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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Er lehrte: wenn ihr die Griechen nachahmen wollt,
so ehrt zuerst, wie sie, euer Vaterland und euern
Glauben. Auf diese beiden Gegenstände bezogen sich
auch seine vorzüglichsten Dichtungen. Sie haben ihm
jenes ehrwürdige Ansehn verliehen, das er immer
behaupten wird. Sie haben bewirkt, daß man ihn
immer bewundert hat, wenn man ihn auch kaum aus¬
zulesen im Stande war, worüber schon Lessing spot¬
tet. Es ist wahr, Klopstock verliert alles, wenn man
ihn in der Nähe und im Einzelnen betrachtet. Man
muß ihn in einer gewissen Ferne und im Ganzen
auffassen. Wenn man ihn liest, scheint er pedantisch
und langweilig, wenn man ihn aber gelesen hat, wenn
man sich an ihn erinnert, wird er groß und maje¬
stätisch. Dann leuchten seine beiden Ideen, Vater¬
land und Religion, einfach hervor, und machen uns
den Eindruck des Erhabenen. Wir glauben einen rie¬
senhaften Geist Ossian's zu sehn, eine ungeheure Harfe
hoch in den Wolken rührend. Kommt man ihm nä¬
her, so löst er sich auf in ein dünnes breites Nebel¬
gewölk. Aber jener erste Eindruck hat auf unsre Seele
mächtig gewirkt und uns zum Großen gestimmt. Ob¬
wohl zu metaphysisch und kalt hat er uns doch in
den höchsten Ideen seiner Poesie zwei große Lehren
gegeben, die eine, daß die entdeutschte Dichtkunst,
dem heimischen Boden längst entfremdet, wieder in
ihm ihre Wurzeln schlagen müsse, und nur in ihm
zum herrlichen Baume gedeihen könne, die andre, daß
alle Poesie wie ihre Quelle, so ihr höchstes Ziel in

Er lehrte: wenn ihr die Griechen nachahmen wollt,
ſo ehrt zuerſt, wie ſie, euer Vaterland und euern
Glauben. Auf dieſe beiden Gegenſtaͤnde bezogen ſich
auch ſeine vorzuͤglichſten Dichtungen. Sie haben ihm
jenes ehrwuͤrdige Anſehn verliehen, das er immer
behaupten wird. Sie haben bewirkt, daß man ihn
immer bewundert hat, wenn man ihn auch kaum aus¬
zuleſen im Stande war, woruͤber ſchon Leſſing ſpot¬
tet. Es iſt wahr, Klopſtock verliert alles, wenn man
ihn in der Naͤhe und im Einzelnen betrachtet. Man
muß ihn in einer gewiſſen Ferne und im Ganzen
auffaſſen. Wenn man ihn lieſt, ſcheint er pedantiſch
und langweilig, wenn man ihn aber geleſen hat, wenn
man ſich an ihn erinnert, wird er groß und maje¬
ſtaͤtiſch. Dann leuchten ſeine beiden Ideen, Vater¬
land und Religion, einfach hervor, und machen uns
den Eindruck des Erhabenen. Wir glauben einen rie¬
ſenhaften Geiſt Oſſian's zu ſehn, eine ungeheure Harfe
hoch in den Wolken ruͤhrend. Kommt man ihm naͤ¬
her, ſo loͤſt er ſich auf in ein duͤnnes breites Nebel¬
gewoͤlk. Aber jener erſte Eindruck hat auf unſre Seele
maͤchtig gewirkt und uns zum Großen geſtimmt. Ob¬
wohl zu metaphyſiſch und kalt hat er uns doch in
den hoͤchſten Ideen ſeiner Poeſie zwei große Lehren
gegeben, die eine, daß die entdeutſchte Dichtkunſt,
dem heimiſchen Boden laͤngſt entfremdet, wieder in
ihm ihre Wurzeln ſchlagen muͤſſe, und nur in ihm
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[78/0088] Er lehrte: wenn ihr die Griechen nachahmen wollt, ſo ehrt zuerſt, wie ſie, euer Vaterland und euern Glauben. Auf dieſe beiden Gegenſtaͤnde bezogen ſich auch ſeine vorzuͤglichſten Dichtungen. Sie haben ihm jenes ehrwuͤrdige Anſehn verliehen, das er immer behaupten wird. Sie haben bewirkt, daß man ihn immer bewundert hat, wenn man ihn auch kaum aus¬ zuleſen im Stande war, woruͤber ſchon Leſſing ſpot¬ tet. Es iſt wahr, Klopſtock verliert alles, wenn man ihn in der Naͤhe und im Einzelnen betrachtet. Man muß ihn in einer gewiſſen Ferne und im Ganzen auffaſſen. Wenn man ihn lieſt, ſcheint er pedantiſch und langweilig, wenn man ihn aber geleſen hat, wenn man ſich an ihn erinnert, wird er groß und maje¬ ſtaͤtiſch. Dann leuchten ſeine beiden Ideen, Vater¬ land und Religion, einfach hervor, und machen uns den Eindruck des Erhabenen. Wir glauben einen rie¬ ſenhaften Geiſt Oſſian's zu ſehn, eine ungeheure Harfe hoch in den Wolken ruͤhrend. Kommt man ihm naͤ¬ her, ſo loͤſt er ſich auf in ein duͤnnes breites Nebel¬ gewoͤlk. Aber jener erſte Eindruck hat auf unſre Seele maͤchtig gewirkt und uns zum Großen geſtimmt. Ob¬ wohl zu metaphyſiſch und kalt hat er uns doch in den hoͤchſten Ideen ſeiner Poeſie zwei große Lehren gegeben, die eine, daß die entdeutſchte Dichtkunſt, dem heimiſchen Boden laͤngſt entfremdet, wieder in ihm ihre Wurzeln ſchlagen muͤſſe, und nur in ihm zum herrlichen Baume gedeihen koͤnne, die andre, daß alle Poeſie wie ihre Quelle, ſo ihr hoͤchſtes Ziel in

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/88>, abgerufen am 28.11.2024.