und eigensüchtig sich umhertreibt; sondern ich rede von der Menschwerdung eines ganzen Volkes, das sich mit seinem Geiste und seiner Leidenschaft, mit seinem Elende und seiner Schmach, mit seinen Seufzern, mit seinem Zorn und seiner Rache in mehrern, oder meinetwegen in einem seiner Söhne verkörpert und den welchen es besitzt und beseelt zu den nothwendigen Thaten be¬ vollmächtigt, daß er Wunder thun muß, auch wenn er nicht wollte! . . .
"Blickt umher! Seht Euer und mein kleines Vater¬ land, wie es zusammengedrückt wird von der Wucht ringsum sich bildender großer Monarchien und sprecht! Genügt da, wenn wir ein selbständiges Leben behaup¬ ten wollen, eine gewöhnliche Vaterlandsliebe und ein haushälterisches Maß von Opferlust?". . .
Diese mit der Heftigkeit eines verwundeten Ge¬ fühls hervorstürzenden Worte ließ der Locotenent an¬ fangs ohne Entgegnung. Er spielte mit seinem jungen spitzen Kinnbarte und schaute nach der Stadt zurück, wo sich auf dem in diesem Augenblicke hervorragendsten Bauwerke, der neuen Jesuitenkirche, die effektvolle Sta¬ tuengruppe des Daches von der Rückseite in den wun¬ derlichsten Verkürzungen zeigte. Die von eisernen Stangen gestützten Engel und Apostel mit ihren Flügeln
und eigenſüchtig ſich umhertreibt; ſondern ich rede von der Menſchwerdung eines ganzen Volkes, das ſich mit ſeinem Geiſte und ſeiner Leidenſchaft, mit ſeinem Elende und ſeiner Schmach, mit ſeinen Seufzern, mit ſeinem Zorn und ſeiner Rache in mehrern, oder meinetwegen in einem ſeiner Söhne verkörpert und den welchen es beſitzt und beſeelt zu den nothwendigen Thaten be¬ vollmächtigt, daß er Wunder thun muß, auch wenn er nicht wollte! . . .
„Blickt umher! Seht Euer und mein kleines Vater¬ land, wie es zuſammengedrückt wird von der Wucht ringsum ſich bildender großer Monarchien und ſprecht! Genügt da, wenn wir ein ſelbſtändiges Leben behaup¬ ten wollen, eine gewöhnliche Vaterlandsliebe und ein haushälteriſches Maß von Opferluſt?“. . .
Dieſe mit der Heftigkeit eines verwundeten Ge¬ fühls hervorſtürzenden Worte ließ der Locotenent an¬ fangs ohne Entgegnung. Er ſpielte mit ſeinem jungen ſpitzen Kinnbarte und ſchaute nach der Stadt zurück, wo ſich auf dem in dieſem Augenblicke hervorragendſten Bauwerke, der neuen Jeſuitenkirche, die effektvolle Sta¬ tuengruppe des Daches von der Rückſeite in den wun¬ derlichſten Verkürzungen zeigte. Die von eiſernen Stangen geſtützten Engel und Apoſtel mit ihren Flügeln
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0165"n="155"/>
und eigenſüchtig ſich umhertreibt; ſondern ich rede von<lb/>
der Menſchwerdung eines ganzen Volkes, das ſich mit<lb/>ſeinem Geiſte und ſeiner Leidenſchaft, mit ſeinem Elende<lb/>
und ſeiner Schmach, mit ſeinen Seufzern, mit ſeinem<lb/>
Zorn und ſeiner Rache in mehrern, oder meinetwegen<lb/>
in <hirendition="#g">einem</hi>ſeiner Söhne verkörpert und den welchen<lb/>
es beſitzt und beſeelt zu den nothwendigen Thaten be¬<lb/>
vollmächtigt, daß er Wunder thun muß, auch wenn er<lb/>
nicht wollte! . . .</p><lb/><p>„Blickt umher! Seht Euer und mein kleines Vater¬<lb/>
land, wie es zuſammengedrückt wird von der Wucht<lb/>
ringsum ſich bildender großer Monarchien und ſprecht!<lb/>
Genügt da, wenn wir ein ſelbſtändiges Leben behaup¬<lb/>
ten wollen, eine gewöhnliche Vaterlandsliebe und ein<lb/>
haushälteriſches Maß von Opferluſt?“. . .</p><lb/><p>Dieſe mit der Heftigkeit eines verwundeten Ge¬<lb/>
fühls hervorſtürzenden Worte ließ der Locotenent an¬<lb/>
fangs ohne Entgegnung. Er ſpielte mit ſeinem jungen<lb/>ſpitzen Kinnbarte und ſchaute nach der Stadt zurück, wo<lb/>ſich auf dem in dieſem Augenblicke hervorragendſten<lb/>
Bauwerke, der neuen Jeſuitenkirche, die effektvolle Sta¬<lb/>
tuengruppe des Daches von der Rückſeite in den wun¬<lb/>
derlichſten Verkürzungen zeigte. Die von eiſernen<lb/>
Stangen geſtützten Engel und Apoſtel mit ihren Flügeln<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[155/0165]
und eigenſüchtig ſich umhertreibt; ſondern ich rede von
der Menſchwerdung eines ganzen Volkes, das ſich mit
ſeinem Geiſte und ſeiner Leidenſchaft, mit ſeinem Elende
und ſeiner Schmach, mit ſeinen Seufzern, mit ſeinem
Zorn und ſeiner Rache in mehrern, oder meinetwegen
in einem ſeiner Söhne verkörpert und den welchen
es beſitzt und beſeelt zu den nothwendigen Thaten be¬
vollmächtigt, daß er Wunder thun muß, auch wenn er
nicht wollte! . . .
„Blickt umher! Seht Euer und mein kleines Vater¬
land, wie es zuſammengedrückt wird von der Wucht
ringsum ſich bildender großer Monarchien und ſprecht!
Genügt da, wenn wir ein ſelbſtändiges Leben behaup¬
ten wollen, eine gewöhnliche Vaterlandsliebe und ein
haushälteriſches Maß von Opferluſt?“. . .
Dieſe mit der Heftigkeit eines verwundeten Ge¬
fühls hervorſtürzenden Worte ließ der Locotenent an¬
fangs ohne Entgegnung. Er ſpielte mit ſeinem jungen
ſpitzen Kinnbarte und ſchaute nach der Stadt zurück, wo
ſich auf dem in dieſem Augenblicke hervorragendſten
Bauwerke, der neuen Jeſuitenkirche, die effektvolle Sta¬
tuengruppe des Daches von der Rückſeite in den wun¬
derlichſten Verkürzungen zeigte. Die von eiſernen
Stangen geſtützten Engel und Apoſtel mit ihren Flügeln
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/165>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.