woraus der Geist der deutschen Sprache verschwun¬ den war, und Voß bemühte sich, es durch griechi¬ sche Zusammensetzungen und Constructionen wieder zu beleben. Er löste die deutsche Sprache in ihre ur¬ sprünglichen atomistischen Bestandtheile auf und ver¬ suchte, nach mechanischen Gesetzen einen neuen Bau daraus aufzuführen, aber in diesem todten Gerüst war keine Seele. Niemand konnte so sprechen, wie Voß schrieb. Es würde jedem qualvoll und lächerlich vorgekommen seyn, wenn er seine Worte wie Voß hätte stellen sollen. Man sehe Schiller's und Göthe's Verse; wenn sie auch oft pathetisch sind, so könnte doch jeder Deutsche in der Gluth der Leidenschaft so reden, wie sie. Aber wenn Voß auch die gleichgül¬ tigsten Gegenstände mit aller möglichen Ruhe verhan¬ delt, thut er es auf eine so seltsame pedantische und fremde Weise, daß niemand im gleichen Falle so spre¬ chen möchte wie er. Das macht, Schiller und Göthe huldigen dem Genius der deutschen Sprache, ihre Worte sind immer, selbst in der Leidenschaft oder Feierlichkeit, die natürlichsten; so fühlen, so reden Deutsche. Voß aber kennt jenen Genius nicht, seine Worte lauten wie deutsch, aber sie sind es nicht. Sie klingen immer nur wie eine steife Übersetzung, auch wo er wirklich nicht übersetzt.
Hat er nun aber wohl umgekehrt, wenn er den Geist der deutschen Sprache verkannt, den der grie¬ chischen rein aufgefaßt? Wir würden es ihm verge¬ ben, daß er unsre Sprache zum Opfer gebracht hätte,
woraus der Geiſt der deutſchen Sprache verſchwun¬ den war, und Voß bemuͤhte ſich, es durch griechi¬ ſche Zuſammenſetzungen und Conſtructionen wieder zu beleben. Er loͤste die deutſche Sprache in ihre ur¬ ſpruͤnglichen atomiſtiſchen Beſtandtheile auf und ver¬ ſuchte, nach mechaniſchen Geſetzen einen neuen Bau daraus aufzufuͤhren, aber in dieſem todten Geruͤſt war keine Seele. Niemand konnte ſo ſprechen, wie Voß ſchrieb. Es wuͤrde jedem qualvoll und laͤcherlich vorgekommen ſeyn, wenn er ſeine Worte wie Voß haͤtte ſtellen ſollen. Man ſehe Schiller's und Goͤthe's Verſe; wenn ſie auch oft pathetiſch ſind, ſo koͤnnte doch jeder Deutſche in der Gluth der Leidenſchaft ſo reden, wie ſie. Aber wenn Voß auch die gleichguͤl¬ tigſten Gegenſtaͤnde mit aller moͤglichen Ruhe verhan¬ delt, thut er es auf eine ſo ſeltſame pedantiſche und fremde Weiſe, daß niemand im gleichen Falle ſo ſpre¬ chen moͤchte wie er. Das macht, Schiller und Goͤthe huldigen dem Genius der deutſchen Sprache, ihre Worte ſind immer, ſelbſt in der Leidenſchaft oder Feierlichkeit, die natuͤrlichſten; ſo fuͤhlen, ſo reden Deutſche. Voß aber kennt jenen Genius nicht, ſeine Worte lauten wie deutſch, aber ſie ſind es nicht. Sie klingen immer nur wie eine ſteife Überſetzung, auch wo er wirklich nicht uͤberſetzt.
Hat er nun aber wohl umgekehrt, wenn er den Geiſt der deutſchen Sprache verkannt, den der grie¬ chiſchen rein aufgefaßt? Wir wuͤrden es ihm verge¬ ben, daß er unſre Sprache zum Opfer gebracht haͤtte,
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woraus der Geiſt der deutſchen Sprache verſchwun¬
den war, und Voß bemuͤhte ſich, es durch griechi¬
ſche Zuſammenſetzungen und Conſtructionen wieder zu
beleben. Er loͤste die deutſche Sprache in ihre ur¬
ſpruͤnglichen atomiſtiſchen Beſtandtheile auf und ver¬
ſuchte, nach mechaniſchen Geſetzen einen neuen Bau
daraus aufzufuͤhren, aber in dieſem todten Geruͤſt
war keine Seele. Niemand konnte ſo ſprechen, wie
Voß ſchrieb. Es wuͤrde jedem qualvoll und laͤcherlich
vorgekommen ſeyn, wenn er ſeine Worte wie Voß
haͤtte ſtellen ſollen. Man ſehe Schiller's und Goͤthe's
Verſe; wenn ſie auch oft pathetiſch ſind, ſo koͤnnte
doch jeder Deutſche in der Gluth der Leidenſchaft ſo
reden, wie ſie. Aber wenn Voß auch die gleichguͤl¬
tigſten Gegenſtaͤnde mit aller moͤglichen Ruhe verhan¬
delt, thut er es auf eine ſo ſeltſame pedantiſche und
fremde Weiſe, daß niemand im gleichen Falle ſo ſpre¬
chen moͤchte wie er. Das macht, Schiller und Goͤthe
huldigen dem Genius der deutſchen Sprache, ihre
Worte ſind immer, ſelbſt in der Leidenſchaft oder
Feierlichkeit, die natuͤrlichſten; ſo fuͤhlen, ſo reden
Deutſche. Voß aber kennt jenen Genius nicht, ſeine
Worte lauten wie deutſch, aber ſie ſind es nicht.
Sie klingen immer nur wie eine ſteife Überſetzung,
auch wo er wirklich nicht uͤberſetzt.
Hat er nun aber wohl umgekehrt, wenn er den
Geiſt der deutſchen Sprache verkannt, den der grie¬
chiſchen rein aufgefaßt? Wir wuͤrden es ihm verge¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/91>, abgerufen am 28.11.2024.
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