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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Er erreichte die Stadt in vorgerückter Nachtstunde
und wurde kaum noch vorgelassen. Der Ungeduldige
mußte sich damit begnügen, seinem Herrn den ver¬
rätherischen Brief mit einer gedrängten Auseinander¬
setzung des Zusammenhangs zu überreichen. Als Wert¬
müller dann am nächsten Morgen nach einem glücklichen
Schlafe sich dem Herzog vorstellte, fand er diesen in sehr
getrübter Stimmung und nicht geneigt, auf eine Be¬
sprechung des ihm, wie er sagte, unerklärlichen und sehr
schmerzlichen Vorfalles einzugehen. Er müsse auch von
anderer Seite sich darüber Aufklärung verschaffen.

Kurz vor der Stunde, zu welcher Jenatsch täglich
dem Herzog aufzuwarten pflegte, wurde der Locotenent
mit einem Tagesbefehl nach der Rheinschanze beordert,
und, so scharf er auch ritt, er kam zu spät, um dem
Obersten vor Herzog Heinrich Stirn gegen Stirn ent¬
gegenzutreten.

Bei seiner Rückkehr traf er diesen in der heitersten
Laune und wie von einer schweren Last befreit.

"Besten Dank" für Euern löblichen Diensteifer,
braver Wertmüller!" empfing er den Adjutanten.
"Diesmal hat er Euch freilich trotz Eures mit Argus¬
augen blickenden Scharfsinns in eine grobe Falle ge¬
lockt. -- Ungern thue ich Eurer Eitelkeit weh. -- Jenatsch
war hier und ich habe ihn mit aller Offenheit zur

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Er erreichte die Stadt in vorgerückter Nachtſtunde
und wurde kaum noch vorgelaſſen. Der Ungeduldige
mußte ſich damit begnügen, ſeinem Herrn den ver¬
rätheriſchen Brief mit einer gedrängten Auseinander¬
ſetzung des Zuſammenhangs zu überreichen. Als Wert¬
müller dann am nächſten Morgen nach einem glücklichen
Schlafe ſich dem Herzog vorſtellte, fand er dieſen in ſehr
getrübter Stimmung und nicht geneigt, auf eine Be¬
ſprechung des ihm, wie er ſagte, unerklärlichen und ſehr
ſchmerzlichen Vorfalles einzugehen. Er müſſe auch von
anderer Seite ſich darüber Aufklärung verſchaffen.

Kurz vor der Stunde, zu welcher Jenatſch täglich
dem Herzog aufzuwarten pflegte, wurde der Locotenent
mit einem Tagesbefehl nach der Rheinſchanze beordert,
und, ſo ſcharf er auch ritt, er kam zu ſpät, um dem
Oberſten vor Herzog Heinrich Stirn gegen Stirn ent¬
gegenzutreten.

Bei ſeiner Rückkehr traf er dieſen in der heiterſten
Laune und wie von einer ſchweren Laſt befreit.

„Beſten Dank“ für Euern löblichen Dienſteifer,
braver Wertmüller!“ empfing er den Adjutanten.
„Diesmal hat er Euch freilich trotz Eures mit Argus¬
augen blickenden Scharfſinns in eine grobe Falle ge¬
lockt. — Ungern thue ich Eurer Eitelkeit weh. — Jenatſch
war hier und ich habe ihn mit aller Offenheit zur

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[307/0317] Er erreichte die Stadt in vorgerückter Nachtſtunde und wurde kaum noch vorgelaſſen. Der Ungeduldige mußte ſich damit begnügen, ſeinem Herrn den ver¬ rätheriſchen Brief mit einer gedrängten Auseinander¬ ſetzung des Zuſammenhangs zu überreichen. Als Wert¬ müller dann am nächſten Morgen nach einem glücklichen Schlafe ſich dem Herzog vorſtellte, fand er dieſen in ſehr getrübter Stimmung und nicht geneigt, auf eine Be¬ ſprechung des ihm, wie er ſagte, unerklärlichen und ſehr ſchmerzlichen Vorfalles einzugehen. Er müſſe auch von anderer Seite ſich darüber Aufklärung verſchaffen. Kurz vor der Stunde, zu welcher Jenatſch täglich dem Herzog aufzuwarten pflegte, wurde der Locotenent mit einem Tagesbefehl nach der Rheinſchanze beordert, und, ſo ſcharf er auch ritt, er kam zu ſpät, um dem Oberſten vor Herzog Heinrich Stirn gegen Stirn ent¬ gegenzutreten. Bei ſeiner Rückkehr traf er dieſen in der heiterſten Laune und wie von einer ſchweren Laſt befreit. „Beſten Dank“ für Euern löblichen Dienſteifer, braver Wertmüller!“ empfing er den Adjutanten. „Diesmal hat er Euch freilich trotz Eures mit Argus¬ augen blickenden Scharfſinns in eine grobe Falle ge¬ lockt. — Ungern thue ich Eurer Eitelkeit weh. — Jenatſch war hier und ich habe ihn mit aller Offenheit zur 20*

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/317>, abgerufen am 19.05.2024.