Freilich wäre es der Schwester Perpetua gegen die Natur gegangen, sich nicht mindestens bei Lucas über die letzte lange Abwesenheit des Fräuleins jenseits der Berge einiges Licht zu verschaffen, hätte sie nicht aus der allerbesten Quelle, einem Briefe des Paters Pancratius selber, schon im Winter erfahren, daß un¬ angenehme Erb- und Familienangelegenheiten, über die man besser nicht mit ihr spreche, die Gegenwart Lucretias in Mailand nothwendig machten.
Lucretias Fahrt nach Mailand im vergangenen Jahre war ihr schwer geworden, aber sie hatte das von Jenatsch ihr vorgehaltene Ziel standhaft verfolgt und durch die Festigkeit ihres Willens auch erreicht. Nicht die Mühsale des zweimaligen Ueberschreitens der im Winter gefährlichen Bergpässe hatten ihren Muth auf die größte Probe gestellt; diese Schrecknisse hatte die kräftige Frau, geleitet von dem treuen wetterharten Lucas und einem seiner berggewohnten Söhne, ohne Zagen und Ermüdung überwunden. Anders aber war es, als sie, von dem geschäftigen Pancraz in Mailand empfangen und bei Serbelloni eingeführt, sich dem klugen und zähen Staatsmanne gegenüber befand und fühlte, daß sie sich auf ein ihr fremdes Gebiet verirrt,
Freilich wäre es der Schweſter Perpetua gegen die Natur gegangen, ſich nicht mindeſtens bei Lucas über die letzte lange Abweſenheit des Fräuleins jenſeits der Berge einiges Licht zu verſchaffen, hätte ſie nicht aus der allerbeſten Quelle, einem Briefe des Paters Pancratius ſelber, ſchon im Winter erfahren, daß un¬ angenehme Erb- und Familienangelegenheiten, über die man beſſer nicht mit ihr ſpreche, die Gegenwart Lucretias in Mailand nothwendig machten.
Lucretias Fahrt nach Mailand im vergangenen Jahre war ihr ſchwer geworden, aber ſie hatte das von Jenatſch ihr vorgehaltene Ziel ſtandhaft verfolgt und durch die Feſtigkeit ihres Willens auch erreicht. Nicht die Mühſale des zweimaligen Ueberſchreitens der im Winter gefährlichen Bergpäſſe hatten ihren Muth auf die größte Probe geſtellt; dieſe Schreckniſſe hatte die kräftige Frau, geleitet von dem treuen wetterharten Lucas und einem ſeiner berggewohnten Söhne, ohne Zagen und Ermüdung überwunden. Anders aber war es, als ſie, von dem geſchäftigen Pancraz in Mailand empfangen und bei Serbelloni eingeführt, ſich dem klugen und zähen Staatsmanne gegenüber befand und fühlte, daß ſie ſich auf ein ihr fremdes Gebiet verirrt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0361"n="351"/><p>Freilich wäre es der Schweſter Perpetua gegen<lb/>
die Natur gegangen, ſich nicht mindeſtens bei Lucas<lb/>
über die letzte lange Abweſenheit des Fräuleins jenſeits<lb/>
der Berge einiges Licht zu verſchaffen, hätte ſie nicht<lb/>
aus der allerbeſten Quelle, einem Briefe des Paters<lb/>
Pancratius ſelber, ſchon im Winter erfahren, daß un¬<lb/>
angenehme Erb- und Familienangelegenheiten, über die<lb/>
man beſſer nicht mit ihr ſpreche, die Gegenwart Lucretias<lb/>
in Mailand nothwendig machten.</p><lb/><p>Lucretias Fahrt nach Mailand im vergangenen<lb/>
Jahre war ihr ſchwer geworden, aber ſie hatte das von<lb/>
Jenatſch ihr vorgehaltene Ziel ſtandhaft verfolgt und<lb/>
durch die Feſtigkeit ihres Willens auch erreicht. Nicht<lb/>
die Mühſale des zweimaligen Ueberſchreitens der im<lb/>
Winter gefährlichen Bergpäſſe hatten ihren Muth auf<lb/>
die größte Probe geſtellt; dieſe Schreckniſſe hatte die<lb/>
kräftige Frau, geleitet von dem treuen wetterharten<lb/>
Lucas und einem ſeiner berggewohnten Söhne, ohne<lb/>
Zagen und Ermüdung überwunden. Anders aber war<lb/>
es, als ſie, von dem geſchäftigen Pancraz in Mailand<lb/>
empfangen und bei Serbelloni eingeführt, ſich dem<lb/>
klugen und zähen Staatsmanne gegenüber befand und<lb/>
fühlte, daß ſie ſich auf ein ihr fremdes Gebiet verirrt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[351/0361]
Freilich wäre es der Schweſter Perpetua gegen
die Natur gegangen, ſich nicht mindeſtens bei Lucas
über die letzte lange Abweſenheit des Fräuleins jenſeits
der Berge einiges Licht zu verſchaffen, hätte ſie nicht
aus der allerbeſten Quelle, einem Briefe des Paters
Pancratius ſelber, ſchon im Winter erfahren, daß un¬
angenehme Erb- und Familienangelegenheiten, über die
man beſſer nicht mit ihr ſpreche, die Gegenwart Lucretias
in Mailand nothwendig machten.
Lucretias Fahrt nach Mailand im vergangenen
Jahre war ihr ſchwer geworden, aber ſie hatte das von
Jenatſch ihr vorgehaltene Ziel ſtandhaft verfolgt und
durch die Feſtigkeit ihres Willens auch erreicht. Nicht
die Mühſale des zweimaligen Ueberſchreitens der im
Winter gefährlichen Bergpäſſe hatten ihren Muth auf
die größte Probe geſtellt; dieſe Schreckniſſe hatte die
kräftige Frau, geleitet von dem treuen wetterharten
Lucas und einem ſeiner berggewohnten Söhne, ohne
Zagen und Ermüdung überwunden. Anders aber war
es, als ſie, von dem geſchäftigen Pancraz in Mailand
empfangen und bei Serbelloni eingeführt, ſich dem
klugen und zähen Staatsmanne gegenüber befand und
fühlte, daß ſie ſich auf ein ihr fremdes Gebiet verirrt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/361>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.