Hieran knüpft sich das dritte Element, der gei¬ stige Charaker des Volks, die Seele desselben. Sie läßt sich schwerer malen, als das Äußere eines Volks, wenn man ihre geheimsten Nuancen verfolgen will, aber was in ihr so unerschöpflich ist, das ist eben die Poesie. Die Nationen sind sich auch beinahe alle gleich in dieser Unergründlichkeit ihres Charakters, in der romantischen Tiefe, die uns den Keim so ei¬ genthümlicher Bildungen verbirgt. Der Dichter findet in jedem Volk etwas Heiliges und Unbegreifliches, was da ist, aber man weiß nicht wie und warum, was so wirklich und natürlich ist, als etwas, aber zugleich so wunderbar. Die Sitten und Institutio¬ nen prägen bei weitem noch nicht alles aus, was in der Seele der Völker schlummert, ja die Geschichte selbst läuft daran nur ab, zeigt uns nur wechselnde Momente an einem Beharrenden. Jeden Augenblick schließt die Geschichte den Kreis, und was vergan¬ gen ist, kehrt nie wieder, aber im Volkscharakter selbst fließt ewig die Quelle neuer Bildungen aus unergründlicher Tiefe hervor. Die neuern Griechen geben uns das schönste und augenfälligste Beispiel dessen, was Nationalität, eingeborne, unverwüstliche Volksnatur und Volksgemüth ist. Es läßt sich zwar nicht läugnen, daß ein Überblick über die Völker der Erde dem Menschenfreunde manchen traurigen Anblick darbietet; aber auf der andern Seite findet sich auch wieder "jedwedes Hohe, Herrliche auf Erden" an das unschuldige jungfräuliche Daseyn edler Völker¬
Hieran knuͤpft ſich das dritte Element, der gei¬ ſtige Charaker des Volks, die Seele deſſelben. Sie laͤßt ſich ſchwerer malen, als das Äußere eines Volks, wenn man ihre geheimſten Nuancen verfolgen will, aber was in ihr ſo unerſchoͤpflich iſt, das iſt eben die Poeſie. Die Nationen ſind ſich auch beinahe alle gleich in dieſer Unergruͤndlichkeit ihres Charakters, in der romantiſchen Tiefe, die uns den Keim ſo ei¬ genthuͤmlicher Bildungen verbirgt. Der Dichter findet in jedem Volk etwas Heiliges und Unbegreifliches, was da iſt, aber man weiß nicht wie und warum, was ſo wirklich und natuͤrlich iſt, als etwas, aber zugleich ſo wunderbar. Die Sitten und Inſtitutio¬ nen praͤgen bei weitem noch nicht alles aus, was in der Seele der Voͤlker ſchlummert, ja die Geſchichte ſelbſt laͤuft daran nur ab, zeigt uns nur wechſelnde Momente an einem Beharrenden. Jeden Augenblick ſchließt die Geſchichte den Kreis, und was vergan¬ gen iſt, kehrt nie wieder, aber im Volkscharakter ſelbſt fließt ewig die Quelle neuer Bildungen aus unergruͤndlicher Tiefe hervor. Die neuern Griechen geben uns das ſchoͤnſte und augenfaͤlligſte Beiſpiel deſſen, was Nationalitaͤt, eingeborne, unverwuͤſtliche Volksnatur und Volksgemuͤth iſt. Es laͤßt ſich zwar nicht laͤugnen, daß ein Überblick uͤber die Voͤlker der Erde dem Menſchenfreunde manchen traurigen Anblick darbietet; aber auf der andern Seite findet ſich auch wieder «jedwedes Hohe, Herrliche auf Erden» an das unſchuldige jungfraͤuliche Daſeyn edler Voͤlker¬
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Hieran knuͤpft ſich das dritte Element, der gei¬
ſtige Charaker des Volks, die Seele deſſelben. Sie
laͤßt ſich ſchwerer malen, als das Äußere eines Volks,
wenn man ihre geheimſten Nuancen verfolgen will,
aber was in ihr ſo unerſchoͤpflich iſt, das iſt eben
die Poeſie. Die Nationen ſind ſich auch beinahe alle
gleich in dieſer Unergruͤndlichkeit ihres Charakters,
in der romantiſchen Tiefe, die uns den Keim ſo ei¬
genthuͤmlicher Bildungen verbirgt. Der Dichter findet
in jedem Volk etwas Heiliges und Unbegreifliches,
was da iſt, aber man weiß nicht wie und warum,
was ſo wirklich und natuͤrlich iſt, als etwas, aber
zugleich ſo wunderbar. Die Sitten und Inſtitutio¬
nen praͤgen bei weitem noch nicht alles aus, was in
der Seele der Voͤlker ſchlummert, ja die Geſchichte
ſelbſt laͤuft daran nur ab, zeigt uns nur wechſelnde
Momente an einem Beharrenden. Jeden Augenblick
ſchließt die Geſchichte den Kreis, und was vergan¬
gen iſt, kehrt nie wieder, aber im Volkscharakter
ſelbſt fließt ewig die Quelle neuer Bildungen aus
unergruͤndlicher Tiefe hervor. Die neuern Griechen
geben uns das ſchoͤnſte und augenfaͤlligſte Beiſpiel
deſſen, was Nationalitaͤt, eingeborne, unverwuͤſtliche
Volksnatur und Volksgemuͤth iſt. Es laͤßt ſich zwar
nicht laͤugnen, daß ein Überblick uͤber die Voͤlker der
Erde dem Menſchenfreunde manchen traurigen Anblick
darbietet; aber auf der andern Seite findet ſich auch
wieder «jedwedes Hohe, Herrliche auf Erden» an
das unſchuldige jungfraͤuliche Daſeyn edler Voͤlker¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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