krötenhafte Leidenschaftslosigkeit, die alles Feuer flieht. Diese Moral wollen wir nicht zu Rathe ziehn, wohl aber die höhere, die allein echte, die jeder Zeit gel¬ ten soll, die schon heidnisch war, wie sie noch christ¬ lich seyn soll, weil sie die allein menschliche ist, den Adel der Natur, das Kraft- und Ehrgefühl in rei¬ nen Herzen. Der natürliche Seelenadel des mensch¬ lichen Geschlechts empört sich gegen jenen Mißbrauch, den man mit dem heiligen Namen der Liebe treibt, gegen die Schwächlichkeit, die sich an das Höchste wagt und zagend davor zurückbebt, gegen die Selbst¬ täuschung, welche sophistisch jede Kraft lähmt, jede Reinheit trübt, oder die Schwäche trügerisch zu ei¬ ner Kraft aufsteift und den Schmutz für Unschuld verkauft. Wir verlangen nicht, daß die Romane je¬ ner nüchternen, zaghaften Moral in die Hand arbei¬ ien sollen. Sie thun es leider nur zu oft, denn es erscheinen gewiß eben so viel Liebesritter in den Ro¬ manen, welche der saft- und kraftlosen Tugend, ja der bloßen gemeinen Convenienz huldigen, als andre, welchen die Natur leidenschaftliche Streiche spielt. Man ist aus Mattherzigkeit fromm oder liederlich, beides läuft auf eins hinaus. Wir verlangen aber, daß der Roman, der die Liebe zu schildern und zu preisen unternimmt, jenem Adel der menschlichen Na¬ tur huldige, in dem allein die wahre Liebe begrün¬ det ist. Ich kann den Liebeshelden nur zurufen: habt Kraft, und wieder Kraft, und noch einmal Kraft, das übrige wird sich finden. Fragt ihr, was denn
kroͤtenhafte Leidenſchaftsloſigkeit, die alles Feuer flieht. Dieſe Moral wollen wir nicht zu Rathe ziehn, wohl aber die hoͤhere, die allein echte, die jeder Zeit gel¬ ten ſoll, die ſchon heidniſch war, wie ſie noch chriſt¬ lich ſeyn ſoll, weil ſie die allein menſchliche iſt, den Adel der Natur, das Kraft- und Ehrgefuͤhl in rei¬ nen Herzen. Der natuͤrliche Seelenadel des menſch¬ lichen Geſchlechts empoͤrt ſich gegen jenen Mißbrauch, den man mit dem heiligen Namen der Liebe treibt, gegen die Schwaͤchlichkeit, die ſich an das Hoͤchſte wagt und zagend davor zuruͤckbebt, gegen die Selbſt¬ taͤuſchung, welche ſophiſtiſch jede Kraft laͤhmt, jede Reinheit truͤbt, oder die Schwaͤche truͤgeriſch zu ei¬ ner Kraft aufſteift und den Schmutz fuͤr Unſchuld verkauft. Wir verlangen nicht, daß die Romane je¬ ner nuͤchternen, zaghaften Moral in die Hand arbei¬ ien ſollen. Sie thun es leider nur zu oft, denn es erſcheinen gewiß eben ſo viel Liebesritter in den Ro¬ manen, welche der ſaft- und kraftloſen Tugend, ja der bloßen gemeinen Convenienz huldigen, als andre, welchen die Natur leidenſchaftliche Streiche ſpielt. Man iſt aus Mattherzigkeit fromm oder liederlich, beides laͤuft auf eins hinaus. Wir verlangen aber, daß der Roman, der die Liebe zu ſchildern und zu preiſen unternimmt, jenem Adel der menſchlichen Na¬ tur huldige, in dem allein die wahre Liebe begruͤn¬ det iſt. Ich kann den Liebeshelden nur zurufen: habt Kraft, und wieder Kraft, und noch einmal Kraft, das uͤbrige wird ſich finden. Fragt ihr, was denn
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0287"n="277"/>
kroͤtenhafte Leidenſchaftsloſigkeit, die alles Feuer flieht.<lb/>
Dieſe Moral wollen wir nicht zu Rathe ziehn, wohl<lb/>
