Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

haarsträubenden Wirkungen des Fanatismus, und ob¬
gleich Waser das von ihm Erlebte so knapp als möglich
erzählte und seine eigene Person dabei bescheiden in den
Hintergrund stellte, konnte sich der Präceptor nicht ge¬
nug entsetzen über die unerhörte Gefahr Leibes und
Lebens, welcher sich der Herr Amtschreiber durch seine
Kühnheit ausgesetzt. Dann steuerte er seinen persön¬
lichen Angelegenheiten zu, wobei er gut fand, der latei¬
nischen Sprache sich zu bedienen.

"Niemalen, Herr Amtschreiber", bemerkte er, "hätte
ich diese schwierige Erziehung übernommen, denn der
Kleine, obgleich ein ausgezeichnetes Ingenium, ist, unter
uns gesagt, ein bösartiges Dämönlein, wenn mir nicht
des Herrn Obersten Schmid Gnaden heilig versprochen
hätten, daß ich bei Zufriedenheit mit meinen Leistungen
später diesen seinen Stiefsohn auf einer Bildungsreise
begleiten dürfte, wie sie noch selten gemacht worden ist.
Die deutschen Lande, Italien, Frankreich sollen besucht
werden, und wie Cäsar werden wir bis nach Britannia
vordringen."

"Ja, der Verbi divini muß mit!" rief hier plötz¬
lich der kleine Kobold, der den Gegenstand der Unter¬
haltung errathen hatte. "Aber vorher muß er mich alle
Sprachen lehren, daß ich in allen kommandiren kann!"

"Was willst Du denn eigentlich werden, Rudolf?"

haarſträubenden Wirkungen des Fanatismus, und ob¬
gleich Waſer das von ihm Erlebte ſo knapp als möglich
erzählte und ſeine eigene Perſon dabei beſcheiden in den
Hintergrund ſtellte, konnte ſich der Präceptor nicht ge¬
nug entſetzen über die unerhörte Gefahr Leibes und
Lebens, welcher ſich der Herr Amtſchreiber durch ſeine
Kühnheit ausgeſetzt. Dann ſteuerte er ſeinen perſön¬
lichen Angelegenheiten zu, wobei er gut fand, der latei¬
niſchen Sprache ſich zu bedienen.

„Niemalen, Herr Amtſchreiber“, bemerkte er, „hätte
ich dieſe ſchwierige Erziehung übernommen, denn der
Kleine, obgleich ein ausgezeichnetes Ingenium, iſt, unter
uns geſagt, ein bösartiges Dämönlein, wenn mir nicht
des Herrn Oberſten Schmid Gnaden heilig verſprochen
hätten, daß ich bei Zufriedenheit mit meinen Leiſtungen
ſpäter dieſen ſeinen Stiefſohn auf einer Bildungsreiſe
begleiten dürfte, wie ſie noch ſelten gemacht worden iſt.
Die deutſchen Lande, Italien, Frankreich ſollen beſucht
werden, und wie Cäſar werden wir bis nach Britannia
vordringen.“

„Ja, der Verbi divini muß mit!“ rief hier plötz¬
lich der kleine Kobold, der den Gegenſtand der Unter¬
haltung errathen hatte. „Aber vorher muß er mich alle
Sprachen lehren, daß ich in allen kommandiren kann!“

„Was willſt Du denn eigentlich werden, Rudolf?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0114" n="104"/>
haar&#x017F;träubenden Wirkungen des Fanatismus, und ob¬<lb/>
gleich Wa&#x017F;er das von ihm Erlebte &#x017F;o knapp als möglich<lb/>
erzählte und &#x017F;eine eigene Per&#x017F;on dabei be&#x017F;cheiden in den<lb/>
Hintergrund &#x017F;tellte, konnte &#x017F;ich der Präceptor nicht ge¬<lb/>
nug ent&#x017F;etzen über die unerhörte Gefahr Leibes und<lb/>
Lebens, welcher &#x017F;ich der Herr Amt&#x017F;chreiber durch &#x017F;eine<lb/>
Kühnheit ausge&#x017F;etzt. Dann &#x017F;teuerte er &#x017F;einen per&#x017F;ön¬<lb/>
lichen Angelegenheiten zu, wobei er gut fand, der latei¬<lb/>
ni&#x017F;chen Sprache &#x017F;ich zu bedienen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Niemalen, Herr Amt&#x017F;chreiber&#x201C;, bemerkte er, &#x201E;hätte<lb/>
ich die&#x017F;e &#x017F;chwierige Erziehung übernommen, denn der<lb/>
Kleine, obgleich ein ausgezeichnetes Ingenium, i&#x017F;t, unter<lb/>
uns ge&#x017F;agt, ein bösartiges Dämönlein, wenn mir nicht<lb/>
des Herrn Ober&#x017F;ten Schmid Gnaden heilig ver&#x017F;prochen<lb/>
hätten, daß ich bei Zufriedenheit mit meinen Lei&#x017F;tungen<lb/>
&#x017F;päter die&#x017F;en &#x017F;einen Stief&#x017F;ohn auf einer Bildungsrei&#x017F;e<lb/>
begleiten dürfte, wie &#x017F;ie noch &#x017F;elten gemacht worden i&#x017F;t.<lb/>
Die deut&#x017F;chen Lande, Italien, Frankreich &#x017F;ollen be&#x017F;ucht<lb/>
werden, und wie Cä&#x017F;ar werden wir bis nach Britannia<lb/>
vordringen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, der Verbi divini muß mit!&#x201C; rief hier plötz¬<lb/>
lich der kleine Kobold, der den Gegen&#x017F;tand der Unter¬<lb/>
haltung errathen hatte. &#x201E;Aber vorher muß er mich alle<lb/>
Sprachen lehren, daß ich in allen kommandiren kann!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was will&#x017F;t Du denn eigentlich werden, Rudolf?&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0114] haarſträubenden Wirkungen des Fanatismus, und ob¬ gleich Waſer das von ihm Erlebte ſo knapp als möglich erzählte und ſeine eigene Perſon dabei beſcheiden in den Hintergrund ſtellte, konnte ſich der Präceptor nicht ge¬ nug entſetzen über die unerhörte Gefahr Leibes und Lebens, welcher ſich der Herr Amtſchreiber durch ſeine Kühnheit ausgeſetzt. Dann ſteuerte er ſeinen perſön¬ lichen Angelegenheiten zu, wobei er gut fand, der latei¬ niſchen Sprache ſich zu bedienen. „Niemalen, Herr Amtſchreiber“, bemerkte er, „hätte ich dieſe ſchwierige Erziehung übernommen, denn der Kleine, obgleich ein ausgezeichnetes Ingenium, iſt, unter uns geſagt, ein bösartiges Dämönlein, wenn mir nicht des Herrn Oberſten Schmid Gnaden heilig verſprochen hätten, daß ich bei Zufriedenheit mit meinen Leiſtungen ſpäter dieſen ſeinen Stiefſohn auf einer Bildungsreiſe begleiten dürfte, wie ſie noch ſelten gemacht worden iſt. Die deutſchen Lande, Italien, Frankreich ſollen beſucht werden, und wie Cäſar werden wir bis nach Britannia vordringen.“ „Ja, der Verbi divini muß mit!“ rief hier plötz¬ lich der kleine Kobold, der den Gegenſtand der Unter¬ haltung errathen hatte. „Aber vorher muß er mich alle Sprachen lehren, daß ich in allen kommandiren kann!“ „Was willſt Du denn eigentlich werden, Rudolf?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/114
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/114>, abgerufen am 24.11.2024.