Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

sollen die Juristen den Schaden zuflicken oder bestra¬
fen. Man kennt nur eine Krankheitslehre, keine Ge¬
sundheitslehre, so wie man nur das Unrecht zu stra¬
fen, nicht das Recht zu befördern weiß. Dadurch
sieht sich in beiden Fällen das Volk unbedingt an
eine Kaste gewiesen, von der es berathen und be¬
herrscht wird, ohne sich selber rathen und helfen zu
können. Man hat dem Volk zwar auch populäre
Vorschriften für die Gesundheit in die Hand gegeben,
dem Bauer das Noth- und Hülfsbüchlein, dem Vor¬
nehmern Hufeland's Kunst, lange oder vielmehr, wie
Steffens sagt, langweilig zu leben; im Ganzen haben
aber die gutgemeinten Bücher nichts gefruchtet.

Die mathematischen und mechanischen Wissen¬
schaften sind in Deutschland nicht so vorherrschend
wie in England, doch auch verhältnißmäßig ausge¬
bildet worden. Im entschiednen Contrast mit der
Medicin ist die Mathematik durchaus lichthell und
klar, sie stellt die Tagseite der Naturwissenschaften
dar, wie die Medicin die Nachtseite. Doch hat man
auch in sie Dunkelheit hineingetragen durch eine un¬
geschickte, pedantische Behandlung. Man hat häufig,
namentlich in Lehrbüchern, die Regeln auf das un¬
förmlichste auf einander gehäuft, den Überblick und
Zusammenhang erschwert und das Gedächtniß der
Schüler übermäßig mit Einzelheiten angestrengt, die
in einer lichtvollen und übersichtlichen Anordnung sehr
leicht zu behalten wären. Selbst die klarste unter
den Wissenschaften hat in unsystematischen Köpfen

ſollen die Juriſten den Schaden zuflicken oder beſtra¬
fen. Man kennt nur eine Krankheitslehre, keine Ge¬
ſundheitslehre, ſo wie man nur das Unrecht zu ſtra¬
fen, nicht das Recht zu befoͤrdern weiß. Dadurch
ſieht ſich in beiden Faͤllen das Volk unbedingt an
eine Kaſte gewieſen, von der es berathen und be¬
herrſcht wird, ohne ſich ſelber rathen und helfen zu
koͤnnen. Man hat dem Volk zwar auch populaͤre
Vorſchriften fuͤr die Geſundheit in die Hand gegeben,
dem Bauer das Noth- und Huͤlfsbuͤchlein, dem Vor¬
nehmern Hufeland's Kunſt, lange oder vielmehr, wie
Steffens ſagt, langweilig zu leben; im Ganzen haben
aber die gutgemeinten Buͤcher nichts gefruchtet.

