Idyllenwelt mit Lämmchen zu spielen, sondern in der Welt, wie sie ist, durch Entfernung der Unnatur die Natur von selbst wieder zu finden, und die entfessel¬ ten Glieder in leichter, sicherer Harmonie zu be¬ wegen.
Sein ganzes Wesen war von jenem Geiste der Anmuth, des Frohsinns, der Unbefangenheit und Si¬ cherheit durchdrungen, frei, fein und witzig, leicht, beweglich und unerschöpflich im Scherz, wie es der natürliche und gesunde Zustand des Lebens stets ver¬ langt, und noch mehr dazu aufgefordert durch den Gegensatz der zähen und herben Zeit. Darum fand er auch mit sicherem Tackt, was die Vorfahren und andern Völker in liebenswürdiger Grazie auszeich¬ net, allwärts heraus, und gewann leicht die schwere Kunst, den eigenen Geist daran zu verfeinern, der eigenen Poesie es einzuhauchen und die Musterhaf¬ tigkeit desselben den Deutschen klar zu machen. Aber es war auch fast nur diese Grazie, die er bei seinem großen Studium der alten und fremden Poesie vor allem heraushob, als das ihn vorzüglich Ansprechende, ihm vor allen Geltende. Hier ist er der einzige.
Am stärksten ward Wieland's Genius nach Grie¬ chenland gezogen. Dort fand er alle Ideale seiner Grazie, dort trank er den reinen Trunk des Le¬ bens und der Natur. Nur wenige Geister sind in jener Heimath des Schönen heimisch geworden, jeder auf andere Weise. Ein Leben, wie das griechische, ist zu groß, als daß es ein Geist ganz erfassen
Idyllenwelt mit Laͤmmchen zu ſpielen, ſondern in der Welt, wie ſie iſt, durch Entfernung der Unnatur die Natur von ſelbſt wieder zu finden, und die entfeſſel¬ ten Glieder in leichter, ſicherer Harmonie zu be¬ wegen.
Sein ganzes Weſen war von jenem Geiſte der Anmuth, des Frohſinns, der Unbefangenheit und Si¬ cherheit durchdrungen, frei, fein und witzig, leicht, beweglich und unerſchoͤpflich im Scherz, wie es der natuͤrliche und geſunde Zuſtand des Lebens ſtets ver¬ langt, und noch mehr dazu aufgefordert durch den Gegenſatz der zaͤhen und herben Zeit. Darum fand er auch mit ſicherem Tackt, was die Vorfahren und andern Voͤlker in liebenswuͤrdiger Grazie auszeich¬ net, allwaͤrts heraus, und gewann leicht die ſchwere Kunſt, den eigenen Geiſt daran zu verfeinern, der eigenen Poeſie es einzuhauchen und die Muſterhaf¬ tigkeit deſſelben den Deutſchen klar zu machen. Aber es war auch faſt nur dieſe Grazie, die er bei ſeinem großen Studium der alten und fremden Poeſie vor allem heraushob, als das ihn vorzuͤglich Anſprechende, ihm vor allen Geltende. Hier iſt er der einzige.
Am ſtaͤrkſten ward Wieland's Genius nach Grie¬ chenland gezogen. Dort fand er alle Ideale ſeiner Grazie, dort trank er den reinen Trunk des Le¬ bens und der Natur. Nur wenige Geiſter ſind in jener Heimath des Schoͤnen heimiſch geworden, jeder auf andere Weiſe. Ein Leben, wie das griechiſche, iſt zu groß, als daß es ein Geiſt ganz erfaſſen
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Idyllenwelt mit Laͤmmchen zu ſpielen, ſondern in der
Welt, wie ſie iſt, durch Entfernung der Unnatur die
Natur von ſelbſt wieder zu finden, und die entfeſſel¬
ten Glieder in leichter, ſicherer Harmonie zu be¬
wegen.
Sein ganzes Weſen war von jenem Geiſte der
Anmuth, des Frohſinns, der Unbefangenheit und Si¬
cherheit durchdrungen, frei, fein und witzig, leicht,
beweglich und unerſchoͤpflich im Scherz, wie es der
natuͤrliche und geſunde Zuſtand des Lebens ſtets ver¬
langt, und noch mehr dazu aufgefordert durch den
Gegenſatz der zaͤhen und herben Zeit. Darum fand
er auch mit ſicherem Tackt, was die Vorfahren und
andern Voͤlker in liebenswuͤrdiger Grazie auszeich¬
net, allwaͤrts heraus, und gewann leicht die ſchwere
Kunſt, den eigenen Geiſt daran zu verfeinern, der
eigenen Poeſie es einzuhauchen und die Muſterhaf¬
tigkeit deſſelben den Deutſchen klar zu machen. Aber
es war auch faſt nur dieſe Grazie, die er bei ſeinem
großen Studium der alten und fremden Poeſie vor
allem heraushob, als das ihn vorzuͤglich Anſprechende,
ihm vor allen Geltende. Hier iſt er der einzige.
Am ſtaͤrkſten ward Wieland's Genius nach Grie¬
chenland gezogen. Dort fand er alle Ideale ſeiner
Grazie, dort trank er den reinen Trunk des Le¬
bens und der Natur. Nur wenige Geiſter ſind in
jener Heimath des Schoͤnen heimiſch geworden, jeder
auf andere Weiſe. Ein Leben, wie das griechiſche,
iſt zu groß, als daß es ein Geiſt ganz erfaſſen
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/99>, abgerufen am 27.11.2024.
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