dem sie eine Zeit lang zu einer bewunderungswürdi¬ gen Blüthe gelangt war. Das Trauerspiel, das sei¬ nen Gipfelpunkt in Schiller erreicht hat, ist zur Schick¬ salstragödie hinabgesunken. Das Lustspiel, durch Ko¬ tzebue wenn nicht zur Vollkommenheit, doch zur höch¬ sten Popularität gesteigert, ist wieder nach Frank¬ reich abgeirrt und ahmet nur noch französische kleine Intriguenstücke und Vaudevilles nach. Auch die Rühr¬ spiele, früher durch Iffland zu einer wahren Natio¬ nalangelegenheit der Deutschen gemacht, haben den Weg nach Frankreich genommen und ahmen die grau¬ samen Melodramen und Delinquentenstücke der Pari¬ ser nach. Sogar die Oper ist seit Mozart wieder verfallen und theilt alle die Gebrechen, denen alles Dramatische jetzt unterliegt. Die Tragiker suchen mit erschöpfter Kraft Originalität zu forciren; die Ko¬ miker aber, die alles, selbst ihren Ruhm leichter nehmen, begnügen sich von Alten und Fremden zu borgen, zu sticken und die guten Gedanken andrer nur ein wenig zu modernisiren. Je mehr aber der Geist aus dem Drama gewichen ist, desto unver¬ schämter hat das Sinnliche darin sich vorgedrängt. Wie überhaupt auf den Theatern mehr die Ballette und großen Prachtopern und Schaustücke mit allem Glanz der Dekorationen und Maschinen vorherrschen, so strebt auch wieder der Dichter seinen einzelnen Producten so viel als möglich äußern Glanz zu ver¬ leihen, um ihnen den Theatereffect zu sichern.
dem ſie eine Zeit lang zu einer bewunderungswuͤrdi¬ gen Bluͤthe gelangt war. Das Trauerſpiel, das ſei¬ nen Gipfelpunkt in Schiller erreicht hat, iſt zur Schick¬ ſalstragoͤdie hinabgeſunken. Das Luſtſpiel, durch Ko¬ tzebue wenn nicht zur Vollkommenheit, doch zur hoͤch¬ ſten Popularitaͤt geſteigert, iſt wieder nach Frank¬ reich abgeirrt und ahmet nur noch franzoͤſiſche kleine Intriguenſtuͤcke und Vaudevilles nach. Auch die Ruͤhr¬ ſpiele, fruͤher durch Iffland zu einer wahren Natio¬ nalangelegenheit der Deutſchen gemacht, haben den Weg nach Frankreich genommen und ahmen die grau¬ ſamen Melodramen und Delinquentenſtuͤcke der Pari¬ ſer nach. Sogar die Oper iſt ſeit Mozart wieder verfallen und theilt alle die Gebrechen, denen alles Dramatiſche jetzt unterliegt. Die Tragiker ſuchen mit erſchoͤpfter Kraft Originalitaͤt zu forciren; die Ko¬ miker aber, die alles, ſelbſt ihren Ruhm leichter nehmen, begnuͤgen ſich von Alten und Fremden zu borgen, zu ſticken und die guten Gedanken andrer nur ein wenig zu moderniſiren. Je mehr aber der Geiſt aus dem Drama gewichen iſt, deſto unver¬ ſchaͤmter hat das Sinnliche darin ſich vorgedraͤngt. Wie uͤberhaupt auf den Theatern mehr die Ballette und großen Prachtopern und Schauſtuͤcke mit allem Glanz der Dekorationen und Maſchinen vorherrſchen, ſo ſtrebt auch wieder der Dichter ſeinen einzelnen Producten ſo viel als moͤglich aͤußern Glanz zu ver¬ leihen, um ihnen den Theatereffect zu ſichern.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0270"n="260"/>
dem ſie eine Zeit lang zu einer bewunderungswuͤrdi¬<lb/>
gen Bluͤthe gelangt war. Das Trauerſpiel, das ſei¬<lb/>
