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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Der Alte schritt rasch auf den Flur hinaus. Die
volltönende Stimme des Obersten Jenatsch klang jetzt
von den Steinstufen vor der Hauspforte her, wo er,
von einem Haufen umringt, neue ungestüme Frager
zur Ruhe wies. Der greise Lugnetzer bemächtigte sich
seiner und jetzt erschienen Beide vor dem offenen Ein¬
gange der Schenkstube, deren Thüre dem Jahrmarkte zu
Ehren ausgehoben worden war, um den Gästen freien
Ein- und Austritt zu gönnen.

"Hier hinein, Jürg!" rief der Alte, "und gieb
mir und allem Volke Rechenschaft." Willig ließ sich
der Oberst von dem Lugnetzer Gewalt anthun und trat
neben ihm in den Kreis, der sich rasch durch die von
ihren Sitzen Springenden um ihn bildete und immer
dichter wurde.

"Was ist denn für ein Geist des Zweifels in
Euch gefahren?" sagte Jenatsch, indem seine Augen
freundlich blitzten; "Ihr bestürmt mich um Gewißheit,
ob der Vertrag von Chiavenna unterschrieben sei?
Natürlich ist er's. Jetzt komme ich von Finstermünz,
wo ich Grenzstreitigkeiten zu schlichten hatte, wie sollt'
ich da um das Neueste wissen! Aber als ich den Her¬
zog verließ, war er der Sache gewiß und der erlauchte
Herr wurde wohl nur durch seine Krankheit abgehalten,
die Akte allem Volke kund zu geben."

Der Alte ſchritt raſch auf den Flur hinaus. Die
volltönende Stimme des Oberſten Jenatſch klang jetzt
von den Steinſtufen vor der Hauspforte her, wo er,
von einem Haufen umringt, neue ungeſtüme Frager
zur Ruhe wies. Der greiſe Lugnetzer bemächtigte ſich
ſeiner und jetzt erſchienen Beide vor dem offenen Ein¬
gange der Schenkſtube, deren Thüre dem Jahrmarkte zu
Ehren ausgehoben worden war, um den Gäſten freien
Ein- und Austritt zu gönnen.

„Hier hinein, Jürg!“ rief der Alte, „und gieb
mir und allem Volke Rechenſchaft.“ Willig ließ ſich
der Oberſt von dem Lugnetzer Gewalt anthun und trat
neben ihm in den Kreis, der ſich raſch durch die von
ihren Sitzen Springenden um ihn bildete und immer
dichter wurde.

„Was iſt denn für ein Geiſt des Zweifels in
Euch gefahren?“ ſagte Jenatſch, indem ſeine Augen
freundlich blitzten; „Ihr beſtürmt mich um Gewißheit,
ob der Vertrag von Chiavenna unterſchrieben ſei?
Natürlich iſt er's. Jetzt komme ich von Finſtermünz,
wo ich Grenzſtreitigkeiten zu ſchlichten hatte, wie ſollt'
ich da um das Neueſte wiſſen! Aber als ich den Her¬
zog verließ, war er der Sache gewiß und der erlauchte
Herr wurde wohl nur durch ſeine Krankheit abgehalten,
die Akte allem Volke kund zu geben.“

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[250/0260] Der Alte ſchritt raſch auf den Flur hinaus. Die volltönende Stimme des Oberſten Jenatſch klang jetzt von den Steinſtufen vor der Hauspforte her, wo er, von einem Haufen umringt, neue ungeſtüme Frager zur Ruhe wies. Der greiſe Lugnetzer bemächtigte ſich ſeiner und jetzt erſchienen Beide vor dem offenen Ein¬ gange der Schenkſtube, deren Thüre dem Jahrmarkte zu Ehren ausgehoben worden war, um den Gäſten freien Ein- und Austritt zu gönnen. „Hier hinein, Jürg!“ rief der Alte, „und gieb mir und allem Volke Rechenſchaft.“ Willig ließ ſich der Oberſt von dem Lugnetzer Gewalt anthun und trat neben ihm in den Kreis, der ſich raſch durch die von ihren Sitzen Springenden um ihn bildete und immer dichter wurde. „Was iſt denn für ein Geiſt des Zweifels in Euch gefahren?“ ſagte Jenatſch, indem ſeine Augen freundlich blitzten; „Ihr beſtürmt mich um Gewißheit, ob der Vertrag von Chiavenna unterſchrieben ſei? Natürlich iſt er's. Jetzt komme ich von Finſtermünz, wo ich Grenzſtreitigkeiten zu ſchlichten hatte, wie ſollt' ich da um das Neueſte wiſſen! Aber als ich den Her¬ zog verließ, war er der Sache gewiß und der erlauchte Herr wurde wohl nur durch ſeine Krankheit abgehalten, die Akte allem Volke kund zu geben.“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/260>, abgerufen am 22.11.2024.