Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

So lauteten die von Herzog Heinrich mit den
Häuptern Bündens zu Chiavenna berathenen und im
Domleschg bestätigten Vertragspunkte, die sogenannten
Thusnerartikel.

Genehmigte der König von Frankreich diesen von
Rohan für ihn geschlossenen Vertrag, -- und wie hätte
er es nicht thun sollen! -- so waren Bündens alte
Grenzen hergestellt und Heinrich Rohan hatte sein ge¬
gebenes Wort gelöst, denn in der That für diese Her¬
stellung ihrer alten Grenzen hatte er sich den Bünd¬
nern vor dem Feldzuge persönlich verbürgt, verbürgen
müssen. Dies Versprechen zu verweigern war ihm un¬
möglich gewesen, sollte sich das erschöpfte elende Land
noch einmal zum Kriege aufraffen. Darin hatte die
unerbittliche Logik des scharfsinnigen venetianischen
Provveditore das Richtige vorausgesagt; aber wie sehr,
wie vollständig hatte er sich geirrt, als er den Herzog
vor Georg Jenatsch glaubte warnen zu müssen!

Gerade für die Annahme der Thusnerartikel hatte
der Oberst das Unglaubliche gethan; es war wahrlich
kein leichtes gewesen, es hatte Gewandtheit und Aus¬
dauer genug auch den Liebling des Volkes gekostet, um
diese bei den argwöhnischen, auf ihre Unabhängigkeit
eifersüchtigen Bündnern durchzusetzen. Aber Jenatsch
hatte sich vervielfacht und von Thal zu Thale, von

So lauteten die von Herzog Heinrich mit den
Häuptern Bündens zu Chiavenna berathenen und im
Domleſchg beſtätigten Vertragspunkte, die ſogenannten
Thusnerartikel.

Genehmigte der König von Frankreich dieſen von
Rohan für ihn geſchloſſenen Vertrag, — und wie hätte
er es nicht thun ſollen! — ſo waren Bündens alte
Grenzen hergeſtellt und Heinrich Rohan hatte ſein ge¬
gebenes Wort gelöſt, denn in der That für dieſe Her¬
ſtellung ihrer alten Grenzen hatte er ſich den Bünd¬
nern vor dem Feldzuge perſönlich verbürgt, verbürgen
müſſen. Dies Verſprechen zu verweigern war ihm un¬
möglich geweſen, ſollte ſich das erſchöpfte elende Land
noch einmal zum Kriege aufraffen. Darin hatte die
unerbittliche Logik des ſcharfſinnigen venetianiſchen
Provveditore das Richtige vorausgeſagt; aber wie ſehr,
wie vollſtändig hatte er ſich geirrt, als er den Herzog
vor Georg Jenatſch glaubte warnen zu müſſen!

Gerade für die Annahme der Thusnerartikel hatte
der Oberſt das Unglaubliche gethan; es war wahrlich
kein leichtes geweſen, es hatte Gewandtheit und Aus¬
dauer genug auch den Liebling des Volkes gekoſtet, um
dieſe bei den argwöhniſchen, auf ihre Unabhängigkeit
eiferſüchtigen Bündnern durchzuſetzen. Aber Jenatſch
hatte ſich vervielfacht und von Thal zu Thale, von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0249" n="239"/>
          <p>So lauteten die von Herzog Heinrich mit den<lb/>
Häuptern Bündens zu Chiavenna berathenen und im<lb/>
Domle&#x017F;chg be&#x017F;tätigten Vertragspunkte, die &#x017F;ogenannten<lb/>
Thusnerartikel.</p><lb/>
          <p>Genehmigte der König von Frankreich die&#x017F;en von<lb/>
Rohan für ihn ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Vertrag, &#x2014; und wie hätte<lb/>
er es nicht thun &#x017F;ollen! &#x2014; &#x017F;o waren Bündens alte<lb/>
Grenzen herge&#x017F;tellt und Heinrich Rohan hatte &#x017F;ein ge¬<lb/>
gebenes Wort gelö&#x017F;t, denn in der That für die&#x017F;e Her¬<lb/>
&#x017F;tellung ihrer alten Grenzen hatte er &#x017F;ich den Bünd¬<lb/>
nern vor dem Feldzuge per&#x017F;önlich verbürgt, verbürgen<lb/>&#x017F;&#x017F;en. Dies Ver&#x017F;prechen zu verweigern war ihm un¬<lb/>
möglich gewe&#x017F;en, &#x017F;ollte &#x017F;ich das er&#x017F;chöpfte elende Land<lb/>
noch einmal zum Kriege aufraffen. Darin hatte die<lb/>
unerbittliche Logik des &#x017F;charf&#x017F;innigen venetiani&#x017F;chen<lb/>
Provveditore das Richtige vorausge&#x017F;agt; aber wie &#x017F;ehr,<lb/>
wie voll&#x017F;tändig hatte er &#x017F;ich geirrt, als er den Herzog<lb/>
vor Georg Jenat&#x017F;ch glaubte warnen zu mü&#x017F;&#x017F;en!</p><lb/>
          <p>Gerade für die Annahme der Thusnerartikel hatte<lb/>
der Ober&#x017F;t das Unglaubliche gethan; es war wahrlich<lb/>
kein leichtes gewe&#x017F;en, es hatte Gewandtheit und Aus¬<lb/>
dauer genug auch den Liebling des Volkes geko&#x017F;tet, um<lb/>
die&#x017F;e bei den argwöhni&#x017F;chen, auf ihre Unabhängigkeit<lb/>
eifer&#x017F;üchtigen Bündnern durchzu&#x017F;etzen. Aber Jenat&#x017F;ch<lb/>
hatte &#x017F;ich vervielfacht und von Thal zu Thale, von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0249] So lauteten die von Herzog Heinrich mit den Häuptern Bündens zu Chiavenna berathenen und im Domleſchg beſtätigten Vertragspunkte, die ſogenannten Thusnerartikel. Genehmigte der König von Frankreich dieſen von Rohan für ihn geſchloſſenen Vertrag, — und wie hätte er es nicht thun ſollen! — ſo waren Bündens alte Grenzen hergeſtellt und Heinrich Rohan hatte ſein ge¬ gebenes Wort gelöſt, denn in der That für dieſe Her¬ ſtellung ihrer alten Grenzen hatte er ſich den Bünd¬ nern vor dem Feldzuge perſönlich verbürgt, verbürgen müſſen. Dies Verſprechen zu verweigern war ihm un¬ möglich geweſen, ſollte ſich das erſchöpfte elende Land noch einmal zum Kriege aufraffen. Darin hatte die unerbittliche Logik des ſcharfſinnigen venetianiſchen Provveditore das Richtige vorausgeſagt; aber wie ſehr, wie vollſtändig hatte er ſich geirrt, als er den Herzog vor Georg Jenatſch glaubte warnen zu müſſen! Gerade für die Annahme der Thusnerartikel hatte der Oberſt das Unglaubliche gethan; es war wahrlich kein leichtes geweſen, es hatte Gewandtheit und Aus¬ dauer genug auch den Liebling des Volkes gekoſtet, um dieſe bei den argwöhniſchen, auf ihre Unabhängigkeit eiferſüchtigen Bündnern durchzuſetzen. Aber Jenatſch hatte ſich vervielfacht und von Thal zu Thale, von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/249
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/249>, abgerufen am 13.05.2024.