Die mathematiſchen und mechaniſchen Wiſſen¬
ſchaften ſind in Deutſchland nicht ſo vorherrſchend
wie in England, doch auch verhaͤltnißmaͤßig ausge¬
bildet worden. Im entſchiednen Contraſt mit der
Medicin iſt die Mathematik durchaus lichthell und
klar, ſie ſtellt die Tagſeite der Naturwiſſenſchaften
dar, wie die Medicin die Nachtſeite. Doch hat man
auch in ſie Dunkelheit hineingetragen durch eine un¬
geſchickte, pedantiſche Behandlung. Man hat haͤufig,
namentlich in Lehrbuͤchern, die Regeln auf das un¬
foͤrmlichſte auf einander gehaͤuft, den Überblick und
Zuſammenhang erſchwert und das Gedaͤchtniß der
Schuͤler uͤbermaͤßig mit Einzelheiten angeſtrengt, die
in einer lichtvollen und uͤberſichtlichen Anordnung ſehr
leicht zu behalten waͤren. Selbſt die klarſte unter
den Wiſſenſchaften hat in unſyſtematiſchen Koͤpfen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="32"/>
&#x017F;ollen die Juri&#x017F;ten den Schaden zuflicken oder be&#x017F;tra¬<lb/>
fen. Man kennt nur eine Krankheitslehre, keine Ge¬<lb/>
&#x017F;undheitslehre, &#x017F;o wie man nur das Unrecht zu &#x017F;tra¬<lb/>
fen, nicht das Recht zu befo&#x0364;rdern weiß. Dadurch<lb/>
&#x017F;ieht &#x017F;ich in beiden Fa&#x0364;llen das Volk unbedingt an<lb/>
eine Ka&#x017F;te gewie&#x017F;en, von der es berathen und be¬<lb/>
herr&#x017F;cht wird, ohne &#x017F;ich &#x017F;elber rathen und helfen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen. Man hat dem Volk zwar auch popula&#x0364;re<lb/>
Vor&#x017F;chriften fu&#x0364;r die Ge&#x017F;undheit in die Hand gegeben,<lb/>
dem Bauer das Noth- und Hu&#x0364;lfsbu&#x0364;chlein, dem Vor¬<lb/>
nehmern Hufeland's Kun&#x017F;t, lange oder vielmehr, wie<lb/>
Steffens &#x017F;agt, langweilig zu leben; im Ganzen haben<lb/>
aber die gutgemeinten Bu&#x0364;cher nichts gefruchtet.</p><lb/>
        <p>Die mathemati&#x017F;chen und mechani&#x017F;chen Wi&#x017F;&#x017F;en¬<lb/>
&#x017F;chaften &#x017F;ind in Deut&#x017F;chland nicht &#x017F;o vorherr&#x017F;chend<lb/>
wie in England, doch auch verha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßig ausge¬<lb/>
bildet worden. Im ent&#x017F;chiednen Contra&#x017F;t mit der<lb/>
Medicin i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Mathematik</hi> durchaus lichthell und<lb/>
klar, &#x017F;ie &#x017F;tellt die Tag&#x017F;eite der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
dar, wie die Medicin die Nacht&#x017F;eite. Doch hat man<lb/>
auch in &#x017F;ie Dunkelheit hineingetragen durch eine un¬<lb/>
ge&#x017F;chickte, pedanti&#x017F;che Behandlung. Man hat ha&#x0364;ufig,<lb/>
namentlich in Lehrbu&#x0364;chern, die Regeln auf das un¬<lb/>
fo&#x0364;rmlich&#x017F;te auf einander geha&#x0364;uft, den Überblick und<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang er&#x017F;chwert und das Geda&#x0364;chtniß der<lb/>
Schu&#x0364;ler u&#x0364;berma&#x0364;ßig mit Einzelheiten ange&#x017F;trengt, die<lb/>
in einer lichtvollen und u&#x0364;ber&#x017F;ichtlichen Anordnung &#x017F;ehr<lb/>
leicht zu behalten wa&#x0364;ren. Selb&#x017F;t die klar&#x017F;te unter<lb/>
den Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften hat in un&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Ko&#x0364;pfen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0042] ſollen die Juriſten den Schaden zuflicken oder beſtra¬ fen. Man kennt nur eine Krankheitslehre, keine Ge¬ ſundheitslehre, ſo wie man nur das Unrecht zu ſtra¬ fen, nicht das Recht zu befoͤrdern weiß. Dadurch ſieht ſich in beiden Faͤllen das Volk unbedingt an eine Kaſte gewieſen, von der es berathen und be¬ herrſcht wird, ohne ſich ſelber rathen und helfen zu koͤnnen. Man hat dem Volk zwar auch populaͤre Vorſchriften fuͤr die Geſundheit in die Hand gegeben, dem Bauer das Noth- und Huͤlfsbuͤchlein, dem Vor¬ nehmern Hufeland's Kunſt, lange oder vielmehr, wie Steffens ſagt, langweilig zu leben; im Ganzen haben aber die gutgemeinten Buͤcher nichts gefruchtet. Die mathematiſchen und mechaniſchen Wiſſen¬ ſchaften ſind in Deutſchland nicht ſo vorherrſchend wie in England, doch auch verhaͤltnißmaͤßig ausge¬ bildet worden. Im entſchiednen Contraſt mit der Medicin iſt die Mathematik durchaus lichthell und klar, ſie ſtellt die Tagſeite der Naturwiſſenſchaften dar, wie die Medicin die Nachtſeite. Doch hat man auch in ſie Dunkelheit hineingetragen durch eine un¬ geſchickte, pedantiſche Behandlung. Man hat haͤufig, namentlich in Lehrbuͤchern, die Regeln auf das un¬ foͤrmlichſte auf einander gehaͤuft, den Überblick und Zuſammenhang erſchwert und das Gedaͤchtniß der Schuͤler uͤbermaͤßig mit Einzelheiten angeſtrengt, die in einer lichtvollen und uͤberſichtlichen Anordnung ſehr leicht zu behalten waͤren. Selbſt die klarſte unter den Wiſſenſchaften hat in unſyſtematiſchen Koͤpfen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/42
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/42>, abgerufen am 21.11.2024.