Göthe muß in vieler Hinsicht als einer der er¬ sten und vorzüglichsten Schöpfer der modernen Poesie und in jeder Hinsicht als ihr höchstes Muster be¬ trachtet werden. Seine sentimentalen Schilderungen des modernen Lebens bilden die Krone seiner Dich¬ tungen. Im Modernen hat dieser vielseitige Dichter doch das Höchste erreicht, worin ihm kein andrer gleich kommt, daher ist hier der schicklichste Ort, ihn im Allgemeinen zu charakterisiren.
Die Bewunderung, die Göthe verdient, ist, wie dies in Deutschland gewöhnlich geschieht, in blinde Vergötterung ausgeartet. Kaum geht ein Licht unter uns auf, so blendet es die Leute, daß sie nichts mehr sehn, als eitel Glanz und Schimmer. Ist einer reich, gleich creditirt man ihm alles. Darüber darf sich niemand wundern, der die Natur der Menschen, besonders der guten Deutschen kennt, und so ist es auch sehr na¬ türlich, daß um Göthe's gefeiertes Dichterhaupt je¬ ner Nimbus sich gebildet, vor dem nun alles auf den Knien liegt. Jede hervorragende Erscheinung in der Wirklichkeit verwandelt man mit geschäftiger Phan¬ tasie in das höchste Ideal. Der Instinkt der Masse, der als Weihrauch aufdunstet, bläht in ein riesenhaf¬ tes Nebelbild sich auf, und dann wird vor dem selbst¬ geschaffenen Phantom der Drang der Andacht ausge¬ tobt. Die Deutschen hatten auf ihrer Wanderschaft ins gelobte Land des guten Geschmacks mehr als ein goldnes Kalb. Auch in andern Gebieten haben wir ähnliche Erscheinungen schon öfters die wilde Winds¬
Goͤthe muß in vieler Hinſicht als einer der er¬ ſten und vorzuͤglichſten Schoͤpfer der modernen Poeſie und in jeder Hinſicht als ihr hoͤchſtes Muſter be¬ trachtet werden. Seine ſentimentalen Schilderungen des modernen Lebens bilden die Krone ſeiner Dich¬ tungen. Im Modernen hat dieſer vielſeitige Dichter doch das Hoͤchſte erreicht, worin ihm kein andrer gleich kommt, daher iſt hier der ſchicklichſte Ort, ihn im Allgemeinen zu charakteriſiren.
Die Bewunderung, die Goͤthe verdient, iſt, wie dies in Deutſchland gewoͤhnlich geſchieht, in blinde Vergoͤtterung ausgeartet. Kaum geht ein Licht unter uns auf, ſo blendet es die Leute, daß ſie nichts mehr ſehn, als eitel Glanz und Schimmer. Iſt einer reich, gleich creditirt man ihm alles. Daruͤber darf ſich niemand wundern, der die Natur der Menſchen, beſonders der guten Deutſchen kennt, und ſo iſt es auch ſehr na¬ tuͤrlich, daß um Goͤthe's gefeiertes Dichterhaupt je¬ ner Nimbus ſich gebildet, vor dem nun alles auf den Knien liegt. Jede hervorragende Erſcheinung in der Wirklichkeit verwandelt man mit geſchaͤftiger Phan¬ taſie in das hoͤchſte Ideal. Der Inſtinkt der Maſſe, der als Weihrauch aufdunſtet, blaͤht in ein rieſenhaf¬ tes Nebelbild ſich auf, und dann wird vor dem ſelbſt¬ geſchaffenen Phantom der Drang der Andacht ausge¬ tobt. Die Deutſchen hatten auf ihrer Wanderſchaft ins gelobte Land des guten Geſchmacks mehr als ein goldnes Kalb. Auch in andern Gebieten haben wir aͤhnliche Erſcheinungen ſchon oͤfters die wilde Winds¬
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[205/0215]
Goͤthe muß in vieler Hinſicht als einer der er¬
ſten und vorzuͤglichſten Schoͤpfer der modernen Poeſie
und in jeder Hinſicht als ihr hoͤchſtes Muſter be¬
trachtet werden. Seine ſentimentalen Schilderungen
des modernen Lebens bilden die Krone ſeiner Dich¬
tungen. Im Modernen hat dieſer vielſeitige Dichter
doch das Hoͤchſte erreicht, worin ihm kein andrer
gleich kommt, daher iſt hier der ſchicklichſte Ort, ihn
im Allgemeinen zu charakteriſiren.
Die Bewunderung, die Goͤthe verdient, iſt, wie
dies in Deutſchland gewoͤhnlich geſchieht, in blinde
Vergoͤtterung ausgeartet. Kaum geht ein Licht unter uns
auf, ſo blendet es die Leute, daß ſie nichts mehr ſehn,
als eitel Glanz und Schimmer. Iſt einer reich, gleich
creditirt man ihm alles. Daruͤber darf ſich niemand
wundern, der die Natur der Menſchen, beſonders der
guten Deutſchen kennt, und ſo iſt es auch ſehr na¬
tuͤrlich, daß um Goͤthe's gefeiertes Dichterhaupt je¬
ner Nimbus ſich gebildet, vor dem nun alles auf den
Knien liegt. Jede hervorragende Erſcheinung in der
Wirklichkeit verwandelt man mit geſchaͤftiger Phan¬
taſie in das hoͤchſte Ideal. Der Inſtinkt der Maſſe,
der als Weihrauch aufdunſtet, blaͤht in ein rieſenhaf¬
tes Nebelbild ſich auf, und dann wird vor dem ſelbſt¬
geſchaffenen Phantom der Drang der Andacht ausge¬
tobt. Die Deutſchen hatten auf ihrer Wanderſchaft
ins gelobte Land des guten Geſchmacks mehr als ein
goldnes Kalb. Auch in andern Gebieten haben wir
aͤhnliche Erſcheinungen ſchon oͤfters die wilde Winds¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/215>, abgerufen am 24.11.2024.
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