Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen. Er mochte sie, nach ihrer Statur und Bewaffnung
zu urtheilen, in den nach Süden abfallenden Thälern
Graubündens geworben haben. Nur Einen in der Rotte
sicherlich nicht. Es war ein wahrer Riese, derb von
Gliedern und roth von Gesichtsfarbe, in dem Lucretia
einen wegen seiner sprichwörtlichen Körperstärke weithin
gefürchteten Raufbold, den Wirthssohn von Splügen,
erkannte. Er hatte sich gegen den Regen eine Bären¬
haut wie einen Haubenmantel übergehängt und blickte
unter der Schnauze und den Ohren des erlegten Un¬
gethüms wie ein thierischer Waldmensch hervor.

Lucretia ließ das wilde Gesinde, das seine Ankunft
mit Musketenschüssen kund that, durch ihren Kastellan
in einem Nebengebäude unterbringen und bewirthen.
Den unwillkommenen Vetter empfing sie erst am Abend¬
tische, an welchem ihre Dienerschaft theilzunehmen pflegte
und Lucas das Amt des Hausmeisters versah.

Nachdem die Tischgenossen sich entfernt hatten,
begehrte Rudolf eine Unterredung mit seiner Base und
blieb ungebeten im Gemache zurück, wo Lucas auf
einen Wink des Fräuleins das Abräumen des Tafel¬
geräthes nur langsam und zögernd besorgte. Die Ge¬
genwart des alten Knechtes hielt ihn nicht ab, vor sie
hinzutreten und ihr mit leiser Stimme Drohungen zu¬
zuflüstern. Er warf ihr ins Gesicht, daß er wohl wisse,

ſehen. Er mochte ſie, nach ihrer Statur und Bewaffnung
zu urtheilen, in den nach Süden abfallenden Thälern
Graubündens geworben haben. Nur Einen in der Rotte
ſicherlich nicht. Es war ein wahrer Rieſe, derb von
Gliedern und roth von Geſichtsfarbe, in dem Lucretia
einen wegen ſeiner ſprichwörtlichen Körperſtärke weithin
gefürchteten Raufbold, den Wirthsſohn von Splügen,
erkannte. Er hatte ſich gegen den Regen eine Bären¬
haut wie einen Haubenmantel übergehängt und blickte
unter der Schnauze und den Ohren des erlegten Un¬
gethüms wie ein thieriſcher Waldmenſch hervor.

Lucretia ließ das wilde Geſinde, das ſeine Ankunft
mit Musketenſchüſſen kund that, durch ihren Kaſtellan
in einem Nebengebäude unterbringen und bewirthen.
Den unwillkommenen Vetter empfing ſie erſt am Abend¬
tiſche, an welchem ihre Dienerſchaft theilzunehmen pflegte
und Lucas das Amt des Hausmeiſters verſah.

Nachdem die Tiſchgenoſſen ſich entfernt hatten,
begehrte Rudolf eine Unterredung mit ſeiner Baſe und
blieb ungebeten im Gemache zurück, wo Lucas auf
einen Wink des Fräuleins das Abräumen des Tafel¬
geräthes nur langſam und zögernd beſorgte. Die Ge¬
genwart des alten Knechtes hielt ihn nicht ab, vor ſie
hinzutreten und ihr mit leiſer Stimme Drohungen zu¬
zuflüſtern. Er warf ihr ins Geſicht, daß er wohl wiſſe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0373" n="363"/>
&#x017F;ehen. Er mochte &#x017F;ie, nach ihrer Statur und Bewaffnung<lb/>
zu urtheilen, in den nach Süden abfallenden Thälern<lb/>
Graubündens geworben haben. Nur Einen in der Rotte<lb/>
&#x017F;icherlich nicht. Es war ein wahrer Rie&#x017F;e, derb von<lb/>
Gliedern und roth von Ge&#x017F;ichtsfarbe, in dem Lucretia<lb/>
einen wegen &#x017F;einer &#x017F;prichwörtlichen Körper&#x017F;tärke weithin<lb/>
gefürchteten Raufbold, den Wirths&#x017F;ohn von Splügen,<lb/>
erkannte. Er hatte &#x017F;ich gegen den Regen eine Bären¬<lb/>
haut wie einen Haubenmantel übergehängt und blickte<lb/>
unter der Schnauze und den Ohren des erlegten Un¬<lb/>
gethüms wie ein thieri&#x017F;cher Waldmen&#x017F;ch hervor.</p><lb/>
          <p>Lucretia ließ das wilde Ge&#x017F;inde, das &#x017F;eine Ankunft<lb/>
mit Musketen&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;en kund that, durch ihren Ka&#x017F;tellan<lb/>
in einem Nebengebäude unterbringen und bewirthen.<lb/>
Den unwillkommenen Vetter empfing &#x017F;ie er&#x017F;t am Abend¬<lb/>
ti&#x017F;che, an welchem ihre Diener&#x017F;chaft theilzunehmen pflegte<lb/>
und Lucas das Amt des Hausmei&#x017F;ters ver&#x017F;ah.</p><lb/>
          <p>Nachdem die Ti&#x017F;chgeno&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich entfernt hatten,<lb/>
begehrte Rudolf eine Unterredung mit &#x017F;einer Ba&#x017F;e und<lb/>
blieb ungebeten im Gemache zurück, wo Lucas auf<lb/>
einen Wink des Fräuleins das Abräumen des Tafel¬<lb/>
geräthes nur lang&#x017F;am und zögernd be&#x017F;orgte. Die Ge¬<lb/>
genwart des alten Knechtes hielt ihn nicht ab, vor &#x017F;ie<lb/>
hinzutreten und ihr mit lei&#x017F;er Stimme Drohungen zu¬<lb/>
zuflü&#x017F;tern. Er warf ihr ins Ge&#x017F;icht, daß er wohl wi&#x017F;&#x017F;e,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[363/0373] ſehen. Er mochte ſie, nach ihrer Statur und Bewaffnung zu urtheilen, in den nach Süden abfallenden Thälern Graubündens geworben haben. Nur Einen in der Rotte ſicherlich nicht. Es war ein wahrer Rieſe, derb von Gliedern und roth von Geſichtsfarbe, in dem Lucretia einen wegen ſeiner ſprichwörtlichen Körperſtärke weithin gefürchteten Raufbold, den Wirthsſohn von Splügen, erkannte. Er hatte ſich gegen den Regen eine Bären¬ haut wie einen Haubenmantel übergehängt und blickte unter der Schnauze und den Ohren des erlegten Un¬ gethüms wie ein thieriſcher Waldmenſch hervor. Lucretia ließ das wilde Geſinde, das ſeine Ankunft mit Musketenſchüſſen kund that, durch ihren Kaſtellan in einem Nebengebäude unterbringen und bewirthen. Den unwillkommenen Vetter empfing ſie erſt am Abend¬ tiſche, an welchem ihre Dienerſchaft theilzunehmen pflegte und Lucas das Amt des Hausmeiſters verſah. Nachdem die Tiſchgenoſſen ſich entfernt hatten, begehrte Rudolf eine Unterredung mit ſeiner Baſe und blieb ungebeten im Gemache zurück, wo Lucas auf einen Wink des Fräuleins das Abräumen des Tafel¬ geräthes nur langſam und zögernd beſorgte. Die Ge¬ genwart des alten Knechtes hielt ihn nicht ab, vor ſie hinzutreten und ihr mit leiſer Stimme Drohungen zu¬ zuflüſtern. Er warf ihr ins Geſicht, daß er wohl wiſſe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/373
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/373>, abgerufen am 18.05.2024.