Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.wirkt die Gewohnheit. Vieles Häßliche und ganz Daher ist es denn gekommen, daß unsre moderne Dieses Gemeingefühl äußert sich am deutlichsten wirkt die Gewohnheit. Vieles Haͤßliche und ganz Daher iſt es denn gekommen, daß unſre moderne Dieſes Gemeingefuͤhl aͤußert ſich am deutlichſten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0199" n="189"/> wirkt die Gewohnheit. Vieles Haͤßliche und ganz<lb/> Unpoetiſche bemerken wir blos darum nicht, weil<lb/> wir von Jugend auf daran gewoͤhnt ſind, oder wir<lb/> dulden es, weil es mit einer Neigung uͤbereinſtimmt,<lb/> die wir ſelbſt groß gezogen haben. Endlich uͤbt die<lb/> Mode den verderblichſten Einfluß auf unſern Ge¬<lb/> ſchmack. Wir halten etwas fuͤr ſchoͤn, weil es neu<lb/> iſt, weil es allgemein gefaͤllt und nachgeahmt wird,<lb/> und umgekehrt etwas fuͤr haͤßlich, was altmodiſch iſt<lb/> und allgemein beſpoͤttelt wird, ſey jenes auch ſehr<lb/> abgeſchmackt und dieſes vortrefflich.</p><lb/> <p>Daher iſt es denn gekommen, daß unſre moderne<lb/> Poeſie ein wunderliches Gemiſch von echter Poeſie<lb/> und von Eitelkeit, Gewohnheit und Modethorheit ge¬<lb/> worden iſt. Man fuͤhlt dieſen Übelſtand, denn das aͤſthe¬<lb/> tiſche Gewiſſen laͤßt ſich ſo wenig wie das moraliſche<lb/> gaͤnzlich uͤbertaͤuben. Darum hat ſich auch allgemein die<lb/> Tradition unter uns verbreitet, daß die moderne Welt<lb/> bei aller hoͤhern Bildung doch weniger poetiſch ſey,<lb/> als die alte, und es herrſcht ein gewiſſes Gemein¬<lb/> gefuͤhl, daß unſre moderne Poeſie weniger heilig und<lb/> adelig, weniger vornehm ſey, als die antike und<lb/> romantiſche, daß ſie gleichſam plebejiſch ſey.</p><lb/> <p>Dieſes Gemeingefuͤhl aͤußert ſich am deutlichſten<lb/> darin, daß wirklich die groͤßten unſrer Dichter ſich<lb/> der antiken oder romantiſchen Poeſie zuwenden und<lb/> die moderne meiſt dem Dichterpoͤbel und den Weibern<lb/> uͤberlaſſen. Es aͤußert ſich ferner in dem Umſtande,<lb/> daß gerade die beſten modernen Poeſien humoriſtiſche<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [189/0199]
wirkt die Gewohnheit. Vieles Haͤßliche und ganz
Unpoetiſche bemerken wir blos darum nicht, weil
wir von Jugend auf daran gewoͤhnt ſind, oder wir
dulden es, weil es mit einer Neigung uͤbereinſtimmt,
die wir ſelbſt groß gezogen haben. Endlich uͤbt die
Mode den verderblichſten Einfluß auf unſern Ge¬
ſchmack. Wir halten etwas fuͤr ſchoͤn, weil es neu
iſt, weil es allgemein gefaͤllt und nachgeahmt wird,
und umgekehrt etwas fuͤr haͤßlich, was altmodiſch iſt
und allgemein beſpoͤttelt wird, ſey jenes auch ſehr
abgeſchmackt und dieſes vortrefflich.
Daher iſt es denn gekommen, daß unſre moderne
Poeſie ein wunderliches Gemiſch von echter Poeſie
und von Eitelkeit, Gewohnheit und Modethorheit ge¬
worden iſt. Man fuͤhlt dieſen Übelſtand, denn das aͤſthe¬
tiſche Gewiſſen laͤßt ſich ſo wenig wie das moraliſche
gaͤnzlich uͤbertaͤuben. Darum hat ſich auch allgemein die
Tradition unter uns verbreitet, daß die moderne Welt
bei aller hoͤhern Bildung doch weniger poetiſch ſey,
als die alte, und es herrſcht ein gewiſſes Gemein¬
gefuͤhl, daß unſre moderne Poeſie weniger heilig und
adelig, weniger vornehm ſey, als die antike und
romantiſche, daß ſie gleichſam plebejiſch ſey.
Dieſes Gemeingefuͤhl aͤußert ſich am deutlichſten
darin, daß wirklich die groͤßten unſrer Dichter ſich
der antiken oder romantiſchen Poeſie zuwenden und
die moderne meiſt dem Dichterpoͤbel und den Weibern
uͤberlaſſen. Es aͤußert ſich ferner in dem Umſtande,
daß gerade die beſten modernen Poeſien humoriſtiſche
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