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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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daß eine so ursprüngliche und warme Natur wie dieser
Sohn der Berge eines so kalt konsequenten und ver¬
wickelten Verfahrens fähig sei.

"Dieser Mensch erscheint mir unbändig und ehr¬
lich wie eine Naturkraft," fügte er hinzu.

"Dieser Mensch berechnet jeden seiner Zornaus¬
brüche und benützt jede seiner Blutwallungen:" erwiederte
der Venetianer, gereizter als es von seiner Selbst¬
beherrschung zu erwarten war. "Er ist eine Gefahr
für Euch, und, wenn ich ihn verschwinden lasse, so hab'
ich Euch noch nie einen bessern Dienst erwiesen".

Der Herzog verharrte einige Augenblicke in schwei¬
gendem Nachdenken, dann sprach er mit großem Ernste:
"Und dennoch ersuche ich Euch um die Begnadigung des
Georg Jenatsch."

Grimani verbeugte sich, trat an den Arbeitstisch
des Geheimsekretärs Priolo, der in seiner Fensternische
ruhig weiter geschrieben hatte, warf ein paar Worte
auf ein Papier und bat den jungen Mann den Befehl
in das Staatsgefängniß zu bringen. Herzog Rohan
fügte bei, sein Adjutant Wertmüller möge den Schreiber
begleiten.

Jetzt heftete Grimani seine ruhigen, dunkeln Augen
auf den Herzog und fragte plötzlich, ob er ihm nicht
die Gunst gewähren könne, die Unterredung noch eine

daß eine ſo urſprüngliche und warme Natur wie dieſer
Sohn der Berge eines ſo kalt konſequenten und ver¬
wickelten Verfahrens fähig ſei.

„Dieſer Menſch erſcheint mir unbändig und ehr¬
lich wie eine Naturkraft,“ fügte er hinzu.

„Dieſer Menſch berechnet jeden ſeiner Zornaus¬
brüche und benützt jede ſeiner Blutwallungen:“ erwiederte
der Venetianer, gereizter als es von ſeiner Selbſt¬
beherrſchung zu erwarten war. „Er iſt eine Gefahr
für Euch, und, wenn ich ihn verſchwinden laſſe, ſo hab'
ich Euch noch nie einen beſſern Dienſt erwieſen“.

Der Herzog verharrte einige Augenblicke in ſchwei¬
gendem Nachdenken, dann ſprach er mit großem Ernſte:
„Und dennoch erſuche ich Euch um die Begnadigung des
Georg Jenatſch.“

Grimani verbeugte ſich, trat an den Arbeitstiſch
des Geheimſekretärs Priolo, der in ſeiner Fenſterniſche
ruhig weiter geſchrieben hatte, warf ein paar Worte
auf ein Papier und bat den jungen Mann den Befehl
in das Staatsgefängniß zu bringen. Herzog Rohan
fügte bei, ſein Adjutant Wertmüller möge den Schreiber
begleiten.

Jetzt heftete Grimani ſeine ruhigen, dunkeln Augen
auf den Herzog und fragte plötzlich, ob er ihm nicht
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[200/0210] daß eine ſo urſprüngliche und warme Natur wie dieſer Sohn der Berge eines ſo kalt konſequenten und ver¬ wickelten Verfahrens fähig ſei. „Dieſer Menſch erſcheint mir unbändig und ehr¬ lich wie eine Naturkraft,“ fügte er hinzu. „Dieſer Menſch berechnet jeden ſeiner Zornaus¬ brüche und benützt jede ſeiner Blutwallungen:“ erwiederte der Venetianer, gereizter als es von ſeiner Selbſt¬ beherrſchung zu erwarten war. „Er iſt eine Gefahr für Euch, und, wenn ich ihn verſchwinden laſſe, ſo hab' ich Euch noch nie einen beſſern Dienſt erwieſen“. Der Herzog verharrte einige Augenblicke in ſchwei¬ gendem Nachdenken, dann ſprach er mit großem Ernſte: „Und dennoch erſuche ich Euch um die Begnadigung des Georg Jenatſch.“ Grimani verbeugte ſich, trat an den Arbeitstiſch des Geheimſekretärs Priolo, der in ſeiner Fenſterniſche ruhig weiter geſchrieben hatte, warf ein paar Worte auf ein Papier und bat den jungen Mann den Befehl in das Staatsgefängniß zu bringen. Herzog Rohan fügte bei, ſein Adjutant Wertmüller möge den Schreiber begleiten. Jetzt heftete Grimani ſeine ruhigen, dunkeln Augen auf den Herzog und fragte plötzlich, ob er ihm nicht die Gunſt gewähren könne, die Unterredung noch eine

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/210>, abgerufen am 21.11.2024.