Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Schnell flüstert's aus dem Baume jetzt:
"Der Mord ist nicht vollendet!
Ich bin nur leicht am Arm verletzt.
Ich hatt' mich umgewendet."
"Komm, Göttin", fleht er, "Waldeskind,
Daß ich Vergebung finde!"
Die Schultern schmiegend schlüpft geschwind
Die Dryas aus der Rinde.
Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar,
Ein Brüten und ein Weben,
Von grünem Blätterschatten war
Der schlanke Wuchs umgeben.
Er fing den Arm zu küssen an,
Die Stelle mit dem Hiebe,
Und, der er viel zu Leid gethan,
Die that ihm viel zu Liebe.
"In meinem Baum -- ist lauter Traum" ...
Sie schlüpft zurück behende
Und lispelt in den Waldesraum:
"Ich weiß, wen ich dir sende!"
Der Botin Biene Dienst ist schwer,
Sie muß sich redlich plagen,
Honig und Wermuth hin und her,
Waldaus, waldein zu tragen.
Schnell flüſtert's aus dem Baume jetzt:
„Der Mord iſt nicht vollendet!
Ich bin nur leicht am Arm verletzt.
Ich hatt' mich umgewendet.“
„Komm, Göttin“, fleht er, „Waldeskind,
Daß ich Vergebung finde!“
Die Schultern ſchmiegend ſchlüpft geſchwind
Die Dryas aus der Rinde.
Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar,
Ein Brüten und ein Weben,
Von grünem Blätterſchatten war
Der ſchlanke Wuchs umgeben.
Er fing den Arm zu küſſen an,
Die Stelle mit dem Hiebe,
Und, der er viel zu Leid gethan,
Die that ihm viel zu Liebe.
„In meinem Baum — iſt lauter Traum“ ...
Sie ſchlüpft zurück behende
Und lispelt in den Waldesraum:
„Ich weiß, wen ich dir ſende!“
Der Botin Biene Dienſt iſt ſchwer,
Sie muß ſich redlich plagen,
Honig und Wermuth hin und her,
Waldaus, waldein zu tragen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0034" n="20"/>
            <lg n="6">
              <l>Schnell flü&#x017F;tert's aus dem Baume jetzt:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Der Mord i&#x017F;t nicht vollendet!</l><lb/>
              <l>Ich bin nur leicht am Arm verletzt.</l><lb/>
              <l>Ich hatt' mich umgewendet.&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>&#x201E;Komm, Göttin&#x201C;, fleht er, &#x201E;Waldeskind,</l><lb/>
              <l>Daß ich Vergebung finde!&#x201C;</l><lb/>
              <l>Die Schultern &#x017F;chmiegend &#x017F;chlüpft ge&#x017F;chwind</l><lb/>
              <l>Die Dryas aus der Rinde.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="8">
              <l>Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar,</l><lb/>
              <l>Ein Brüten und ein Weben,</l><lb/>
              <l>Von grünem Blätter&#x017F;chatten war</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;chlanke Wuchs umgeben.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="9">
              <l>Er fing den Arm zu kü&#x017F;&#x017F;en an,</l><lb/>
              <l>Die Stelle mit dem Hiebe,</l><lb/>
              <l>Und, der er viel zu Leid gethan,</l><lb/>
              <l>Die that ihm viel zu Liebe.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="10">
              <l>&#x201E;In meinem Baum &#x2014; i&#x017F;t lauter Traum&#x201C; ...</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;chlüpft zurück behende</l><lb/>
              <l>Und lispelt in den Waldesraum:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ich weiß, wen ich dir &#x017F;ende!&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="11">
              <l>Der Botin Biene Dien&#x017F;t i&#x017F;t &#x017F;chwer,</l><lb/>
              <l>Sie muß &#x017F;ich redlich plagen,</l><lb/>
              <l>Honig und Wermuth hin und her,</l><lb/>
              <l>Waldaus, waldein zu tragen.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0034] Schnell flüſtert's aus dem Baume jetzt: „Der Mord iſt nicht vollendet! Ich bin nur leicht am Arm verletzt. Ich hatt' mich umgewendet.“ „Komm, Göttin“, fleht er, „Waldeskind, Daß ich Vergebung finde!“ Die Schultern ſchmiegend ſchlüpft geſchwind Die Dryas aus der Rinde. Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar, Ein Brüten und ein Weben, Von grünem Blätterſchatten war Der ſchlanke Wuchs umgeben. Er fing den Arm zu küſſen an, Die Stelle mit dem Hiebe, Und, der er viel zu Leid gethan, Die that ihm viel zu Liebe. „In meinem Baum — iſt lauter Traum“ ... Sie ſchlüpft zurück behende Und lispelt in den Waldesraum: „Ich weiß, wen ich dir ſende!“ Der Botin Biene Dienſt iſt ſchwer, Sie muß ſich redlich plagen, Honig und Wermuth hin und her, Waldaus, waldein zu tragen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/34
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/34>, abgerufen am 24.11.2024.