von dem Einfluß der gelehrten Bildung, der tausend¬ fältigen schon von früher Jugend an ihnen einge¬ prägten Erinnerungen der Vorzeit losreißen. Un¬ willkürlich umschweben sie die Bilder einer andern Welt, und durch Erziehung und Literatur ist eine zahllose Menge von Begriffen theils aus dem grie¬ chischen und römischen Alterthum, theils aus dem Mittelalter auf uns übergegangen, und so innig mit unsrer ganzen Denk- und Ausdrucksweise vermischt, daß sie uns zur andern Natur geworden sind.
Der Unterschied beschränkt sich also nur auf ein Mehr oder Weniger des Alterthümlichen und Frem¬ den in unsrer poetischen Literatur. Demzufolge müs¬ sen wir aber allerdings im Allgemeinen eine Gattung von gelehrten Dichtern, denen jenes Mehr zukommt, und die eben deßhalb auch nur bei dem mehr gelehr¬ ten und gebildeten Publikum Eingang finden, von den ungelehrten unterscheiden, die das gesammte Publikum versteht, weil sie nur so wenig Fremdar¬ tiges in ihre Dichtungen aufnehmen, als etwa über¬ all bekannt und geläufig worden ist.
Ein solcher Unterschied fand bei den Alten nicht Statt. Es gab bei ihnen religiöse Mysterien, die auch in die Poesie ein Dunkel brachten, das nur den Geweihten erhellt wurde; aber ihre profane Poe¬ sie war jedermann verständlich. Hierin herrschten niemals Gelehrsamkeit, fremde Begriffe, fremde Aus¬ drücke. Diese sind eine charakteristische Eigenheit nur unsrer neuern Zeit. Nur bei uns scheidet sich
von dem Einfluß der gelehrten Bildung, der tauſend¬ faͤltigen ſchon von fruͤher Jugend an ihnen einge¬ praͤgten Erinnerungen der Vorzeit losreißen. Un¬ willkuͤrlich umſchweben ſie die Bilder einer andern Welt, und durch Erziehung und Literatur iſt eine zahlloſe Menge von Begriffen theils aus dem grie¬ chiſchen und roͤmiſchen Alterthum, theils aus dem Mittelalter auf uns uͤbergegangen, und ſo innig mit unſrer ganzen Denk- und Ausdrucksweiſe vermiſcht, daß ſie uns zur andern Natur geworden ſind.
Der Unterſchied beſchraͤnkt ſich alſo nur auf ein Mehr oder Weniger des Alterthuͤmlichen und Frem¬ den in unſrer poetiſchen Literatur. Demzufolge muͤſ¬ ſen wir aber allerdings im Allgemeinen eine Gattung von gelehrten Dichtern, denen jenes Mehr zukommt, und die eben deßhalb auch nur bei dem mehr gelehr¬ ten und gebildeten Publikum Eingang finden, von den ungelehrten unterſcheiden, die das geſammte Publikum verſteht, weil ſie nur ſo wenig Fremdar¬ tiges in ihre Dichtungen aufnehmen, als etwa uͤber¬ all bekannt und gelaͤufig worden iſt.
Ein ſolcher Unterſchied fand bei den Alten nicht Statt. Es gab bei ihnen religioͤſe Myſterien, die auch in die Poeſie ein Dunkel brachten, das nur den Geweihten erhellt wurde; aber ihre profane Poe¬ ſie war jedermann verſtaͤndlich. Hierin herrſchten niemals Gelehrſamkeit, fremde Begriffe, fremde Aus¬ druͤcke. Dieſe ſind eine charakteriſtiſche Eigenheit nur unſrer neuern Zeit. Nur bei uns ſcheidet ſich
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von dem Einfluß der gelehrten Bildung, der tauſend¬
faͤltigen ſchon von fruͤher Jugend an ihnen einge¬
praͤgten Erinnerungen der Vorzeit losreißen. Un¬
willkuͤrlich umſchweben ſie die Bilder einer andern
Welt, und durch Erziehung und Literatur iſt eine
zahlloſe Menge von Begriffen theils aus dem grie¬
chiſchen und roͤmiſchen Alterthum, theils aus dem
Mittelalter auf uns uͤbergegangen, und ſo innig mit
unſrer ganzen Denk- und Ausdrucksweiſe vermiſcht,
daß ſie uns zur andern Natur geworden ſind.
Der Unterſchied beſchraͤnkt ſich alſo nur auf ein
Mehr oder Weniger des Alterthuͤmlichen und Frem¬
den in unſrer poetiſchen Literatur. Demzufolge muͤſ¬
ſen wir aber allerdings im Allgemeinen eine Gattung
von gelehrten Dichtern, denen jenes Mehr zukommt,
und die eben deßhalb auch nur bei dem mehr gelehr¬
ten und gebildeten Publikum Eingang finden, von
den ungelehrten unterſcheiden, die das geſammte
Publikum verſteht, weil ſie nur ſo wenig Fremdar¬
tiges in ihre Dichtungen aufnehmen, als etwa uͤber¬
all bekannt und gelaͤufig worden iſt.
Ein ſolcher Unterſchied fand bei den Alten nicht
Statt. Es gab bei ihnen religioͤſe Myſterien, die
auch in die Poeſie ein Dunkel brachten, das nur
den Geweihten erhellt wurde; aber ihre profane Poe¬
ſie war jedermann verſtaͤndlich. Hierin herrſchten
niemals Gelehrſamkeit, fremde Begriffe, fremde Aus¬
druͤcke. Dieſe ſind eine charakteriſtiſche Eigenheit
nur unſrer neuern Zeit. Nur bei uns ſcheidet ſich
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/77>, abgerufen am 29.11.2024.
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