bündnerische Schönheit als das höchste Gut erschien, einen niederträchtigen Handel abgeschlossen haben. Ge¬ nug, in einer Nacht, da der alte Rudolf beim Guber¬ natore, der junge im Spielhaus sitzt und Lucretia mit einer bejahrten lombardischen Dienerin in dem öden Hause allein ist, hört sie verdächtiges Geräusch im Neben¬ gemache. Diebe vermuthend, ergreift sie das erste beste Messer und tritt in ihre vom Mond nur schwach er¬ hellte Kammer. Da drückt sich eine dunkle Gestalt in den Schatten. Lucretia schreitet auf sie zu und ruft sie an. Der junge Serbelloni tritt ihr entgegen, stürzt ihr zu Füßen und umfängt ihre Kniee mit den glühend¬ sten Liebesbetheurungen. Sie nennt ihn einen Nichts¬ würdigen und behandelt ihn mit so kalter Verachtung, daß sein Flehen sich jäh in Drohung verwandelt und er ihr sagt, sie sei in seiner Gewalt, die Thüren seien bewacht. Doch Lucretia, von stattlicher Gestalt und hohem Gemüth, hält den Emporspringenden mit der Linken kraftvoll nieder und stößt ihm mit der Rechten von oben das Messer in die Brust. Er schwankt und schreit nach seinen Knechten. Jetzt stürzt die bestochene Kammervettel, die an der Thüre gehorcht hatte, mit Jammergekreisch ins Gemach und schreckt mit ihrem mörderlichen Hilferufen die Nachbarschaft aus dem Schlafe. Die gewaltsame Entführung ist vereitelt, man
bündneriſche Schönheit als das höchſte Gut erſchien, einen niederträchtigen Handel abgeſchloſſen haben. Ge¬ nug, in einer Nacht, da der alte Rudolf beim Guber¬ natore, der junge im Spielhaus ſitzt und Lucretia mit einer bejahrten lombardiſchen Dienerin in dem öden Hauſe allein iſt, hört ſie verdächtiges Geräuſch im Neben¬ gemache. Diebe vermuthend, ergreift ſie das erſte beſte Meſſer und tritt in ihre vom Mond nur ſchwach er¬ hellte Kammer. Da drückt ſich eine dunkle Geſtalt in den Schatten. Lucretia ſchreitet auf ſie zu und ruft ſie an. Der junge Serbelloni tritt ihr entgegen, ſtürzt ihr zu Füßen und umfängt ihre Kniee mit den glühend¬ ſten Liebesbetheurungen. Sie nennt ihn einen Nichts¬ würdigen und behandelt ihn mit ſo kalter Verachtung, daß ſein Flehen ſich jäh in Drohung verwandelt und er ihr ſagt, ſie ſei in ſeiner Gewalt, die Thüren ſeien bewacht. Doch Lucretia, von ſtattlicher Geſtalt und hohem Gemüth, hält den Emporſpringenden mit der Linken kraftvoll nieder und ſtößt ihm mit der Rechten von oben das Meſſer in die Bruſt. Er ſchwankt und ſchreit nach ſeinen Knechten. Jetzt ſtürzt die beſtochene Kammervettel, die an der Thüre gehorcht hatte, mit Jammergekreiſch ins Gemach und ſchreckt mit ihrem mörderlichen Hilferufen die Nachbarſchaft aus dem Schlafe. Die gewaltſame Entführung iſt vereitelt, man
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0174"n="164"/>
bündneriſche Schönheit als das höchſte Gut erſchien,<lb/>
einen niederträchtigen Handel abgeſchloſſen haben. Ge¬<lb/>
nug, in einer Nacht, da der alte Rudolf beim Guber¬<lb/>
natore, der junge im Spielhaus ſitzt und Lucretia mit<lb/>
einer bejahrten lombardiſchen Dienerin in dem öden<lb/>
Hauſe allein iſt, hört ſie verdächtiges Geräuſch im Neben¬<lb/>
gemache. Diebe vermuthend, ergreift ſie das erſte beſte<lb/>
Meſſer und tritt in ihre vom Mond nur ſchwach er¬<lb/>
hellte Kammer. Da drückt ſich eine dunkle Geſtalt in<lb/>
den Schatten. Lucretia ſchreitet auf ſie zu und ruft<lb/>ſie an. Der junge Serbelloni tritt ihr entgegen, ſtürzt<lb/>
ihr zu Füßen und umfängt ihre Kniee mit den glühend¬<lb/>ſten Liebesbetheurungen. Sie nennt ihn einen Nichts¬<lb/>
würdigen und behandelt ihn mit ſo kalter Verachtung,<lb/>
daß ſein Flehen ſich jäh in Drohung verwandelt und<lb/>
er ihr ſagt, ſie ſei in ſeiner Gewalt, die Thüren ſeien<lb/>
bewacht. Doch Lucretia, von ſtattlicher Geſtalt und<lb/>
hohem Gemüth, hält den Emporſpringenden mit der<lb/>
Linken kraftvoll nieder und ſtößt ihm mit der Rechten<lb/>
von oben das Meſſer in die Bruſt. Er ſchwankt und<lb/>ſchreit nach ſeinen Knechten. Jetzt ſtürzt die beſtochene<lb/>
Kammervettel, die an der Thüre gehorcht hatte, mit<lb/>
Jammergekreiſch ins Gemach und ſchreckt mit ihrem<lb/>
mörderlichen Hilferufen die Nachbarſchaft aus dem<lb/>
Schlafe. Die gewaltſame Entführung iſt vereitelt, man<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[164/0174]
bündneriſche Schönheit als das höchſte Gut erſchien,
einen niederträchtigen Handel abgeſchloſſen haben. Ge¬
nug, in einer Nacht, da der alte Rudolf beim Guber¬
natore, der junge im Spielhaus ſitzt und Lucretia mit
einer bejahrten lombardiſchen Dienerin in dem öden
Hauſe allein iſt, hört ſie verdächtiges Geräuſch im Neben¬
gemache. Diebe vermuthend, ergreift ſie das erſte beſte
Meſſer und tritt in ihre vom Mond nur ſchwach er¬
hellte Kammer. Da drückt ſich eine dunkle Geſtalt in
den Schatten. Lucretia ſchreitet auf ſie zu und ruft
ſie an. Der junge Serbelloni tritt ihr entgegen, ſtürzt
ihr zu Füßen und umfängt ihre Kniee mit den glühend¬
ſten Liebesbetheurungen. Sie nennt ihn einen Nichts¬
würdigen und behandelt ihn mit ſo kalter Verachtung,
daß ſein Flehen ſich jäh in Drohung verwandelt und
er ihr ſagt, ſie ſei in ſeiner Gewalt, die Thüren ſeien
bewacht. Doch Lucretia, von ſtattlicher Geſtalt und
hohem Gemüth, hält den Emporſpringenden mit der
Linken kraftvoll nieder und ſtößt ihm mit der Rechten
von oben das Meſſer in die Bruſt. Er ſchwankt und
ſchreit nach ſeinen Knechten. Jetzt ſtürzt die beſtochene
Kammervettel, die an der Thüre gehorcht hatte, mit
Jammergekreiſch ins Gemach und ſchreckt mit ihrem
mörderlichen Hilferufen die Nachbarſchaft aus dem
Schlafe. Die gewaltſame Entführung iſt vereitelt, man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/174>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.