Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

mer sehr albern gewesen. Sobald der Dichter ein
Volk schildert, muß er es treu schildern, wie die
Natur.

Die Elemente einer solchen Volkspoesie liegen in
der Natur vorgezeichnet. Das Volk wurzelt einer
Pflanze gleich in einem bestimmten Boden und Clima.
Das Land ist die Bedingung seines Charakters wie
seiner ganzen Existenz, und bietet dem Dichter zu¬
nächst die Gelegenheit dar, mit dem Landschaftmaler
zu wetteifern. Hier ist dieser Wetteifer, den man
sonst getadelt hat, an seiner rechten Stelle. Aller¬
dings sind die idyllischen Bildchen, welche nur die
Absicht haben, Landschaftsgemälde zu geben, gewöhn¬
lich nur Tändeleien, und der Maler übertrifft den
Dichter immer, wo dieser nur ihn erreichen will.
Anders verhält es sich schon mit jenen großen Na¬
turansichten Humboldts, indem hier ein philosophi¬
scher Geist hinzukommt, den der Maler nicht mehr
ausdrücken kann, wohl aber der Dichter. Noch mehr
aber siegt die Sprache über die Farbe, der Dichter
über den Maler, wo es gilt, den historischen Geist
einer Gegend zu bezeichnen. Dieser historische Geist,
wenn ich mich eines solchen Ausdrucks bedienen darf,
ist gewöhnlich das Interessanteste, Reizendste, und
das vorzugsweise Poetische in einer Gegend. Er
wird ihr gleichsam eingehaucht durch den Geist der
Bewohner. Nicht nur das Volk nimmt eine gewisse
Eigenthümlichkeit von seinem Boden an, sondern auch
dieser von ihm, wenigstens in unsrer Einbildung.

mer ſehr albern geweſen. Sobald der Dichter ein
Volk ſchildert, muß er es treu ſchildern, wie die
Natur.

