gewesen, so hat er in Göthe sich ganz so wiederge¬ spiegelt, und dort wie hier ist der Charakter Chara¬ terlosigkeit. Göthe gilt ganz so als Universalerbe der moralischen Revolutionen unsrer Zeit, als Napoleon Erbe der politischen gewesen. Auch der Gewinn die¬ ser Concentration ist für die moralische und politische Welt ziemlich derselbe. Wie im Leben des großen Corsen das ganze politische Leben des Jahrhunderts, in praktischer Ausführung aller seiner Theorien, von der Anarchie bis zu den beiden Extremen der Re¬ publik und des Despotismus und wieder in der ver¬ söhnenden Mitte der constitutionellen Monarchie sich gleichsam personificirt hat, so in Göthe's Werken die Bewegungen der sittlichen Welt, die eben so ein schilderndes poetisches Talent in Anspruch nahmen, als jene politischen ein praktisches, handelndes, die einen Dichter verlangten, wie jene einen Helden. So wird die Erscheinung Göthe's lediglich aus den Erscheinungen der Zeit erklärt und alle seine Werke lassen sich folgerecht mit den verschiedenen Moden, in denen der sittliche Geist seiner Zeit gewechselt, parallelisiren. Daß ihn dabei das Glück begünstigt, wie den Napoleon, ist unverkennbar. Er fand seine Zeit gerade so, wie sie ihn und er sie brauchte und hatte keinen starken Gegner zu bekämpfen. Alle jene Richtungen der Zeit huldigten dem Spiele des Ta¬ lentes und waren dem Ernst tiefer Ideen entfremdet. Die Sentimentalität, der im leeren Harnisch fort¬ spukende Rittergeist, die Theaterwuth, die Geheim¬
geweſen, ſo hat er in Goͤthe ſich ganz ſo wiederge¬ ſpiegelt, und dort wie hier iſt der Charakter Chara¬ terloſigkeit. Goͤthe gilt ganz ſo als Univerſalerbe der moraliſchen Revolutionen unſrer Zeit, als Napoleon Erbe der politiſchen geweſen. Auch der Gewinn die¬ ſer Concentration iſt fuͤr die moraliſche und politiſche Welt ziemlich derſelbe. Wie im Leben des großen Corſen das ganze politiſche Leben des Jahrhunderts, in praktiſcher Ausfuͤhrung aller ſeiner Theorien, von der Anarchie bis zu den beiden Extremen der Re¬ publik und des Despotismus und wieder in der ver¬ ſoͤhnenden Mitte der conſtitutionellen Monarchie ſich gleichſam perſonificirt hat, ſo in Goͤthe's Werken die Bewegungen der ſittlichen Welt, die eben ſo ein ſchilderndes poetiſches Talent in Anſpruch nahmen, als jene politiſchen ein praktiſches, handelndes, die einen Dichter verlangten, wie jene einen Helden. So wird die Erſcheinung Goͤthe's lediglich aus den Erſcheinungen der Zeit erklaͤrt und alle ſeine Werke laſſen ſich folgerecht mit den verſchiedenen Moden, in denen der ſittliche Geiſt ſeiner Zeit gewechſelt, paralleliſiren. Daß ihn dabei das Gluͤck beguͤnſtigt, wie den Napoleon, iſt unverkennbar. Er fand ſeine Zeit gerade ſo, wie ſie ihn und er ſie brauchte und hatte keinen ſtarken Gegner zu bekaͤmpfen. Alle jene Richtungen der Zeit huldigten dem Spiele des Ta¬ lentes und waren dem Ernſt tiefer Ideen entfremdet. Die Sentimentalitaͤt, der im leeren Harniſch fort¬ ſpukende Rittergeiſt, die Theaterwuth, die Geheim¬
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geweſen, ſo hat er in Goͤthe ſich ganz ſo wiederge¬
ſpiegelt, und dort wie hier iſt der Charakter Chara¬
terloſigkeit. Goͤthe gilt ganz ſo als Univerſalerbe der
moraliſchen Revolutionen unſrer Zeit, als Napoleon
Erbe der politiſchen geweſen. Auch der Gewinn die¬
ſer Concentration iſt fuͤr die moraliſche und politiſche
Welt ziemlich derſelbe. Wie im Leben des großen
Corſen das ganze politiſche Leben des Jahrhunderts,
in praktiſcher Ausfuͤhrung aller ſeiner Theorien, von
der Anarchie bis zu den beiden Extremen der Re¬
publik und des Despotismus und wieder in der ver¬
ſoͤhnenden Mitte der conſtitutionellen Monarchie ſich
gleichſam perſonificirt hat, ſo in Goͤthe's Werken die
Bewegungen der ſittlichen Welt, die eben ſo ein
ſchilderndes poetiſches Talent in Anſpruch nahmen,
als jene politiſchen ein praktiſches, handelndes, die
einen Dichter verlangten, wie jene einen Helden.
So wird die Erſcheinung Goͤthe's lediglich aus den
Erſcheinungen der Zeit erklaͤrt und alle ſeine Werke
laſſen ſich folgerecht mit den verſchiedenen Moden,
in denen der ſittliche Geiſt ſeiner Zeit gewechſelt,
paralleliſiren. Daß ihn dabei das Gluͤck beguͤnſtigt,
wie den Napoleon, iſt unverkennbar. Er fand ſeine
Zeit gerade ſo, wie ſie ihn und er ſie brauchte und
hatte keinen ſtarken Gegner zu bekaͤmpfen. Alle jene
Richtungen der Zeit huldigten dem Spiele des Ta¬
lentes und waren dem Ernſt tiefer Ideen entfremdet.
Die Sentimentalitaͤt, der im leeren Harniſch fort¬
ſpukende Rittergeiſt, die Theaterwuth, die Geheim¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/237>, abgerufen am 23.11.2024.
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