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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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bündnerische Schönheit als das höchste Gut erschien,
einen niederträchtigen Handel abgeschlossen haben. Ge¬
nug, in einer Nacht, da der alte Rudolf beim Guber¬
natore, der junge im Spielhaus sitzt und Lucretia mit
einer bejahrten lombardischen Dienerin in dem öden
Hause allein ist, hört sie verdächtiges Geräusch im Neben¬
gemache. Diebe vermuthend, ergreift sie das erste beste
Messer und tritt in ihre vom Mond nur schwach er¬
hellte Kammer. Da drückt sich eine dunkle Gestalt in
den Schatten. Lucretia schreitet auf sie zu und ruft
sie an. Der junge Serbelloni tritt ihr entgegen, stürzt
ihr zu Füßen und umfängt ihre Kniee mit den glühend¬
sten Liebesbetheurungen. Sie nennt ihn einen Nichts¬
würdigen und behandelt ihn mit so kalter Verachtung,
daß sein Flehen sich jäh in Drohung verwandelt und
er ihr sagt, sie sei in seiner Gewalt, die Thüren seien
bewacht. Doch Lucretia, von stattlicher Gestalt und
hohem Gemüth, hält den Emporspringenden mit der
Linken kraftvoll nieder und stößt ihm mit der Rechten
von oben das Messer in die Brust. Er schwankt und
schreit nach seinen Knechten. Jetzt stürzt die bestochene
Kammervettel, die an der Thüre gehorcht hatte, mit
Jammergekreisch ins Gemach und schreckt mit ihrem
mörderlichen Hilferufen die Nachbarschaft aus dem
Schlafe. Die gewaltsame Entführung ist vereitelt, man

bündneriſche Schönheit als das höchſte Gut erſchien,
einen niederträchtigen Handel abgeſchloſſen haben. Ge¬
nug, in einer Nacht, da der alte Rudolf beim Guber¬
natore, der junge im Spielhaus ſitzt und Lucretia mit
einer bejahrten lombardiſchen Dienerin in dem öden
Hauſe allein iſt, hört ſie verdächtiges Geräuſch im Neben¬
gemache. Diebe vermuthend, ergreift ſie das erſte beſte
Meſſer und tritt in ihre vom Mond nur ſchwach er¬
hellte Kammer. Da drückt ſich eine dunkle Geſtalt in
den Schatten. Lucretia ſchreitet auf ſie zu und ruft
ſie an. Der junge Serbelloni tritt ihr entgegen, ſtürzt
ihr zu Füßen und umfängt ihre Kniee mit den glühend¬
ſten Liebesbetheurungen. Sie nennt ihn einen Nichts¬
würdigen und behandelt ihn mit ſo kalter Verachtung,
daß ſein Flehen ſich jäh in Drohung verwandelt und
er ihr ſagt, ſie ſei in ſeiner Gewalt, die Thüren ſeien
bewacht. Doch Lucretia, von ſtattlicher Geſtalt und
hohem Gemüth, hält den Emporſpringenden mit der
Linken kraftvoll nieder und ſtößt ihm mit der Rechten
von oben das Meſſer in die Bruſt. Er ſchwankt und
ſchreit nach ſeinen Knechten. Jetzt ſtürzt die beſtochene
Kammervettel, die an der Thüre gehorcht hatte, mit
Jammergekreiſch ins Gemach und ſchreckt mit ihrem
mörderlichen Hilferufen die Nachbarſchaft aus dem
Schlafe. Die gewaltſame Entführung iſt vereitelt, man

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[164/0174] bündneriſche Schönheit als das höchſte Gut erſchien, einen niederträchtigen Handel abgeſchloſſen haben. Ge¬ nug, in einer Nacht, da der alte Rudolf beim Guber¬ natore, der junge im Spielhaus ſitzt und Lucretia mit einer bejahrten lombardiſchen Dienerin in dem öden Hauſe allein iſt, hört ſie verdächtiges Geräuſch im Neben¬ gemache. Diebe vermuthend, ergreift ſie das erſte beſte Meſſer und tritt in ihre vom Mond nur ſchwach er¬ hellte Kammer. Da drückt ſich eine dunkle Geſtalt in den Schatten. Lucretia ſchreitet auf ſie zu und ruft ſie an. Der junge Serbelloni tritt ihr entgegen, ſtürzt ihr zu Füßen und umfängt ihre Kniee mit den glühend¬ ſten Liebesbetheurungen. Sie nennt ihn einen Nichts¬ würdigen und behandelt ihn mit ſo kalter Verachtung, daß ſein Flehen ſich jäh in Drohung verwandelt und er ihr ſagt, ſie ſei in ſeiner Gewalt, die Thüren ſeien bewacht. Doch Lucretia, von ſtattlicher Geſtalt und hohem Gemüth, hält den Emporſpringenden mit der Linken kraftvoll nieder und ſtößt ihm mit der Rechten von oben das Meſſer in die Bruſt. Er ſchwankt und ſchreit nach ſeinen Knechten. Jetzt ſtürzt die beſtochene Kammervettel, die an der Thüre gehorcht hatte, mit Jammergekreiſch ins Gemach und ſchreckt mit ihrem mörderlichen Hilferufen die Nachbarſchaft aus dem Schlafe. Die gewaltſame Entführung iſt vereitelt, man

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/174>, abgerufen am 21.11.2024.