Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

Einzelnen bringen können. Er erkannte vielmehr, daß
eine noch höhere Entwicklung in der Verschiedenheit
der Naturen, so der Völker, so der Individuen, er¬
reicht wird. Hierin schien ihm die höchste und letzte
Form zu liegen, welcher der Entwicklungsgang der
Menschheit sich unterwirft, und darum war die Wür¬
digung derselben auch die Krone seines Systems. In
der Nationalität erkannte Herder die Wiege ei¬
ner noch höhern Ausbildung, als sie den Menschen an
sich zu erreichen möglich wäre. die Wiege der höch¬
sten aber war ihm die Verschiedenheit der menschli¬
chen Natur. Wie er die sittliche Welt der Menschen
über die Natur stellte, so das gebildete, humane Volk
über das rohe, so den Genius über den Gemeinen.
Diese höchste Ansicht stand ihm aber in innigster Ver¬
bindung mit seinem ganzen System, und er entwickelte
den Geist der Völker nur in seiner Bedeutung für
den Geist der Menschheit und der Welt, und den
Geist großer Genien nur in der Beziehung wieder
auf jene alle.

Dieser letzten Ansicht verdanken wir seine vor¬
züglichsten Schriften, und das vorzüglichste in allem.
Mit einer Wärme, wie sie nur den Deutschen mög¬
lich ist, wie sein Beispiel sie den Deutschen zum be¬
wußten Willen und Gesetz gemacht, drang er in das
besondre Wesen wie der deutschen, so jeder fremden
Nation und ihrer Genien ein, und zeigte, wie in ih¬
nen die duftigsten Blüthen jedes Edlen und Schönen
hervorgebrochen. Aus allen diesen Blüthen windet

Einzelnen bringen koͤnnen. Er erkannte vielmehr, daß
eine noch hoͤhere Entwicklung in der Verſchiedenheit
der Naturen, ſo der Voͤlker, ſo der Individuen, er¬
reicht wird. Hierin ſchien ihm die hoͤchſte und letzte
Form zu liegen, welcher der Entwicklungsgang der
Menſchheit ſich unterwirft, und darum war die Wuͤr¬
digung derſelben auch die Krone ſeines Syſtems. In
der Nationalitaͤt erkannte Herder die Wiege ei¬
ner noch hoͤhern Ausbildung, als ſie den Menſchen an
ſich zu erreichen moͤglich waͤre. die Wiege der hoͤch¬
ſten aber war ihm die Verſchiedenheit der menſchli¬
chen Natur. Wie er die ſittliche Welt der Menſchen
uͤber die Natur ſtellte, ſo das gebildete, humane Volk
uͤber das rohe, ſo den Genius uͤber den Gemeinen.
Dieſe hoͤchſte Anſicht ſtand ihm aber in innigſter Ver¬
bindung mit ſeinem ganzen Syſtem, und er entwickelte
den Geiſt der Voͤlker nur in ſeiner Bedeutung fuͤr
den Geiſt der Menſchheit und der Welt, und den
Geiſt großer Genien nur in der Beziehung wieder
auf jene alle.