nen Gipfelpunkt in Schiller erreicht hat, iſt zur Schick¬<lb/>ſalstragoͤdie hinabgeſunken. Das Luſtſpiel, durch Ko¬<lb/>
tzebue wenn nicht zur Vollkommenheit, doch zur hoͤch¬<lb/>ſten Popularitaͤt geſteigert, iſt wieder nach Frank¬<lb/>
reich abgeirrt und ahmet nur noch franzoͤſiſche kleine<lb/>
Intriguenſtuͤcke und Vaudevilles nach. Auch die Ruͤhr¬<lb/>ſpiele, fruͤher durch Iffland zu einer wahren Natio¬<lb/>
nalangelegenheit der Deutſchen gemacht, haben den<lb/>
Weg nach Frankreich genommen und ahmen die grau¬<lb/>ſamen Melodramen und Delinquentenſtuͤcke der Pari¬<lb/>ſer nach. Sogar die Oper iſt ſeit Mozart wieder<lb/>
verfallen und theilt alle die Gebrechen, denen alles<lb/>
Dramatiſche jetzt unterliegt. Die Tragiker ſuchen mit<lb/>
erſchoͤpfter Kraft Originalitaͤt zu forciren; die Ko¬<lb/>
miker aber, die alles, ſelbſt ihren Ruhm leichter<lb/>
nehmen, begnuͤgen ſich von Alten und Fremden zu<lb/>
borgen, zu ſticken und die guten Gedanken andrer<lb/>
nur ein wenig zu moderniſiren. Je mehr aber der<lb/>
Geiſt aus dem Drama gewichen iſt, deſto unver¬<lb/>ſchaͤmter hat das Sinnliche darin ſich vorgedraͤngt.<lb/>
Wie uͤberhaupt auf den Theatern mehr die Ballette<lb/>
und großen Prachtopern und Schauſtuͤcke mit allem<lb/>
Glanz der Dekorationen und Maſchinen vorherrſchen,<lb/>ſo ſtrebt auch wieder der Dichter ſeinen einzelnen<lb/>
Producten ſo viel als moͤglich aͤußern Glanz zu ver¬<lb/>
leihen, um ihnen den Theatereffect zu ſichern.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[260/0270]
dem ſie eine Zeit lang zu einer bewunderungswuͤrdi¬
gen Bluͤthe gelangt war. Das Trauerſpiel, das ſei¬
nen Gipfelpunkt in Schiller erreicht hat, iſt zur Schick¬
ſalstragoͤdie hinabgeſunken. Das Luſtſpiel, durch Ko¬
tzebue wenn nicht zur Vollkommenheit, doch zur hoͤch¬
ſten Popularitaͤt geſteigert, iſt wieder nach Frank¬
reich abgeirrt und ahmet nur noch franzoͤſiſche kleine
Intriguenſtuͤcke und Vaudevilles nach. Auch die Ruͤhr¬
ſpiele, fruͤher durch Iffland zu einer wahren Natio¬
nalangelegenheit der Deutſchen gemacht, haben den
Weg nach Frankreich genommen und ahmen die grau¬
ſamen Melodramen und Delinquentenſtuͤcke der Pari¬
ſer nach. Sogar die Oper iſt ſeit Mozart wieder
verfallen und theilt alle die Gebrechen, denen alles
Dramatiſche jetzt unterliegt. Die Tragiker ſuchen mit
erſchoͤpfter Kraft Originalitaͤt zu forciren; die Ko¬
miker aber, die alles, ſelbſt ihren Ruhm leichter
nehmen, begnuͤgen ſich von Alten und Fremden zu
borgen, zu ſticken und die guten Gedanken andrer
nur ein wenig zu moderniſiren. Je mehr aber der
Geiſt aus dem Drama gewichen iſt, deſto unver¬
ſchaͤmter hat das Sinnliche darin ſich vorgedraͤngt.
Wie uͤberhaupt auf den Theatern mehr die Ballette
und großen Prachtopern und Schauſtuͤcke mit allem
Glanz der Dekorationen und Maſchinen vorherrſchen,
ſo ſtrebt auch wieder der Dichter ſeinen einzelnen
Producten ſo viel als moͤglich aͤußern Glanz zu ver¬
leihen, um ihnen den Theatereffect zu ſichern.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/270>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.