Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kaiser und das Fräulein.
Hoch am Septimer, dem Kaiserpasse,
(Denn die Kaiser pflegten nach Italien
Ueber dieses Bergesjoch zu reiten)
Hielt ich unter steilen Sonnenstrahlen
Mittagsrast. Mir gegenüber wand sich
Um den Felsen noch ein Stück des alten
Saumwegs schwebend über jähem Abgrund.
Mittag ist des Berges Geisterstunde.
In die Sonne blinzelt' ich. Ein Hornruf!
Banner flattern. Schwert und Bügel klirren.
Frau'n und Ritter gleiten aus den Sätteln.
Sorglich leiten Säumer scheue Rosse.
Die gestrenge Kais'rin seh' ich schreiten,
Ein versteinert Weib mit harten Zügen.
Hinter ihr die Fräulein. Einer Zarten
Schwindelt plötzlich. Ihre Kniee wanken.
Sich entfärbend lehnt sie an die Bergwand ...
Rasch ein Held -- er trägt das Kaiserkrönlein
Um die Kappe -- fängt in seinen mächt'gen
Armen auf das wanke Kind und trägt es
An die Brust gedrückt. Das Mädchen schwebte
Sicher überm Abgrund und er raubt' ihr
Einen flücht'gen Kuß. Da schwand das Blendwerk.
Weiter pilgernd räthselt' ich ein Weilchen:
War es einer der Ottonen oder
War's ein Heinrich oder war's ein Friedrich,
Der die wehrlos Schwebende geküßt hat?

Der Kaiſer und das Fräulein.
Hoch am Septimer, dem Kaiſerpaſſe,
(Denn die Kaiſer pflegten nach Italien
Ueber dieſes Bergesjoch zu reiten)
Hielt ich unter ſteilen Sonnenſtrahlen
Mittagsraſt. Mir gegenüber wand ſich
Um den Felſen noch ein Stück des alten
Saumwegs ſchwebend über jähem Abgrund.
Mittag iſt des Berges Geiſterſtunde.
In die Sonne blinzelt' ich. Ein Hornruf!
Banner flattern. Schwert und Bügel klirren.
Frau'n und Ritter gleiten aus den Sätteln.
Sorglich leiten Säumer ſcheue Roſſe.
Die geſtrenge Kaiſ'rin ſeh' ich ſchreiten,
Ein verſteinert Weib mit harten Zügen.
Hinter ihr die Fräulein. Einer Zarten
Schwindelt plötzlich. Ihre Kniee wanken.
Sich entfärbend lehnt ſie an die Bergwand ...
Raſch ein Held — er trägt das Kaiſerkrönlein
Um die Kappe — fängt in ſeinen mächt'gen
Armen auf das wanke Kind und trägt es
An die Bruſt gedrückt. Das Mädchen ſchwebte
Sicher überm Abgrund und er raubt' ihr
Einen flücht'gen Kuß. Da ſchwand das Blendwerk.
Weiter pilgernd räthſelt' ich ein Weilchen:
War es einer der Ottonen oder
War's ein Heinrich oder war's ein Friedrich,
Der die wehrlos Schwebende geküßt hat?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0098" n="84"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der Kai&#x017F;er und das Fräulein.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <l>Hoch am Septimer, dem Kai&#x017F;erpa&#x017F;&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>(Denn die Kai&#x017F;er pflegten nach Italien</l><lb/>
            <l>Ueber die&#x017F;es Bergesjoch zu reiten)</l><lb/>
            <l>Hielt ich unter &#x017F;teilen Sonnen&#x017F;trahlen</l><lb/>
            <l>Mittagsra&#x017F;t. Mir gegenüber wand &#x017F;ich</l><lb/>
            <l>Um den Fel&#x017F;en noch ein Stück des alten</l><lb/>
            <l>Saumwegs &#x017F;chwebend über jähem Abgrund.</l><lb/>
            <l>Mittag i&#x017F;t des Berges Gei&#x017F;ter&#x017F;tunde.</l><lb/>
            <l>In die Sonne blinzelt' ich. Ein Hornruf!</l><lb/>
            <l>Banner flattern. Schwert und Bügel klirren.</l><lb/>
            <l>Frau'n und Ritter gleiten aus den Sätteln.</l><lb/>
            <l>Sorglich leiten Säumer &#x017F;cheue Ro&#x017F;&#x017F;e.</l><lb/>
            <l>Die ge&#x017F;trenge Kai&#x017F;'rin &#x017F;eh' ich &#x017F;chreiten,</l><lb/>
            <l>Ein ver&#x017F;teinert Weib mit harten Zügen.</l><lb/>
            <l>Hinter ihr die Fräulein. Einer Zarten</l><lb/>
            <l>Schwindelt plötzlich. Ihre Kniee wanken.</l><lb/>
            <l>Sich entfärbend lehnt &#x017F;ie an die Bergwand ...</l><lb/>
            <l>Ra&#x017F;ch ein Held &#x2014; er trägt das Kai&#x017F;erkrönlein</l><lb/>
            <l>Um die Kappe &#x2014; fängt in &#x017F;einen mächt'gen</l><lb/>
            <l>Armen auf das wanke Kind und trägt es</l><lb/>
            <l>An die Bru&#x017F;t gedrückt. Das Mädchen &#x017F;chwebte</l><lb/>
            <l>Sicher überm Abgrund und er raubt' ihr</l><lb/>
            <l>Einen flücht'gen Kuß. Da &#x017F;chwand das Blendwerk.</l><lb/>
            <l>Weiter pilgernd räth&#x017F;elt' ich ein Weilchen:</l><lb/>
            <l>War es einer der Ottonen oder</l><lb/>
            <l>War's ein Heinrich oder war's ein Friedrich,</l><lb/>
            <l>Der die wehrlos Schwebende geküßt hat?</l><lb/>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0098] Der Kaiſer und das Fräulein. Hoch am Septimer, dem Kaiſerpaſſe, (Denn die Kaiſer pflegten nach Italien Ueber dieſes Bergesjoch zu reiten) Hielt ich unter ſteilen Sonnenſtrahlen Mittagsraſt. Mir gegenüber wand ſich Um den Felſen noch ein Stück des alten Saumwegs ſchwebend über jähem Abgrund. Mittag iſt des Berges Geiſterſtunde. In die Sonne blinzelt' ich. Ein Hornruf! Banner flattern. Schwert und Bügel klirren. Frau'n und Ritter gleiten aus den Sätteln. Sorglich leiten Säumer ſcheue Roſſe. Die geſtrenge Kaiſ'rin ſeh' ich ſchreiten, Ein verſteinert Weib mit harten Zügen. Hinter ihr die Fräulein. Einer Zarten Schwindelt plötzlich. Ihre Kniee wanken. Sich entfärbend lehnt ſie an die Bergwand ... Raſch ein Held — er trägt das Kaiſerkrönlein Um die Kappe — fängt in ſeinen mächt'gen Armen auf das wanke Kind und trägt es An die Bruſt gedrückt. Das Mädchen ſchwebte Sicher überm Abgrund und er raubt' ihr Einen flücht'gen Kuß. Da ſchwand das Blendwerk. Weiter pilgernd räthſelt' ich ein Weilchen: War es einer der Ottonen oder War's ein Heinrich oder war's ein Friedrich, Der die wehrlos Schwebende geküßt hat?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/98
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/98>, abgerufen am 24.11.2024.