 18.05.2024.