weltliche Leidenschaft und liebliche Sinnlichkeit. Als¬ dann aber darf man allerdings und mit größter Strenge die einseitige Herrschaft eines Styls, und die ge¬ schmacklosen Übertreibungen desselben verwerfen. Wenn die Musik auch alle Mängel der übrigen Künste ge¬ theilt hat, so ist sie doch gerade in der geschmacklo¬ sen Periode des vorigen Jahrhunderts vor allen an¬ dern Künsten in ihrer weltlichen Richtung zu einer erhabenen Höhe gediehen und hat unsterbliche Werke hervorgebracht. Die Ursache davon war, daß sie un¬ gleich ihren Schwestern nicht blos von Höfen und Stubengelehrten, sondern vom Volke selbst gepflegt wurde. Derselbe Umstand wird auch einer Restaura¬ tion der Kirchenmusik und besonders des Chorals gün¬ stig werden. Schon sehn wir für diesen Gegenstand eine allgemeine Theilnahme rege werden und überall entstehn neue Singgesellschaften, erscheinen neue Schrif¬ ten über den Gesang.
Übrigens haben die genialen Ideen jener Wie¬ derhersteller der bildenden Künste in unsern romanti¬ schen Damen und Jünglingen eine Liebhaberei für das Kunstgeschwätz und eine enthusiastische Faselei er¬ weckt, die in einer Menge von belletristischen Pro¬ ducten sich breit machen. Namentlich seit Heinse, Hoff¬ mann und Tieck ihre ästhetischen Ansichten in der Form des Romans vorgetragen, wimmelt es von falschen Nachahmern derselben, die nicht wenig dazu beitra¬ gen, daß die Meinungen sich verwirren und die scharfe Kritik sich abstumpft und verflacht.
weltliche Leidenſchaft und liebliche Sinnlichkeit. Als¬ dann aber darf man allerdings und mit groͤßter Strenge die einſeitige Herrſchaft eines Styls, und die ge¬ ſchmackloſen Übertreibungen deſſelben verwerfen. Wenn die Muſik auch alle Maͤngel der uͤbrigen Kuͤnſte ge¬ theilt hat, ſo iſt ſie doch gerade in der geſchmacklo¬ ſen Periode des vorigen Jahrhunderts vor allen an¬ dern Kuͤnſten in ihrer weltlichen Richtung zu einer erhabenen Hoͤhe gediehen und hat unſterbliche Werke hervorgebracht. Die Urſache davon war, daß ſie un¬ gleich ihren Schweſtern nicht blos von Hoͤfen und Stubengelehrten, ſondern vom Volke ſelbſt gepflegt wurde. Derſelbe Umſtand wird auch einer Reſtaura¬ tion der Kirchenmuſik und beſonders des Chorals guͤn¬ ſtig werden. Schon ſehn wir fuͤr dieſen Gegenſtand eine allgemeine Theilnahme rege werden und uͤberall entſtehn neue Singgeſellſchaften, erſcheinen neue Schrif¬ ten uͤber den Geſang.
Übrigens haben die genialen Ideen jener Wie¬ derherſteller der bildenden Kuͤnſte in unſern romanti¬ ſchen Damen und Juͤnglingen eine Liebhaberei fuͤr das Kunſtgeſchwaͤtz und eine enthuſiaſtiſche Faſelei er¬ weckt, die in einer Menge von belletriſtiſchen Pro¬ ducten ſich breit machen. Namentlich ſeit Heinſe, Hoff¬ mann und Tieck ihre aͤſthetiſchen Anſichten in der Form des Romans vorgetragen, wimmelt es von falſchen Nachahmern derſelben, die nicht wenig dazu beitra¬ gen, daß die Meinungen ſich verwirren und die ſcharfe Kritik ſich abſtumpft und verflacht.
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weltliche Leidenſchaft und liebliche Sinnlichkeit. Als¬
dann aber darf man allerdings und mit groͤßter Strenge
die einſeitige Herrſchaft eines Styls, und die ge¬
ſchmackloſen Übertreibungen deſſelben verwerfen. Wenn
die Muſik auch alle Maͤngel der uͤbrigen Kuͤnſte ge¬
theilt hat, ſo iſt ſie doch gerade in der geſchmacklo¬
ſen Periode des vorigen Jahrhunderts vor allen an¬
dern Kuͤnſten in ihrer weltlichen Richtung zu einer
erhabenen Hoͤhe gediehen und hat unſterbliche Werke
hervorgebracht. Die Urſache davon war, daß ſie un¬
gleich ihren Schweſtern nicht blos von Hoͤfen und
Stubengelehrten, ſondern vom Volke ſelbſt gepflegt
wurde. Derſelbe Umſtand wird auch einer Reſtaura¬
tion der Kirchenmuſik und beſonders des Chorals guͤn¬
ſtig werden. Schon ſehn wir fuͤr dieſen Gegenſtand
eine allgemeine Theilnahme rege werden und uͤberall
entſtehn neue Singgeſellſchaften, erſcheinen neue Schrif¬
ten uͤber den Geſang.
Übrigens haben die genialen Ideen jener Wie¬
derherſteller der bildenden Kuͤnſte in unſern romanti¬
ſchen Damen und Juͤnglingen eine Liebhaberei fuͤr
das Kunſtgeſchwaͤtz und eine enthuſiaſtiſche Faſelei er¬
weckt, die in einer Menge von belletriſtiſchen Pro¬
ducten ſich breit machen. Namentlich ſeit Heinſe, Hoff¬
mann und Tieck ihre aͤſthetiſchen Anſichten in der Form
des Romans vorgetragen, wimmelt es von falſchen
Nachahmern derſelben, die nicht wenig dazu beitra¬
gen, daß die Meinungen ſich verwirren und die ſcharfe
Kritik ſich abſtumpft und verflacht.
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/63>, abgerufen am 17.05.2024.
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