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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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glücklicher Mischung vereinigten. Der Erste, Beste die¬
ses Volkes könne dem geriebensten Diplomaten zu rathen
geben. Die Staatskunst sei hier so allgemein verbreitet
und landesüblich, daß das ganze Volk wie ein Mann
rede oder schweige, wenn es sich um einen deutlichen
Vortheil handle; die Schwierigkeit sei also nur, den
langsamen Köpfen die Rechnung klar zu machen und
dafür werde der Volksredner Jenatsch ausgiebig gesorgt
haben.

Was den gelahrten Herrn Doktor angehe, so wolle
er ihm nicht zu nahe treten, aber für muthig halte er
ihn nicht, wenigstens nicht einer gewissen geheimen
Vehme gegenüber, von der man munkle. Er könne hier
seine Quellen nicht nennen; aber er müsse glauben, es
sei im Lande ein Geheimbund errichtet mit Statuten,
die sie den Kletten- oder Kettenbrief nennen -- wahr¬
scheinlich um das feste Ineinandergreifen und Zusam¬
menhalten der Bundesglieder zu bezeichnen. Auf Ver¬
rath stehe der Tod. Er wolle nun nicht behaupten,
daß der Doktor ein Glied dieser Kette sei, er sei nicht
das Eisen dazu, aber daß er sich vor diesen Banditen
sträflich fürchte, das sei mehr als wahrscheinlich.

Diese Verschwörung, deren Verräther dem Tode
verfalle, behandelte der Herzog als eine vom Müssig¬
gange erfundene und geglaubte Schauergeschichte. "Man

glücklicher Miſchung vereinigten. Der Erſte, Beſte die¬
ſes Volkes könne dem geriebenſten Diplomaten zu rathen
geben. Die Staatskunſt ſei hier ſo allgemein verbreitet
und landesüblich, daß das ganze Volk wie ein Mann
rede oder ſchweige, wenn es ſich um einen deutlichen
Vortheil handle; die Schwierigkeit ſei alſo nur, den
langſamen Köpfen die Rechnung klar zu machen und
dafür werde der Volksredner Jenatſch ausgiebig geſorgt
haben.

Was den gelahrten Herrn Doktor angehe, ſo wolle
er ihm nicht zu nahe treten, aber für muthig halte er
ihn nicht, wenigſtens nicht einer gewiſſen geheimen
Vehme gegenüber, von der man munkle. Er könne hier
ſeine Quellen nicht nennen; aber er müſſe glauben, es
ſei im Lande ein Geheimbund errichtet mit Statuten,
die ſie den Kletten- oder Kettenbrief nennen — wahr¬
ſcheinlich um das feſte Ineinandergreifen und Zuſam¬
menhalten der Bundesglieder zu bezeichnen. Auf Ver¬
rath ſtehe der Tod. Er wolle nun nicht behaupten,
daß der Doktor ein Glied dieſer Kette ſei, er ſei nicht
das Eiſen dazu, aber daß er ſich vor dieſen Banditen
ſträflich fürchte, das ſei mehr als wahrſcheinlich.

Dieſe Verſchwörung, deren Verräther dem Tode
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[302/0312] glücklicher Miſchung vereinigten. Der Erſte, Beſte die¬ ſes Volkes könne dem geriebenſten Diplomaten zu rathen geben. Die Staatskunſt ſei hier ſo allgemein verbreitet und landesüblich, daß das ganze Volk wie ein Mann rede oder ſchweige, wenn es ſich um einen deutlichen Vortheil handle; die Schwierigkeit ſei alſo nur, den langſamen Köpfen die Rechnung klar zu machen und dafür werde der Volksredner Jenatſch ausgiebig geſorgt haben. Was den gelahrten Herrn Doktor angehe, ſo wolle er ihm nicht zu nahe treten, aber für muthig halte er ihn nicht, wenigſtens nicht einer gewiſſen geheimen Vehme gegenüber, von der man munkle. Er könne hier ſeine Quellen nicht nennen; aber er müſſe glauben, es ſei im Lande ein Geheimbund errichtet mit Statuten, die ſie den Kletten- oder Kettenbrief nennen — wahr¬ ſcheinlich um das feſte Ineinandergreifen und Zuſam¬ menhalten der Bundesglieder zu bezeichnen. Auf Ver¬ rath ſtehe der Tod. Er wolle nun nicht behaupten, daß der Doktor ein Glied dieſer Kette ſei, er ſei nicht das Eiſen dazu, aber daß er ſich vor dieſen Banditen ſträflich fürchte, das ſei mehr als wahrſcheinlich. Dieſe Verſchwörung, deren Verräther dem Tode verfalle, behandelte der Herzog als eine vom Müſſig¬ gange erfundene und geglaubte Schauergeſchichte. „Man

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/312>, abgerufen am 22.11.2024.