Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

fragte Herr Waser, um die Blöße, die der Magister
sich gegeben, zu decken.

"Ein General!" rief das Bübchen und sprang von
der Bank, denn eben war man durch das Wasserthor des
Grendels gefahren und legte jetzt vor der Schifflände an.

Bald bewegte Herr Waser sich wieder in den ge¬
wohnten Geschäften und saß wie früher täglich auf der
Rathskanzlei; aber die staatsrechtlichen Handlungen
waren für ihn keine leeren Formeln mehr, keine bloße
Uebung seiner behenden Gedanken, er war davon durch¬
drungen, daß dabei Wohl und Wehe der Völker auf
dem Spiele stehe, er hatte der Wirklichkeit ins drohende
Antlitz geschaut.

In Folge seiner Reise nach Bünden und seiner
Rettung aus dem in allen protestantischen Landen Ent¬
setzen verbreitenden Veltlinermorde war das Ansehen des
jungen Amtschreibers in seiner Vaterstadt außerordent¬
lich gestiegen. Ja, es geschah eines Sonntags, als er
hinter dem Herrn Amtsbürgermeister in seinem Kirchen¬
stuhle saß, daß er aus dem Munde des Antistes der
zürcherischen Kirche, während alle Augen sich theilnehmend
auf ihn richteten, folgende seiner Bescheidenheit unwill¬
kommenen Worte vernahm:

fragte Herr Waſer, um die Blöße, die der Magiſter
ſich gegeben, zu decken.

„Ein General!“ rief das Bübchen und ſprang von
der Bank, denn eben war man durch das Waſſerthor des
Grendels gefahren und legte jetzt vor der Schifflände an.

Bald bewegte Herr Waſer ſich wieder in den ge¬
wohnten Geſchäften und ſaß wie früher täglich auf der
Rathskanzlei; aber die ſtaatsrechtlichen Handlungen
waren für ihn keine leeren Formeln mehr, keine bloße
Uebung ſeiner behenden Gedanken, er war davon durch¬
drungen, daß dabei Wohl und Wehe der Völker auf
dem Spiele ſtehe, er hatte der Wirklichkeit ins drohende
Antlitz geſchaut.

In Folge ſeiner Reiſe nach Bünden und ſeiner
Rettung aus dem in allen proteſtantiſchen Landen Ent¬
ſetzen verbreitenden Veltlinermorde war das Anſehen des
jungen Amtſchreibers in ſeiner Vaterſtadt außerordent¬
lich geſtiegen. Ja, es geſchah eines Sonntags, als er
hinter dem Herrn Amtsbürgermeiſter in ſeinem Kirchen¬
ſtuhle ſaß, daß er aus dem Munde des Antiſtes der
zürcheriſchen Kirche, während alle Augen ſich theilnehmend
auf ihn richteten, folgende ſeiner Beſcheidenheit unwill¬
kommenen Worte vernahm:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="105"/>
fragte Herr Wa&#x017F;er, um die Blöße, die der Magi&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;ich gegeben, zu decken.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ein General!&#x201C; rief das Bübchen und &#x017F;prang von<lb/>
der Bank, denn eben war man durch das Wa&#x017F;&#x017F;erthor des<lb/>
Grendels gefahren und legte jetzt vor der Schifflände an.</p><lb/>
          <p>Bald bewegte Herr Wa&#x017F;er &#x017F;ich wieder in den ge¬<lb/>
wohnten Ge&#x017F;chäften und &#x017F;aß wie früher täglich auf der<lb/>
Rathskanzlei; aber die &#x017F;taatsrechtlichen Handlungen<lb/>
waren für ihn keine leeren Formeln mehr, keine bloße<lb/>
Uebung &#x017F;einer behenden Gedanken, er war davon durch¬<lb/>
drungen, daß dabei Wohl und Wehe der Völker auf<lb/>
dem Spiele &#x017F;tehe, er hatte der Wirklichkeit ins drohende<lb/>
Antlitz ge&#x017F;chaut.</p><lb/>
          <p>In Folge &#x017F;einer Rei&#x017F;e nach Bünden und &#x017F;einer<lb/>
Rettung aus dem in allen prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Landen Ent¬<lb/>
&#x017F;etzen verbreitenden Veltlinermorde war das An&#x017F;ehen des<lb/>
jungen Amt&#x017F;chreibers in &#x017F;einer Vater&#x017F;tadt außerordent¬<lb/>
lich ge&#x017F;tiegen. Ja, es ge&#x017F;chah eines Sonntags, als er<lb/>
hinter dem Herrn Amtsbürgermei&#x017F;ter in &#x017F;einem Kirchen¬<lb/>
&#x017F;tuhle &#x017F;aß, daß er aus dem Munde des Anti&#x017F;tes der<lb/>
zürcheri&#x017F;chen Kirche, während alle Augen &#x017F;ich theilnehmend<lb/>
auf ihn richteten, folgende &#x017F;einer Be&#x017F;cheidenheit unwill¬<lb/>
kommenen Worte vernahm:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0115] fragte Herr Waſer, um die Blöße, die der Magiſter ſich gegeben, zu decken. „Ein General!“ rief das Bübchen und ſprang von der Bank, denn eben war man durch das Waſſerthor des Grendels gefahren und legte jetzt vor der Schifflände an. Bald bewegte Herr Waſer ſich wieder in den ge¬ wohnten Geſchäften und ſaß wie früher täglich auf der Rathskanzlei; aber die ſtaatsrechtlichen Handlungen waren für ihn keine leeren Formeln mehr, keine bloße Uebung ſeiner behenden Gedanken, er war davon durch¬ drungen, daß dabei Wohl und Wehe der Völker auf dem Spiele ſtehe, er hatte der Wirklichkeit ins drohende Antlitz geſchaut. In Folge ſeiner Reiſe nach Bünden und ſeiner Rettung aus dem in allen proteſtantiſchen Landen Ent¬ ſetzen verbreitenden Veltlinermorde war das Anſehen des jungen Amtſchreibers in ſeiner Vaterſtadt außerordent¬ lich geſtiegen. Ja, es geſchah eines Sonntags, als er hinter dem Herrn Amtsbürgermeiſter in ſeinem Kirchen¬ ſtuhle ſaß, daß er aus dem Munde des Antiſtes der zürcheriſchen Kirche, während alle Augen ſich theilnehmend auf ihn richteten, folgende ſeiner Beſcheidenheit unwill¬ kommenen Worte vernahm:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/115
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/115>, abgerufen am 09.05.2024.