Dieſer letzten Anſicht verdanken wir ſeine vor¬
zuͤglichſten Schriften, und das vorzuͤglichſte in allem.
Mit einer Waͤrme, wie ſie nur den Deutſchen moͤg¬
lich iſt, wie ſein Beiſpiel ſie den Deutſchen zum be¬
wußten Willen und Geſetz gemacht, drang er in das
beſondre Weſen wie der deutſchen, ſo jeder fremden
Nation und ihrer Genien ein, und zeigte, wie in ih¬
nen die duftigſten Bluͤthen jedes Edlen und Schoͤnen
hervorgebrochen. Aus allen dieſen Bluͤthen windet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0171" n="161"/>
Einzelnen bringen ko&#x0364;nnen. Er erkannte vielmehr, daß<lb/>
eine noch ho&#x0364;here Entwicklung in der Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
der Naturen, &#x017F;o der Vo&#x0364;lker, &#x017F;o der Individuen, er¬<lb/>
reicht wird. Hierin &#x017F;chien ihm die ho&#x0364;ch&#x017F;te und letzte<lb/>
Form zu liegen, welcher der Entwicklungsgang der<lb/>
Men&#x017F;chheit &#x017F;ich unterwirft, und darum war die Wu&#x0364;<lb/>
digung der&#x017F;elben auch die Krone &#x017F;eines Sy&#x017F;tems. In<lb/>
der <hi rendition="#g">Nationalita&#x0364;t</hi> erkannte Herder die Wiege ei¬<lb/>
ner noch ho&#x0364;hern Ausbildung, als &#x017F;ie den Men&#x017F;chen an<lb/>
&#x017F;ich zu erreichen mo&#x0364;glich wa&#x0364;re. die Wiege der ho&#x0364;ch¬<lb/>
&#x017F;ten aber war ihm die Ver&#x017F;chiedenheit der men&#x017F;chli¬<lb/>
chen Natur. Wie er die &#x017F;ittliche Welt der Men&#x017F;chen<lb/>
u&#x0364;ber die Natur &#x017F;tellte, &#x017F;o das gebildete, humane Volk<lb/>
u&#x0364;ber das rohe, &#x017F;o den Genius u&#x0364;ber den Gemeinen.<lb/>
Die&#x017F;e ho&#x0364;ch&#x017F;te An&#x017F;icht &#x017F;tand ihm aber in innig&#x017F;ter Ver¬<lb/>
bindung mit &#x017F;einem ganzen Sy&#x017F;tem, und er entwickelte<lb/>
den Gei&#x017F;t der Vo&#x0364;lker nur in &#x017F;einer Bedeutung fu&#x0364;r<lb/>
den Gei&#x017F;t der Men&#x017F;chheit und der Welt, und den<lb/>
Gei&#x017F;t großer Genien nur in der Beziehung wieder<lb/>
auf jene alle.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er letzten An&#x017F;icht verdanken wir &#x017F;eine vor¬<lb/>
zu&#x0364;glich&#x017F;ten Schriften, und das vorzu&#x0364;glich&#x017F;te in allem.<lb/>
Mit einer Wa&#x0364;rme, wie &#x017F;ie nur den Deut&#x017F;chen mo&#x0364;<lb/>
lich i&#x017F;t, wie &#x017F;ein Bei&#x017F;piel &#x017F;ie den Deut&#x017F;chen zum be¬<lb/>
wußten Willen und Ge&#x017F;etz gemacht, drang er in das<lb/>
be&#x017F;ondre We&#x017F;en wie der deut&#x017F;chen, &#x017F;o jeder fremden<lb/>
Nation und ihrer Genien ein, und zeigte, wie in ih¬<lb/>
nen die duftig&#x017F;ten Blu&#x0364;then jedes Edlen und Scho&#x0364;nen<lb/>
hervorgebrochen. Aus allen die&#x017F;en Blu&#x0364;then windet<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0171] Einzelnen bringen koͤnnen. Er erkannte vielmehr, daß eine noch hoͤhere Entwicklung in der Verſchiedenheit der Naturen, ſo der Voͤlker, ſo der Individuen, er¬ reicht wird. Hierin ſchien ihm die hoͤchſte und letzte Form zu liegen, welcher der Entwicklungsgang der Menſchheit ſich unterwirft, und darum war die Wuͤr¬ digung derſelben auch die Krone ſeines Syſtems. In der Nationalitaͤt erkannte Herder die Wiege ei¬ ner noch hoͤhern Ausbildung, als ſie den Menſchen an ſich zu erreichen moͤglich waͤre. die Wiege der hoͤch¬ ſten aber war ihm die Verſchiedenheit der menſchli¬ chen Natur. Wie er die ſittliche Welt der Menſchen uͤber die Natur ſtellte, ſo das gebildete, humane Volk uͤber das rohe, ſo den Genius uͤber den Gemeinen. Dieſe hoͤchſte Anſicht ſtand ihm aber in innigſter Ver¬ bindung mit ſeinem ganzen Syſtem, und er entwickelte den Geiſt der Voͤlker nur in ſeiner Bedeutung fuͤr den Geiſt der Menſchheit und der Welt, und den Geiſt großer Genien nur in der Beziehung wieder auf jene alle. Dieſer letzten Anſicht verdanken wir ſeine vor¬ zuͤglichſten Schriften, und das vorzuͤglichſte in allem. Mit einer Waͤrme, wie ſie nur den Deutſchen moͤg¬ lich iſt, wie ſein Beiſpiel ſie den Deutſchen zum be¬ wußten Willen und Geſetz gemacht, drang er in das beſondre Weſen wie der deutſchen, ſo jeder fremden Nation und ihrer Genien ein, und zeigte, wie in ih¬ nen die duftigſten Bluͤthen jedes Edlen und Schoͤnen hervorgebrochen. Aus allen dieſen Bluͤthen windet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/171
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/171>, abgerufen am 25.11.2024.