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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Die Trauerspiele dürfen wir in langweilige,
pompöse und gräßliche eintheilen. Langweilig sind
alle die philosophischen und politischen Moralitäts¬
stücke, worin man in wässrigen Jamben Schiller und
Alfieri nachahmt. Langweilig sind auch die meisten
feinen Trauerspiele, dergleichen nach Göthe's Tasso
zuweilen noch einige, gleichsam ehrenthalber, produ¬
cirt werden. Ihre Langweiligkeit besteht darin, daß
sie untheatralisch sind, keine Handlung, nur lange
Monologe und Dialoge enthalten, und zwanzigmal
abgedroschene moralische Sentenzen immer wieder ab¬
dreschen. Überschwengliche Tugend und stoischer Hel¬
denmuth ist der gewöhnliche Gegenstand dieser Trauer¬
spiele. Aber Lessing sagt schon: "alles Stoische ist
untheatralisch!" und hat Recht. Die liberale Par¬
tei sucht in Deutschland wie in Frankreich, die poli¬
tischen Ideale, die sie selbst im Leben nicht verwirk¬
lichen kann, wenigstens über die Bühne schreiten zu
lassen, und legt den Helden deßfalls ihr ganzes Sy¬
stem mit allen ihren Phrasen in den Mund. So er¬
halten wir Helden, die eben so übermenschlich sind,
als ihr System, personificirte Consequenzen, Men¬
schen, die mehr Ideen, als Menschen sind.

Wenn sich die politische ecclesia pressa dergestalt
ein wenig Luft macht, so läßt man es gern hingehn,
aber wenn halbofficielle Speichellecker die Bühne wie
die Zeitungen lenken wollen und ihre stets knarrende
Windfahne auf den Tempel der Melpomene pflanzen,
so hat man ein Recht, sich ein wenig zu ärgern.

Die Trauerſpiele duͤrfen wir in langweilige,
pompoͤſe und graͤßliche eintheilen. Langweilig ſind
alle die philoſophiſchen und politiſchen Moralitaͤts¬
ſtuͤcke, worin man in waͤſſrigen Jamben Schiller und
Alfieri nachahmt. Langweilig ſind auch die meiſten
feinen Trauerſpiele, dergleichen nach Goͤthe's Taſſo
zuweilen noch einige, gleichſam ehrenthalber, produ¬
cirt werden. Ihre Langweiligkeit beſteht darin, daß
ſie untheatraliſch ſind, keine Handlung, nur lange
Monologe und Dialoge enthalten, und zwanzigmal
abgedroſchene moraliſche Sentenzen immer wieder ab¬
dreſchen. Überſchwengliche Tugend und ſtoiſcher Hel¬
denmuth iſt der gewoͤhnliche Gegenſtand dieſer Trauer¬
ſpiele. Aber Leſſing ſagt ſchon: «alles Stoiſche iſt
untheatraliſch!» und hat Recht. Die liberale Par¬
tei ſucht in Deutſchland wie in Frankreich, die poli¬
tiſchen Ideale, die ſie ſelbſt im Leben nicht verwirk¬
lichen kann, wenigſtens uͤber die Buͤhne ſchreiten zu
laſſen, und legt den Helden deßfalls ihr ganzes Sy¬
ſtem mit allen ihren Phraſen in den Mund. So er¬
halten wir Helden, die eben ſo uͤbermenſchlich ſind,
als ihr Syſtem, perſonificirte Conſequenzen, Men¬
ſchen, die mehr Ideen, als Menſchen ſind.

Wenn ſich die politiſche ecclesia pressa dergeſtalt
ein wenig Luft macht, ſo laͤßt man es gern hingehn,
aber wenn halbofficielle Speichellecker die Buͤhne wie
die Zeitungen lenken wollen und ihre ſtets knarrende
Windfahne auf den Tempel der Melpomene pflanzen,
ſo hat man ein Recht, ſich ein wenig zu aͤrgern.

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[261/0271] Die Trauerſpiele duͤrfen wir in langweilige, pompoͤſe und graͤßliche eintheilen. Langweilig ſind alle die philoſophiſchen und politiſchen Moralitaͤts¬ ſtuͤcke, worin man in waͤſſrigen Jamben Schiller und Alfieri nachahmt. Langweilig ſind auch die meiſten feinen Trauerſpiele, dergleichen nach Goͤthe's Taſſo zuweilen noch einige, gleichſam ehrenthalber, produ¬ cirt werden. Ihre Langweiligkeit beſteht darin, daß ſie untheatraliſch ſind, keine Handlung, nur lange Monologe und Dialoge enthalten, und zwanzigmal abgedroſchene moraliſche Sentenzen immer wieder ab¬ dreſchen. Überſchwengliche Tugend und ſtoiſcher Hel¬ denmuth iſt der gewoͤhnliche Gegenſtand dieſer Trauer¬ ſpiele. Aber Leſſing ſagt ſchon: «alles Stoiſche iſt untheatraliſch!» und hat Recht. Die liberale Par¬ tei ſucht in Deutſchland wie in Frankreich, die poli¬ tiſchen Ideale, die ſie ſelbſt im Leben nicht verwirk¬ lichen kann, wenigſtens uͤber die Buͤhne ſchreiten zu laſſen, und legt den Helden deßfalls ihr ganzes Sy¬ ſtem mit allen ihren Phraſen in den Mund. So er¬ halten wir Helden, die eben ſo uͤbermenſchlich ſind, als ihr Syſtem, perſonificirte Conſequenzen, Men¬ ſchen, die mehr Ideen, als Menſchen ſind. Wenn ſich die politiſche ecclesia pressa dergeſtalt ein wenig Luft macht, ſo laͤßt man es gern hingehn, aber wenn halbofficielle Speichellecker die Buͤhne wie die Zeitungen lenken wollen und ihre ſtets knarrende Windfahne auf den Tempel der Melpomene pflanzen, ſo hat man ein Recht, ſich ein wenig zu aͤrgern.

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/271>, abgerufen am 24.11.2024.