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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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schilderte, alsdann zu der großen Scene bei Petrocchi
überging, wo der barbarische Oberst sein in rühmlichen
Studien ergrautes Haupt mit Schimpf bedeckt, der
großherzige Hauptmann aber, von seiner -- des Ma¬
gisters -- ehrwürdiger Erscheinung und bescheidener
Forderung gerührt, mit schöner Menschlichkeit und an¬
tikem Edelmuthe für ihn eingetreten sei. -- Dem mör¬
derischen Duell hatte der Magister nicht beigewohnt,
dagegen vom Gerichte sich die Gunst erbeten, dem Pro¬
tokoll eine wichtige Papierrolle beilegen zu dürfen.
Diese fiel Waser in die Hand; aber er warf jetzt nur
einen flüchtigen Blick auf deren erste Seite. Er er¬
greife, sagte der Magister in der auf diesem Blatte
stehenden Widmung, einem Meisterstücke kalligraphischer
Kunst, die durch das Schicksal unverhofft ihm gewährte
Gelegenheit, dem erlauchten Provveditore, als dem hohen
Gönner aller Wissenschaft, die gesammelte Frucht eines
arbeitsamen langen Lebens in Demuth ersterbend an¬
zubieten: eine Abhandlung über die Patavinität seines
unsterblichen Mitbürgers Titus Livius, das heißt, über
die in dessen unvergleichliches Latein eingeflossenen
charaktervollen paduanischen Provinzialismen.

Das zweite Schriftstück, das Waser entfaltete, war
die Relation des Stadthauptmanns, die sich ausschlie߬
lich mit der Schlußscene des Handels beschäftigte.

ſchilderte, alsdann zu der großen Scene bei Petrocchi
überging, wo der barbariſche Oberſt ſein in rühmlichen
Studien ergrautes Haupt mit Schimpf bedeckt, der
großherzige Hauptmann aber, von ſeiner — des Ma¬
giſters — ehrwürdiger Erſcheinung und beſcheidener
Forderung gerührt, mit ſchöner Menſchlichkeit und an¬
tikem Edelmuthe für ihn eingetreten ſei. — Dem mör¬
deriſchen Duell hatte der Magiſter nicht beigewohnt,
dagegen vom Gerichte ſich die Gunſt erbeten, dem Pro¬
tokoll eine wichtige Papierrolle beilegen zu dürfen.
Dieſe fiel Waſer in die Hand; aber er warf jetzt nur
einen flüchtigen Blick auf deren erſte Seite. Er er¬
greife, ſagte der Magiſter in der auf dieſem Blatte
ſtehenden Widmung, einem Meiſterſtücke kalligraphiſcher
Kunſt, die durch das Schickſal unverhofft ihm gewährte
Gelegenheit, dem erlauchten Provveditore, als dem hohen
Gönner aller Wiſſenſchaft, die geſammelte Frucht eines
arbeitſamen langen Lebens in Demuth erſterbend an¬
zubieten: eine Abhandlung über die Patavinität ſeines
unſterblichen Mitbürgers Titus Livius, das heißt, über
die in deſſen unvergleichliches Latein eingefloſſenen
charaktervollen paduaniſchen Provinzialismen.

Das zweite Schriftſtück, das Waſer entfaltete, war
die Relation des Stadthauptmanns, die ſich ausſchlie߬
lich mit der Schlußſcene des Handels beſchäftigte.

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[190/0200] ſchilderte, alsdann zu der großen Scene bei Petrocchi überging, wo der barbariſche Oberſt ſein in rühmlichen Studien ergrautes Haupt mit Schimpf bedeckt, der großherzige Hauptmann aber, von ſeiner — des Ma¬ giſters — ehrwürdiger Erſcheinung und beſcheidener Forderung gerührt, mit ſchöner Menſchlichkeit und an¬ tikem Edelmuthe für ihn eingetreten ſei. — Dem mör¬ deriſchen Duell hatte der Magiſter nicht beigewohnt, dagegen vom Gerichte ſich die Gunſt erbeten, dem Pro¬ tokoll eine wichtige Papierrolle beilegen zu dürfen. Dieſe fiel Waſer in die Hand; aber er warf jetzt nur einen flüchtigen Blick auf deren erſte Seite. Er er¬ greife, ſagte der Magiſter in der auf dieſem Blatte ſtehenden Widmung, einem Meiſterſtücke kalligraphiſcher Kunſt, die durch das Schickſal unverhofft ihm gewährte Gelegenheit, dem erlauchten Provveditore, als dem hohen Gönner aller Wiſſenſchaft, die geſammelte Frucht eines arbeitſamen langen Lebens in Demuth erſterbend an¬ zubieten: eine Abhandlung über die Patavinität ſeines unſterblichen Mitbürgers Titus Livius, das heißt, über die in deſſen unvergleichliches Latein eingefloſſenen charaktervollen paduaniſchen Provinzialismen. Das zweite Schriftſtück, das Waſer entfaltete, war die Relation des Stadthauptmanns, die ſich ausſchlie߬ lich mit der Schlußſcene des Handels beſchäftigte.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/200>, abgerufen am 06.05.2024.