Die Elemente einer ſolchen Volkspoeſie liegen in
der Natur vorgezeichnet. Das Volk wurzelt einer
Pflanze gleich in einem beſtimmten Boden und Clima.
Das Land iſt die Bedingung ſeines Charakters wie
ſeiner ganzen Exiſtenz, und bietet dem Dichter zu¬
naͤchſt die Gelegenheit dar, mit dem Landſchaftmaler
zu wetteifern. Hier iſt dieſer Wetteifer, den man
ſonſt getadelt hat, an ſeiner rechten Stelle. Aller¬
dings ſind die idylliſchen Bildchen, welche nur die
Abſicht haben, Landſchaftsgemaͤlde zu geben, gewoͤhn¬
lich nur Taͤndeleien, und der Maler uͤbertrifft den
Dichter immer, wo dieſer nur ihn erreichen will.
Anders verhaͤlt es ſich ſchon mit jenen großen Na¬
turanſichten Humboldts, indem hier ein philoſophi¬
ſcher Geiſt hinzukommt, den der Maler nicht mehr
ausdruͤcken kann, wohl aber der Dichter. Noch mehr
aber ſiegt die Sprache uͤber die Farbe, der Dichter
uͤber den Maler, wo es gilt, den hiſtoriſchen Geiſt
einer Gegend zu bezeichnen. Dieſer hiſtoriſche Geiſt,
wenn ich mich eines ſolchen Ausdrucks bedienen darf,
iſt gewoͤhnlich das Intereſſanteſte, Reizendſte, und
das vorzugsweiſe Poetiſche in einer Gegend. Er
wird ihr gleichſam eingehaucht durch den Geiſt der
Bewohner. Nicht nur das Volk nimmt eine gewiſſe
Eigenthuͤmlichkeit von ſeinem Boden an, ſondern auch
dieſer von ihm, wenigſtens in unſrer Einbildung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0182" n="172"/>
mer &#x017F;ehr albern gewe&#x017F;en. Sobald der Dichter ein<lb/>
Volk &#x017F;childert, muß er es treu &#x017F;childern, wie die<lb/>
Natur.</p><lb/>
        <p>Die Elemente einer &#x017F;olchen Volkspoe&#x017F;ie liegen in<lb/>
der Natur vorgezeichnet. Das Volk wurzelt einer<lb/>
Pflanze gleich in einem be&#x017F;timmten Boden und Clima.<lb/>
Das Land i&#x017F;t die Bedingung &#x017F;eines Charakters wie<lb/>
&#x017F;einer ganzen Exi&#x017F;tenz, und bietet dem Dichter zu¬<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;t die Gelegenheit dar, mit dem Land&#x017F;chaftmaler<lb/>
zu wetteifern. Hier i&#x017F;t die&#x017F;er Wetteifer, den man<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t getadelt hat, an &#x017F;einer rechten Stelle. Aller¬<lb/>
dings &#x017F;ind die idylli&#x017F;chen Bildchen, welche nur die<lb/>
Ab&#x017F;icht haben, Land&#x017F;chaftsgema&#x0364;lde zu geben, gewo&#x0364;hn¬<lb/>
lich nur Ta&#x0364;ndeleien, und der Maler u&#x0364;bertrifft den<lb/>
Dichter immer, wo die&#x017F;er nur ihn erreichen will.<lb/>
Anders verha&#x0364;lt es &#x017F;ich &#x017F;chon mit jenen großen Na¬<lb/>
turan&#x017F;ichten Humboldts, indem hier ein philo&#x017F;ophi¬<lb/>
&#x017F;cher Gei&#x017F;t hinzukommt, den der Maler nicht mehr<lb/>
ausdru&#x0364;cken kann, wohl aber der Dichter. Noch mehr<lb/>
aber &#x017F;iegt die Sprache u&#x0364;ber die Farbe, der Dichter<lb/>
u&#x0364;ber den Maler, wo es gilt, den hi&#x017F;tori&#x017F;chen Gei&#x017F;t<lb/>
einer Gegend zu bezeichnen. Die&#x017F;er hi&#x017F;tori&#x017F;che Gei&#x017F;t,<lb/>
wenn ich mich eines &#x017F;olchen Ausdrucks bedienen darf,<lb/>
i&#x017F;t gewo&#x0364;hnlich das Intere&#x017F;&#x017F;ante&#x017F;te, Reizend&#x017F;te, und<lb/>
das vorzugswei&#x017F;e Poeti&#x017F;che in einer Gegend. Er<lb/>
wird ihr gleich&#x017F;am eingehaucht durch den Gei&#x017F;t der<lb/>
Bewohner. Nicht nur das Volk nimmt eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Eigenthu&#x0364;mlichkeit von &#x017F;einem Boden an, &#x017F;ondern auch<lb/>
die&#x017F;er von ihm, wenig&#x017F;tens in un&#x017F;rer Einbildung.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0182] mer ſehr albern geweſen. Sobald der Dichter ein Volk ſchildert, muß er es treu ſchildern, wie die Natur. Die Elemente einer ſolchen Volkspoeſie liegen in der Natur vorgezeichnet. Das Volk wurzelt einer Pflanze gleich in einem beſtimmten Boden und Clima. Das Land iſt die Bedingung ſeines Charakters wie ſeiner ganzen Exiſtenz, und bietet dem Dichter zu¬ naͤchſt die Gelegenheit dar, mit dem Landſchaftmaler zu wetteifern. Hier iſt dieſer Wetteifer, den man ſonſt getadelt hat, an ſeiner rechten Stelle. Aller¬ dings ſind die idylliſchen Bildchen, welche nur die Abſicht haben, Landſchaftsgemaͤlde zu geben, gewoͤhn¬ lich nur Taͤndeleien, und der Maler uͤbertrifft den Dichter immer, wo dieſer nur ihn erreichen will. Anders verhaͤlt es ſich ſchon mit jenen großen Na¬ turanſichten Humboldts, indem hier ein philoſophi¬ ſcher Geiſt hinzukommt, den der Maler nicht mehr ausdruͤcken kann, wohl aber der Dichter. Noch mehr aber ſiegt die Sprache uͤber die Farbe, der Dichter uͤber den Maler, wo es gilt, den hiſtoriſchen Geiſt einer Gegend zu bezeichnen. Dieſer hiſtoriſche Geiſt, wenn ich mich eines ſolchen Ausdrucks bedienen darf, iſt gewoͤhnlich das Intereſſanteſte, Reizendſte, und das vorzugsweiſe Poetiſche in einer Gegend. Er wird ihr gleichſam eingehaucht durch den Geiſt der Bewohner. Nicht nur das Volk nimmt eine gewiſſe Eigenthuͤmlichkeit von ſeinem Boden an, ſondern auch dieſer von ihm, wenigſtens in unſrer Einbildung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/182
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/182>, abgerufen am 24.11.2024.