aber die hoͤhere, die allein echte, die jeder Zeit gel¬<lb/>
ten ſoll, die ſchon heidniſch war, wie ſie noch chriſt¬<lb/>
lich ſeyn ſoll, weil ſie die allein menſchliche iſt, den<lb/>
Adel der Natur, das Kraft- und Ehrgefuͤhl in rei¬<lb/>
nen Herzen. Der natuͤrliche Seelenadel des menſch¬<lb/>
lichen Geſchlechts empoͤrt ſich gegen jenen Mißbrauch,<lb/>
den man mit dem heiligen Namen der Liebe treibt,<lb/>
gegen die Schwaͤchlichkeit, die ſich an das Hoͤchſte<lb/>
wagt und zagend davor zuruͤckbebt, gegen die Selbſt¬<lb/>
taͤuſchung, welche ſophiſtiſch jede Kraft laͤhmt, jede<lb/>
Reinheit truͤbt, oder die Schwaͤche truͤgeriſch zu ei¬<lb/>
ner Kraft aufſteift und den Schmutz fuͤr Unſchuld<lb/>
verkauft. Wir verlangen nicht, daß die Romane je¬<lb/>
ner nuͤchternen, zaghaften Moral in die Hand arbei¬<lb/>
ien ſollen. Sie thun es leider nur zu oft, denn es<lb/>
erſcheinen gewiß eben ſo viel Liebesritter in den Ro¬<lb/>
manen, welche der ſaft- und kraftloſen Tugend, ja<lb/>
der bloßen gemeinen Convenienz huldigen, als andre,<lb/>
welchen die Natur leidenſchaftliche Streiche ſpielt.<lb/>
Man iſt aus Mattherzigkeit fromm oder liederlich,<lb/>
beides laͤuft auf eins hinaus. Wir verlangen aber,<lb/>
daß der Roman, der die Liebe zu ſchildern und zu<lb/>
preiſen unternimmt, jenem Adel der menſchlichen Na¬<lb/>
tur huldige, in dem allein die wahre Liebe begruͤn¬<lb/>
det iſt. Ich kann den Liebeshelden nur zurufen: habt<lb/>
Kraft, und wieder Kraft, und noch einmal Kraft,<lb/>
das uͤbrige wird ſich finden. Fragt ihr, was denn<lb/></p></div></body></text></TEI>
[277/0287]
kroͤtenhafte Leidenſchaftsloſigkeit, die alles Feuer flieht.
Dieſe Moral wollen wir nicht zu Rathe ziehn, wohl
aber die hoͤhere, die allein echte, die jeder Zeit gel¬
ten ſoll, die ſchon heidniſch war, wie ſie noch chriſt¬
lich ſeyn ſoll, weil ſie die allein menſchliche iſt, den
Adel der Natur, das Kraft- und Ehrgefuͤhl in rei¬
nen Herzen. Der natuͤrliche Seelenadel des menſch¬
lichen Geſchlechts empoͤrt ſich gegen jenen Mißbrauch,
den man mit dem heiligen Namen der Liebe treibt,
gegen die Schwaͤchlichkeit, die ſich an das Hoͤchſte
wagt und zagend davor zuruͤckbebt, gegen die Selbſt¬
taͤuſchung, welche ſophiſtiſch jede Kraft laͤhmt, jede
Reinheit truͤbt, oder die Schwaͤche truͤgeriſch zu ei¬
ner Kraft aufſteift und den Schmutz fuͤr Unſchuld
verkauft. Wir verlangen nicht, daß die Romane je¬
ner nuͤchternen, zaghaften Moral in die Hand arbei¬
ien ſollen. Sie thun es leider nur zu oft, denn es
erſcheinen gewiß eben ſo viel Liebesritter in den Ro¬
manen, welche der ſaft- und kraftloſen Tugend, ja
der bloßen gemeinen Convenienz huldigen, als andre,
welchen die Natur leidenſchaftliche Streiche ſpielt.
Man iſt aus Mattherzigkeit fromm oder liederlich,
beides laͤuft auf eins hinaus. Wir verlangen aber,
daß der Roman, der die Liebe zu ſchildern und zu
preiſen unternimmt, jenem Adel der menſchlichen Na¬
tur huldige, in dem allein die wahre Liebe begruͤn¬
det iſt. Ich kann den Liebeshelden nur zurufen: habt
Kraft, und wieder Kraft, und noch einmal Kraft,
das uͤbrige wird ſich finden. Fragt ihr, was denn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/287>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.