und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat, äußerlich darzustellen, vielmehr ist ihm jede Empfin¬ dung und jeder Gegenstand an sich völlig gleichgül¬ tig, und gilt ihm nur etwas, sofern er ihn darstellt; nur die Darstellung gilt ihm, was auch immer das Dargestellte sey. Darum wird er auch durch keinen besondern Gegenstand beherrscht, er herrscht vielmehr über alle, und gefällt sich im Wechsel derselben, der seine Herrschaft beurkundet. So sehn wir Göthe be¬ ständig wechseln, und es ist eben deshalb thöricht, irgend eine besondere Darstellung, irgend eine Rolle an ihm festhalten zu wollen. Gerade darin besteht das Wesen seiner Poesie, daß er mit den Rollen be¬ ständig gewechselt hat, und noch ferner unaufhörlich wechseln würde, wenn nicht jede Thätigkeit endlich ihr Ziel in der Ohnmacht fände. Er spricht dieß selbst sehr deutlich aus, indem er in einer seiner zah¬ men Xenien sagt:
"Die Feinde, sie bedrohen dich, Das mehrt von Tag zu Tage sich, Wie dir doch gar nicht graut!" Das seh ich alles unbewegt, Sie zerren an der Schlangenhaut Die jünst ich abgelegt, Und ist die nächste reif genug, Abstreif ich die sogleich, Und wandle neu belebt und jung Im frischen Götterreich.
In Göthe's beständigem Rollenwechsel liegt das eigentliche Geheimniß seiner Poesie und das Wesen
und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat, aͤußerlich darzuſtellen, vielmehr iſt ihm jede Empfin¬ dung und jeder Gegenſtand an ſich voͤllig gleichguͤl¬ tig, und gilt ihm nur etwas, ſofern er ihn darſtellt; nur die Darſtellung gilt ihm, was auch immer das Dargeſtellte ſey. Darum wird er auch durch keinen beſondern Gegenſtand beherrſcht, er herrſcht vielmehr uͤber alle, und gefaͤllt ſich im Wechſel derſelben, der ſeine Herrſchaft beurkundet. So ſehn wir Goͤthe be¬ ſtaͤndig wechſeln, und es iſt eben deshalb thoͤricht, irgend eine beſondere Darſtellung, irgend eine Rolle an ihm feſthalten zu wollen. Gerade darin beſteht das Weſen ſeiner Poeſie, daß er mit den Rollen be¬ ſtaͤndig gewechſelt hat, und noch ferner unaufhoͤrlich wechſeln wuͤrde, wenn nicht jede Thaͤtigkeit endlich ihr Ziel in der Ohnmacht faͤnde. Er ſpricht dieß ſelbſt ſehr deutlich aus, indem er in einer ſeiner zah¬ men Xenien ſagt:
„Die Feinde, ſie bedrohen dich, Das mehrt von Tag zu Tage ſich, Wie dir doch gar nicht graut!“ Das ſeh ich alles unbewegt, Sie zerren an der Schlangenhaut Die juͤnſt ich abgelegt, Und iſt die naͤchſte reif genug, Abſtreif ich die ſogleich, Und wandle neu belebt und jung Im friſchen Goͤtterreich.
In Goͤthe's beſtaͤndigem Rollenwechſel liegt das eigentliche Geheimniß ſeiner Poeſie und das Weſen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0223"n="213"/>
und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat,<lb/>
aͤußerlich darzuſtellen, vielmehr iſt ihm jede Empfin¬<lb/>
dung und jeder Gegenſtand an ſich voͤllig gleichguͤl¬<lb/>
tig, und gilt ihm nur etwas, ſofern er ihn darſtellt;<lb/>
nur die Darſtellung gilt ihm, was auch immer das<lb/>
Dargeſtellte ſey. Darum wird er auch durch keinen<lb/>
beſondern Gegenſtand beherrſcht, er herrſcht vielmehr<lb/>
uͤber alle, und gefaͤllt ſich im Wechſel derſelben, der<lb/>ſeine Herrſchaft beurkundet. So ſehn wir Goͤthe be¬<lb/>ſtaͤndig wechſeln, und es iſt eben deshalb thoͤricht,<lb/>
irgend eine beſondere Darſtellung, irgend eine Rolle<lb/>
an ihm feſthalten zu wollen. Gerade darin beſteht<lb/>
das Weſen ſeiner Poeſie, daß er mit den Rollen be¬<lb/>ſtaͤndig gewechſelt hat, und noch ferner unaufhoͤrlich<lb/>
wechſeln wuͤrde, wenn nicht jede Thaͤtigkeit endlich<lb/>
ihr Ziel in der Ohnmacht faͤnde. Er ſpricht dieß<lb/>ſelbſt ſehr deutlich aus, indem er in einer ſeiner zah¬<lb/>
men Xenien ſagt:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Die Feinde, ſie bedrohen dich,</l><lb/><l>Das mehrt von Tag zu Tage ſich,</l><lb/><l>Wie dir doch gar nicht graut!“</l><lb/><l>Das ſeh ich alles unbewegt,</l><lb/><l>Sie zerren an der <hirendition="#g">Schlangenhaut</hi></l><lb/><l>Die juͤnſt ich abgelegt,</l><lb/><l>Und iſt die naͤchſte reif genug,</l><lb/><l>Abſtreif ich die ſogleich,</l><lb/><l>Und wandle neu belebt und jung</l><lb/><l>Im friſchen Goͤtterreich.</l><lb/></lg><p>In Goͤthe's beſtaͤndigem Rollenwechſel liegt das<lb/>
eigentliche Geheimniß ſeiner Poeſie und das Weſen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[213/0223]
und ein Heiliges und Geliebtes, das er erkannt hat,
aͤußerlich darzuſtellen, vielmehr iſt ihm jede Empfin¬
dung und jeder Gegenſtand an ſich voͤllig gleichguͤl¬
tig, und gilt ihm nur etwas, ſofern er ihn darſtellt;
nur die Darſtellung gilt ihm, was auch immer das
Dargeſtellte ſey. Darum wird er auch durch keinen
beſondern Gegenſtand beherrſcht, er herrſcht vielmehr
uͤber alle, und gefaͤllt ſich im Wechſel derſelben, der
ſeine Herrſchaft beurkundet. So ſehn wir Goͤthe be¬
ſtaͤndig wechſeln, und es iſt eben deshalb thoͤricht,
irgend eine beſondere Darſtellung, irgend eine Rolle
an ihm feſthalten zu wollen. Gerade darin beſteht
das Weſen ſeiner Poeſie, daß er mit den Rollen be¬
ſtaͤndig gewechſelt hat, und noch ferner unaufhoͤrlich
wechſeln wuͤrde, wenn nicht jede Thaͤtigkeit endlich
ihr Ziel in der Ohnmacht faͤnde. Er ſpricht dieß
ſelbſt ſehr deutlich aus, indem er in einer ſeiner zah¬
men Xenien ſagt:
„Die Feinde, ſie bedrohen dich,
Das mehrt von Tag zu Tage ſich,
Wie dir doch gar nicht graut!“
Das ſeh ich alles unbewegt,
Sie zerren an der Schlangenhaut
Die juͤnſt ich abgelegt,
Und iſt die naͤchſte reif genug,
Abſtreif ich die ſogleich,
Und wandle neu belebt und jung
Im friſchen Goͤtterreich.
In Goͤthe's beſtaͤndigem Rollenwechſel liegt das
eigentliche Geheimniß ſeiner Poeſie und das Weſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/223>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.