werth. Göthe schildert den Menschen, es ist wahr, aber welchen Menschen? den Sohn einer schwächli¬ chen und mit dieser Schwäche kokettirenden Zeit. Nie ist der Gegenstand eines Gedichts so sehr mit der poetischen Auffassung und Form in Widerspruch ge¬ wesen.
Noch bestimmter gaben Göthe's Wahlverwandt¬ schaften dem psychologischen Roman die Richtung, die er noch jetzt verfolgt, und in welcher besonders einige dichtende Weiber sich ausgezeichnet haben. Man verweilte mit Vorliebe nur bei der Betrachtung der menschlichen Schwächen, Unarten, unnatürlichen Appe¬ tite. Früher hatte man den gesunden Zustand der Liebe geschildert, jetzt kam die Reihe an den krank¬ haften Zustand. An die Stelle der ehemaligen Ro¬ manheldinnen traten jene unnatürlichen Weiber, die schon durch die Romanheldinnen verdorben waren, nervenschwache, bleichsüchtige, überbildete Mädchen und kokette, über die geliebte Sünde philosophirende, wohl gar frömmelnde Weiber, in denen kein Tropfen gesundes, frisches Blut mehr übrig war. Jener le¬ bendige silberhelle Strom, der von Tristan ausge¬ gangen, verlief sich hier abseits in einen abgestand¬ nen Sumpf, worin alle Jauche des großen Seelen¬ klynikums zusammenfloß.
Die Romane folgten dem Gange der Krankheit. Diese zeigte sich zunächst in monströser Drüsenthätig¬ keit, wodurch Brust und Herz beengt, ein andres Organ aber übermäßig, ja bis zur wahnsinnigen und
werth. Goͤthe ſchildert den Menſchen, es iſt wahr, aber welchen Menſchen? den Sohn einer ſchwaͤchli¬ chen und mit dieſer Schwaͤche kokettirenden Zeit. Nie iſt der Gegenſtand eines Gedichts ſo ſehr mit der poetiſchen Auffaſſung und Form in Widerſpruch ge¬ weſen.
Noch beſtimmter gaben Goͤthe's Wahlverwandt¬ ſchaften dem pſychologiſchen Roman die Richtung, die er noch jetzt verfolgt, und in welcher beſonders einige dichtende Weiber ſich ausgezeichnet haben. Man verweilte mit Vorliebe nur bei der Betrachtung der menſchlichen Schwaͤchen, Unarten, unnatuͤrlichen Appe¬ tite. Fruͤher hatte man den geſunden Zuſtand der Liebe geſchildert, jetzt kam die Reihe an den krank¬ haften Zuſtand. An die Stelle der ehemaligen Ro¬ manheldinnen traten jene unnatuͤrlichen Weiber, die ſchon durch die Romanheldinnen verdorben waren, nervenſchwache, bleichſuͤchtige, uͤberbildete Maͤdchen und kokette, uͤber die geliebte Suͤnde philoſophirende, wohl gar froͤmmelnde Weiber, in denen kein Tropfen geſundes, friſches Blut mehr uͤbrig war. Jener le¬ bendige ſilberhelle Strom, der von Triſtan ausge¬ gangen, verlief ſich hier abſeits in einen abgeſtand¬ nen Sumpf, worin alle Jauche des großen Seelen¬ klynikums zuſammenfloß.
Die Romane folgten dem Gange der Krankheit. Dieſe zeigte ſich zunaͤchſt in monſtroͤſer Druͤſenthaͤtig¬ keit, wodurch Bruſt und Herz beengt, ein andres Organ aber uͤbermaͤßig, ja bis zur wahnſinnigen und
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werth. Goͤthe ſchildert den Menſchen, es iſt wahr,
aber welchen Menſchen? den Sohn einer ſchwaͤchli¬
chen und mit dieſer Schwaͤche kokettirenden Zeit. Nie
iſt der Gegenſtand eines Gedichts ſo ſehr mit der
poetiſchen Auffaſſung und Form in Widerſpruch ge¬
weſen.
Noch beſtimmter gaben Goͤthe's Wahlverwandt¬
ſchaften dem pſychologiſchen Roman die Richtung,
die er noch jetzt verfolgt, und in welcher beſonders
einige dichtende Weiber ſich ausgezeichnet haben. Man
verweilte mit Vorliebe nur bei der Betrachtung der
menſchlichen Schwaͤchen, Unarten, unnatuͤrlichen Appe¬
tite. Fruͤher hatte man den geſunden Zuſtand der
Liebe geſchildert, jetzt kam die Reihe an den krank¬
haften Zuſtand. An die Stelle der ehemaligen Ro¬
manheldinnen traten jene unnatuͤrlichen Weiber, die
ſchon durch die Romanheldinnen verdorben waren,
nervenſchwache, bleichſuͤchtige, uͤberbildete Maͤdchen
und kokette, uͤber die geliebte Suͤnde philoſophirende,
wohl gar froͤmmelnde Weiber, in denen kein Tropfen
geſundes, friſches Blut mehr uͤbrig war. Jener le¬
bendige ſilberhelle Strom, der von Triſtan ausge¬
gangen, verlief ſich hier abſeits in einen abgeſtand¬
nen Sumpf, worin alle Jauche des großen Seelen¬
klynikums zuſammenfloß.
Die Romane folgten dem Gange der Krankheit.
Dieſe zeigte ſich zunaͤchſt in monſtroͤſer Druͤſenthaͤtig¬
keit, wodurch Bruſt und Herz beengt, ein andres
Organ aber uͤbermaͤßig, ja bis zur wahnſinnigen und
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/293>, abgerufen am 17.05.2024.
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